30.8.06

Baltikum 2: Neues aus Riga

Bernstein
Bernstein wird auf Rigas Strassen in derart grossen Mengen verkauft das ich mir nicht mehr vorstellen kann, das es am Strand gesammelt wird. Meine Theorie: Es gibt einen gut versteckten (vielleicht unterirdischen?) Bernsteinsteinbruch. Oder: Die Ketten speisen sich aus dem Bernsteinzimmer, welches nach dem Krieg von der vorrueckenden roten Armee zu einem grossen Bernsteinklumpen eingeschmolzen wurde, danach hat man diesen Klumpen einfach vergessen. So koennte es doch gewesen sein!

Riga Zoo

Der Zoo praktiziert einige sehr unkonventionelle Methoden um zusaetzlich an Kohle
zu kommen. Der Eintritt ist mit 50 Cent vergleichsweise niedrig, doch an dieser
Schraube wird nicht gedreht. Handysuechtige Teens, die fuer jeden Scheissklingelton
oder Bildchen ihr Taschengeld raushauen - und daran ist auch in Lettland kein Mangel -
koennen sich grob schwarzweiss gerasterte Elefanten Bildchen mit Spruechen wie
"Lettland Zoo: Ich war dabei" oder "Meet Crazy Frog at Riga Zoo" herunterladen.
Richtig viel Umsatz bringt das aber auch nicht. Der Clou ist daher das Sponsoring:
Whiskas sponsort den Tiger, das Krokodil hat sich Lacoste unter den Nagel als
Topsonsor unter den Nagel gerissen. Das ist product placement at its best. Besser
geht es nicht.


Fussball in Lettland

Skonto Riga: Fan
Skonto Riga: Fan

Gestern Abend habe ich dem Spitzenspiel Skonto Riga gegen FK Jurmala beiwohnen duerfen. Skonto ist der Rekordmeister der diese Liga mehr oder minder unangefochten dominiert. Von 15 moeglichen Meisterschaften seit 1991 haben sie 16 geholt und eine am gruenen Tisch wegen Transferverstoessen verloren. Das man trotzdem auf europaeischer Ebene von ihnen nichts gesehen hat, liegt daran, das sie sowohl 2000 (gegen den luxemburgischen Renomierverein Jeunesse Esch) als auch 2004 (gegen Trabzsonspor) bereits in der Vorrunde der Qualifikation zur Champions League ausgeschieden sind. Jurmala ist ein Badeort aus der naeheren Umgebung. Vom Kraefteverhaeltnis her muss man sich also vorstellen, dass der HSV gegen SUS Groemitz oder DJK Westerland spielen wuerde.

Nur etwa 500 Zuschauer verirren sich in das 8500 Zuschauer fassende Stadion mit integrierter Eislaufhalle. Skonto wird seiner Favoritenrolle gerechnet und fuehrt bereits in der 15. Minuten mit 2:0. Das die Partie doch nicht zu einem Schuetzenfest mutiert liegt an einem Platzverweis. Jurmalas Trainer reagiert mit einer Umstellung und bringt seinen brasilianischen Edeljoker Antonio Fereirra. Nur zu zehnt aber mit brasilianischer Power kann Jurmala die erhoffte Trendwende erzwingen: Fereirra trifft in der 25 Minute zum 2:1 Anschlusstreffer und Skonto zittert sich in die Pause. Der zweite Durchgang ist ein spannender Schlagabtausch: Skonto
will vorzeitig die Entscheidung, Jurmala zu 10. und vor allem ihr Schlussmann stemmen sich mit Mann und Maus dagegegn - und ist mit Kontern immer wieder gefaehrlich. Bis fuenf Minuten vor Schluss halten sie tapfer durch, dann entscheidet Skonto die Partie 3:1 fuer sich. Insgesamt ist das Niveau der Partie mit dem eines durchschnittlichen Regionalligaspiels in Deutschland vergleichbar. Mehr vom und um das Spiel vielleicht demnaechst an ganz anderer Stelle.

Im Stadion findet am Samstag uebrigens das Qualifikationsspiel fuer die naechste EM statt. Lettland spielt gegen Schweden. Bei diesem Anlass wird das Stadion ausverkauft sein, so versicherte man mir, der Vorverkauf beginnt heute. Schade, dass ich nicht dabei sein kann. Viel Glueck Lettland - mit Schweden, Daenemark und Spanien in einer Gruppe wirst du es brauchen!


Nazipack im Baltikum

Negativer Hoehepunkt des Spiels sind die Skins der Skonto Ultras. Ekelhaftes kahlgeschorenes Nazipack. Nur 4-5 von ihnen sind im Stadion, rythmisch rufen sie
Anfeuerung zur Melodie von "Let me be your drill instructor", inhaltlich kann ich aber
nicht verstehen, was sie genau skandieren. Ist vielleicht auch ganz gut so.
Nach dem Spiel verbruedern sie sich mit gleichgesinnten Englaendern die gerade
in der Stadt sind. Man erkennt sich gegenseitig am Dresscode: Londsdale Klamotten,
Fred Perry Logo und den weissen Schnuersenkeln in den Springerstiefeln.

Puenktlich zu Fuehrers Geburtstag sollte man als Auslaender Abends am besten
gar nicht ausgehen. Diese No-Go Warnung gibt der "Lonely Planet" nicht umsonst
in seiner Osteuropa Ausgabe. Neben Auslaendern eignen sich auch Homosexuelle
prima als Zielscheibe fuer diese Kameraden. Die Zeitung "Riga News" berichtete von
unangemeldeten Gegendemos anlaesslich der diesjaehrigen "Gay Pride Parade".
Unter der Unterschrift "Rigas Shame" ist ein von Polizei eingekesselter Glatzenmob
zu sehen. Uniform tragen sie weisse T-Shirts mit einem Piktogramm zweier korpulierender
Maenner a tergo umrandet von einem international bekannten Verbotszeichen
(durchgestrichener roter Kreis). Die ganze Aktion ist Generalstabsmaessig vorbereitet und
geplant: Die Polizei konfisziert schon im Vorfeld abgefuellte Plastikbeutel randvoll gefuellt
mit Kotze und Scheisse. Daher kommen nur wenige davon als Wurfgeschosse waehrend
der Demo zum Einsatz. Die Zeitung mutmasst, das das gute Sommerwetter den Kameraden das Gehirn verbrannt hat, anders laesst sich das wohl auch nicht erklaeren. Aehnliche Krawalle gab es diesen Sommer auch weiter noerdlich in Talinn.


Architektur und historisches in Riga

Riga: Blick von St.Petri Kirche
Riga: Blick von St.Petri Kirche

Zwei Tage sind nicht zu knapp kalkuliert wenn man sich Rigas
architektonischen Schoenheiten in aller Ruhe anschauen will.
Von Bombern im zweiten Weltkrieg weitgehend verschont
gibt es nirgendswo auf der Welt so viele Jugendstilbauten in
einer Stadt wie hier. Aus diesem Grund steht Riga zu Recht
in der UNESCO Liste des zu schuetzenden Weltkulturerbes.

Nur sehr langsam verliert Riga seine Unschuld. Vereinzelt wird historische
Bausubstanz abgerissen um fuer Multiplexkinos und Shopping-Malls Platz
zu schaffen. In der Altstadt wird gerade einer dieser Glas/Stahlkaefige gebaut,
so Dinger vom Kaliber einer Hamburger Welle, dem Bogen am Berliner Tor
oder dem Glasparalellogramm der seit neustem auf Hoehe der extra neu
geschaffenen HVV Faehrhaltestelle "Docklands" die Skyline Hamburgs
verhunzt.

Sehenswert ist uebrigens das Freilichtmusuem mit seinen alten
Bauernhoefen. Schon seit den 70er Jahren werden Gebaeude landesweit
dafuer gesammelt und so der Nachwelt erhalten. Der Park ist etwas
ausserhalb von Riga an einem See gelegen (und auf der Fahrt dorthin bekommt man
ersten Eindruck des laendlich verlassenen Lettlands). Malerisch sind die
Gebaeude und Hofensembles in einem Fichten und Birkenwald aufgestellt,
die Landschaft gleicht so einer Mischung aus Luenebruger Heide und Senne.

Herrlich!

Bushaltestelle vor RigaLaendliches Lettland abseits der Grossstadt


Kein "Spiegel" in Riga

Leider habe ich in Riga keine Verkaufsstelle fuer den Spiegel finden koennen.
Das einzig deutschspachige was man in Buchlaeden kaufen kann sind
Sprachkurse fuer Schulen. Etwas uninspiriert heissen diese meist droege
"Kursbuch Deutsch" oder "Ich lerne Deutsch". Da koennte man sich mal
ein Beispiel an den Englischkursen. Die haben meist motivierende Titel wie
"Let's talk". Vielleicht waere "Deutsch gut!" ein passender Name fuer einen
Deutschkurs?

Schoen und mitten aus dem Leben gegriffen sind daher die Uebungsaufgeben
des Lehrbuchs "Delphin" (mal Ernsthaft - wer vermutet hinter diesem Titel
einen deutschen Sprachkurs?). In einer besonders kniffeligen Aufgabe gehts
um Textverstaendnis. Abgedruckt ist der Text einer Einladung zu einer Party
die im Gasthof Waldesruh stattfinden soll. Nebst einer Karte auf welcher
dieser eingezeichnet. Gutes Textverstaendnis hat, wer die Frage "Aus welcher
Richtung kommen Rita und Joerg?" beantworten kann, zur Auswahl stehen
"a) Hannover, b) Bielefeld, c) Detmold, d) Paderborn". Die Antwort bleibe
ich an dieser Stelle schuldig, vielleicht will ja einer der Leser mitraten -
Loesungsvorschlaege einfach per mail an mich.


Kulinarisches

Ein Highlight der russischen Kueche sind Pelmeni. Aehnlich wie Ravioli
(aber ohne Tomatensauce), Teigmantel der Mett umhuellt. Die besten in
Riga gibts bei "Pelmini King" in der Kalkas Liepa, der seinen Namen
zu Recht traegt.

Die lettische Kueche ist eine sehr deftige. Und billig obendrein. Selbst
wenn man 2-3 Mal am Tag warm isst muss man dafuer nicht mehr als
5 Euro ausgeben.


Dainas

Daina heisst Lied. Zur nationalen Identitaetsstiftung sind sie Ende
des 19 Jahrhunderts gesammelt und schriftlich fixiert worden. Der
mehrheitlich von Frauen getexte Liedschatz wurde bis dahin
muendlich ueberliefert. Nicht unaehnlich den Gebruedern Grimm
sammelte sie der Schriftsteller Janis Cimze und reiste dabei
kreuz und quer durchs Land.

Damit ein Lied als Daina durchgeht muss es harten technischen
Anforderungen genuegen: Dainas sind in der Mehrzahl zweifuessig-trochaeische,
seltener vierfuessig-daktylische Vierzeiler, die epigrammarig das Leben des
Volkes mit Hochzeit, Liebe und Tod, Jahresfesten, Natur oder Arbeit besingen.

Praktisches Beispiel:

Eine Maus, faehrt ins Haus
Eine Fuhre Schlaf
Fahre, Maus, in mein Haus
Viele Kinder brauchen Dich

oder:

Ach wie schoen ist doch das Leben
Hier am Rand des grossen Waldes
Mit fuenf Hirschen kann ich pfluegen
Mit sechs Rehen kann ich eggen

Ob bei der Dichtung Drogen eine zentrale
Rolle spielten ist nicht ueberliefert. Dainas
wirken bisweilen inhaltlich etwas - mmhh,
ich sag mal expressionistisch - so das sich
dieser Verdacht nicht ganz von der Hand weisen
laesst.


Die Rose von Turaida

Grabstein: Rose von Tureida

Inzwischen bin ich in Sigulda angekommen. Details dazu spaeter,
zum Schluss noch eine schoene Geschichte. Der Ort hier ist
Schauplatz einer legendaer verklaerten Geschichte
um ein Maedchen mit Namen Maija. Als landesweit beruehmte
Schoenheit wuchs sie in der Bischhoffsburg von Turaida auf. So
ziemlich alle Maenner, meist aus hoeherem Stand, machten ihr
den Hof. Erfolglos, denn sie war in den Gaertner des Schlosses
von Sigulda, gleich auf der anderen Seite ihrer Burg und nur durch
einen Fluss getrennt, verliebt.

Mit ihm musste sie sich heimlich in einer gut versteckten Hoehle
treffen. Dort wurde sie von einem besonders hartnaeckigen
Verehrer, einem polnischen Offizier, ueberrascht. Damit er sie in Ruhe
liesse versprach sie ihm ihr Halstuch. Diese habe magische Kraefte
und beschuetze den der es traegt. Der Offizier wollte nicht die Katze
im Sack kaufen und Maija ermutigte ihn, es mit seinem Schwert zu
pruefen. Ob sie nur bluffte oder in dem Moment selbst daran glaubte ist
nicht ueberliefert. Nach der Probe war sie einen Kopf kuerzer und der
Offizier floh in Panik. Noch heute gedenkt man ihr und legt verwelkte
Blumen an ihrem Grab ab.

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