29.9.04

Peking 2: Tempel, Kaiserseide und die grosse Revolution

Wir sind zur rechten Zeit am rechten Ort: Dieser Tage putzt sich Peking fuer zwei wichtige gesellschaftliche chinesische Grossereignisse heraus. Das eine war das Mondfest gestern Abend und am 1. Oktober wird der 55. Jahrestag der Revolution begangen. Anscheinend wird es auch wieder eine grosse Militaerparade, dem ein oder anderen vielleicht aus dem Fernsehen bekannt, geben. Markus und ich wollen hier nicht nur zuschauen, sondern auch daran teilnehmen und so ein Zeichen der internationalen Voelkerverstaendigung setzen. In den Laeden in den verwinkelten Gassen laesst sich dazu leicht entsprechende Kleidung einkaufen. Ich favorisiere die Uniform eines Kampfpiloten mit Helm, Markus wuerde gerne einen kittelaehnlichen bunten Kimono tragen. Als Slogan fuer ein mitzufuehrendes Spruchband haben wir uns den Satz "Mongolenland in China Hand!" oder alternativ, etwas weniger politisch, einfach "Forza St.Pauli!" ueberlegt. Richard, ein junger Englaender mit dem wir uns ein 4er Zimmer teilen, kann etwas chinesisch und wuerde uns bei der Uebersetzung helfen. Jetzt muessen wir nur noch die offizielle Anmeldestelle fuer die Teilnahme an der Parade finden. Vielleicht ist es fuer den ein oder anderen daheim gebliebenen von Interesse, am 1. oder 2. Oktober die Tagesschau zu sehen.

Erste Erfahrungen im Umgang mit grossen Menschenmassen konnte ich gestern Abend am Ende einer Fahrradtour sammeln. Mit geliehenen Raedern klapperten wir zunaechst einige wichtige Tempel und andere Sehenswuerdigkeiten ab. Gegen Abend auf dem Weg nach Hause fanden wir den Tiamenplatz unerwartet fuer Personen und Kraftfahrzeuge gesperrt vor. Abgeriegelt vom Militaer bestaunten tausende Chinesen und wir eine Flaggenwechsel-Zeremonie. Danach durften zumindest Fahrradfahrer wieder auf die Strasse, Massen von Fussgaengern blieben auf den Buergersteigen zurueck. Wieder einmal, wie schon zuvor berichtet, drehte ich
daher mehrere Extrarunden auf den Strassen rund um den Tiamenplatz. Das Bizarre dabei: Zur linken Hand winkende chinesische Zuschauermassen, welche vom Militaer zurueck gehalten wurden, und Soldaten zur Rechten auf dem Platz saeumten den Weg und bildeten ein beeindruckendes Spalier. Dem Drang, das Winken der Zuschauer bei meinen Extrarunden zu beantworten, konnte ich nicht wiederstehen und so drehte ich auf der vom sonst chaotischen Verkehr entleerten Strasse zu gleichen Teilen das Publikum und das Militaer huldvoll gruessend meine Runden. Nach drei Runden wars mit dem Spass dann vorbei, denn eine 6er Gruppe von Soldaten gab mir unmissverstaendlich zu verstehen, das es besser sei, das Gelaende nun zu verlassen.
In den letzten Tagen bin ich diverse Male von vorgeblichen chinesischen Kuenstlerinnen zwecks fachmaennischer Beurteilung ihres Werkes angesprochen worden (siehe hierzu auch den letzten Bericht). Mit dieser Masche wird versucht, den Touristen selbst gemalte Bilder zu verkaufen. Sehr charmant, aber zwecklos. Vielleicht aber auch eine gute Moeglichkeit, billig ein Weihnachtsgeschenk zu erwerben, denn schliesslich sind die Bilder von guter Qualitaet, auch wenn die Motive wiederkehrend langweilig sind (grosse Mauer, Bambus, chinesische Kaiser, Pandabaeren, etc., alles jeweils zu verschiedenen Jahreszeiten).

Die Chinesen sind sehr einfallsreich und versuchen immer wieder, den Touristen etwas Geld aus der Tasche zu ziehen. Imposant war der Besuch von Teilen der unterirdischen Bunkeranlagen, welche Mao innerhalb von 10 Jahren unterhalb Pekings zum Schutz vor einem atomaren sowjetischen Angriff anlegen liess. Die Anlage zollte neben der Nomenklatur bis zu 300 000 Pekinger Schutz bieten und wurde grosszuegig mit einem Kino, Krankenhaus und aehnblichem ausgestattet. Ausserdem war es moeglich, spezielle Seide ("Kaiserseide") in der unterirdischen Anlage herzustellen. Hoehepunbkt des Rundgangs war dann auch der Versuch,
Bettwaesche aus dieser Seide an uns zu verticken. Wie in einer amerikansichen "commercial presentation" wurden uns die Vorzuege dieser speziellen Bettwaesche gezeigt. Dankend lehnten wir jedoch ab (obwohl der Preis verfuehreisch billg war), denn fuer sowas voluminoeses ist in unseren Rucksaecken kein Platz. Vielleicht sollte sich aber Betten Stoelting einmal hier eindecken, in Detmold sehe ich einen grossen Markt fuer diese Produkte.

Nach einigen technisch bedingten Rueckschlaege feilt Markus immer noch an seinem naechsten grossen Bericht. Mit grosser Sicherheit wird das Wort "Federvieh" eine zentrale Rolle in seinem Bericht spielen, doch mehr soll nicht verraten werden. Ich werde mich jetzt etwas herausputzen und nach einer reinigenden Dusche einem Fussballspiel beiwohnen. Details dazu und anderes demnaechst hier.

26.9.04

Peking 1: Menschenmassen, Parks und Fahrrad fahren

Peking ist der absolute Hammer. Noch nie war ich von einer Stadt so beeindruckt wie von dieser. Peking ist unbeschreiblich gross, die Strassen sind mit Autos und Menschen verstopft. Pures lebendiges Chaos. Dazu tausend neue Gerueche und Farben. Manchmal weht ein laues Lueftchen, vertreibt den Smog und man kann die Sonne und blauen Himmel sehen.

Morgends ist in der Stadt weniger los, wer also nicht auf Menschenmassen steht, ist gut beraten,
frueh aufzustehen. Bis 10 Uhr sind nur wenige Chinesen unterwegs, obwohl die Strassen von soviel Menschen wie sonsts an einem Adventssamstag in der Moenkebergstr. um 15:00 bevoelkert werden. Genial sind die Parks, in denen ich mich bisher am haeufigsten aufgehalten habe. (Manchmal menschenleere) gruene Lungen, welcher die Stadt unbedingt benoetigt. Die Parks bestehen hier zu 2/3 aus kuenstlichen Seen in einfacher oder doppelter Alstergroesse, dazu kuenstliche Huegel, versteckte kleine Tempel und Pagoden. Schoener und passender Kontrapunkt zum hektischen staedtischen Leben.

Meine Fuesse habe ich mit am ersten Tag hier bereits kaputt gelaufen. Seitdem bewege ich mich
auf einem alten Mao-Drahtesel (2 Euro pro Tag) durch die Strassen. Zu Beginn erfordert die
aktive Teilnahme am Strassenverkehr etwas Mut und ein gesundes Mass an Gottvertrauen. Am besten ist es, alle Verkehrsregeln die man kennt, zu vergessen. Hier gilt nur eine Regel: Versuche, rechts zu fahren und keinen anderen zu treffen. Auf Kollisionskurs mit einem Fussgaenger gibt man Gas, haelt auf diesen zu, grinst und klingelt. Meistens weicht er dann von selbst aus. Wenn nicht, kann man in letzter Minute selber ein Ausweichmanoever starten. Vom Prinzip her muss man versuchen, im und mit dem Verkehr zu fliessen wie ein Tropfen Wasser in einem Fluss. Und da sich Wassertropfen auch nicht um-, links oder rechts schauen, macht man das der Analogie entsprechend als Fahrradfahrer auch nicht.

Herrlich ist es, quer ueber und um den riesigen Tiamen-Platz herum zu sausen. Das habe ich heute fuer Stunden gemacht, wurde uebermuetig dabei wie ein kleines Kind und startete unter dem Applaus anwesender Chinesen ein wilde Slalomfahrt nach der anderen. Ein paar Polizisten fandens weniger komisch und ich machte mich aus dem Staub.
Eine Mongolin namens Huang Wan (sie bestand aber darauf, dass ich sie Helen nannte) sprach mich an und fragte, ob sie mir ihre Bilder zeigen duerfe. Sie ist unter anderem Kunststudentin und ab November in Deutschland und Europa unterwegs und stellt ihre Bilder aus. Generell hatte sie daher Interesse daran, wie ihre Bilder auf einen Europaeer wirken und welche sie besser gleich zu Hause lassen sollte. Die Bilder waren samt und sonders sehr schoen, hauptsaechlich wurden Pferde (was bei Mongolen zu erwarten ist), die chinesische Mauer und chinesischer Regenwald am Yangtse dargstellt. Da Helen ausserdem Wirtschaftsenglisch studiert, gab es auch keine Kommunikationsprobleme. Spannend waren die Geschichten und die Semantik der Bilder, die sich fuer einen Europaer nicht so ohne weiteres erschliesst. Aus Dank fuer die Beratung uebersetzte sie meinen Vornamen JOERG in chinesische Schriftzeichen. Die beiden Zeichen haben die Bedeutung "Intelligenz" und "Hoeflichkeit". Mit einem Pinsel fertigte sie mir als Souvenier eine Kaligraphie meines Namens auf Seidenpapier aus. Weniger Schmeichelhaft ist mein Geburtsjahr im Chinesischen Kalendar: Das Jahr des Ochsen - passt aber auch irgendwie. Sinn und Zweck der Schmeichelei ist es, einen poitentiellen Kunden weichzuklopfen und ihm dann das ein oder andere Gemaelde zu verticken.

Alles ist hier schweinemaessig billig. Auf eine detaillierte Aufzaehlung der Preise moechte ich
aber verzichten. Unser Hostel kostet pro Nase 6$. 15 Fussminuten vom Tiamen-Platz entfernt ist es mitten im alten Hutong-Gaengeviertel in einem traditionellen chinesischen Haus untergebracht. Besser kann man es nicht treffen und wir haben uns erst einmal fuer 10 Tage einquartiert.

Hauptsaechlich werden die Strassen hier von Autos in piefigem VW-GOLF2-Design dominiert. VW ist immer noch Marktfuehrer mit Modellen wie Jetta und Santana (bzw. Santana 2000 - chinesisches Facelifting, in Wolfsburg in der Autostadt und hier in Peking im taeglichen Einsatz zu bewundern).
Abgezogen wurden wir am ersten Tag, als wir mit einem Taxi vom Bahnhof zum Hotel fahren wollten. Zwar handelten wird den Preis von 16 auf 7 Euro schon vor der Fahrt herunter, wegen den Staus und der Unkenntnis des Fahrers benoetigten wir 1,5 Stunden fuer die 6 KM lange
Strecke. Auch wenn er angab, das Hotel zu kennen, konnte der Fahrer sein Unwissen in diesem
Punkt nicht lange verstecken. Er liess sein Auto einfach auf der Strasse, stieg aus und fragte
Polizisten und Passanten nach dem Weg. Eine schoene Stadtrundfahrt. Heute wissen wir, das wir mit der Metro fuer 30 Cent in 15 Minuten am Ziel gewesen waeren. Dann haetten wir allerdings nicht soviel von der Stadt gesehen.

Erwaehnenswert ist vielleicht noch, das wie am letzten Tag in Ulan Bator Gott getroffen haben.
Gott ist ein etwas beleibterer, Weste und Seiko Uhr tragender Buddhist der sich mit seinen zwei
Frauen im Schlepptau zu uns in der Disco an den Tisch setzte. Ausserdem forderter er mich auf,
mit einer seiner beiden Frauen (Maria?) zu tanzen. Gottes Anweisungen wiedersetzt sich nur ein kompletter Idiot und so tat ich, wie mir geheissen.

Auf der Teilstrecke von Ulan Bator nach Peking, unserem letzten Streckenabschnitt, waren die
Zugbegleiterinnen die eifrigsten und saubersten der ganzen Transsibstrecke. Die Decken waren im Abteil ein einem liebevoll hergerichteten Muster drapiert, die Kissen hatten eine kitschige
gelbe Borde und die Tuergriffe waren mit desinfizierenden weissen SARS Waschlappen eingewickelt. Durch die mongolische Wueste zu fahren ist mit Abstaenden das langweiligste, dass man tun kann. In Sibiren gab es wenigsten zur Abwechslung ein paar Baeume und viele Farben, die Wueste hingegen ist immer gleich trostlos. Ab und zu wird man dafuer aber mit dem Anblick von Kamelen belohnt. Schoen war auch ein Gewitter, welches sich ueber der Wueste austobte. In einer Stadt mitten in der Wueste steht ein Bahnhof eine Statue, welche den ersten monglischen Kosmonauten darstellt. Ganz klar hat man sich hier Captain Future zum Vorbild genommen. Ist aber mal was anderes als die sonstigen Lenin Statuen.

22.9.04

Ulan Bator: Bei Nacht und Tag

Eines ist so sicher wie das Amen in der Kirche: Den Besuch in der "Rivers Bar" zu Ulan Bator gestern Abend werden Markus und ich so schnell nicht vergessen. Wieso ich mitten in der Nacht zwei Mongolinnen, die auf der Strasse lagen und sich pruegelten (wobei vorher die eine an ihren langen schwarzen Haaren aus einem wartenden Taxi auf die Strasse gezogen wurde) trennen musste, wieso Markus zu Klaengen von Frank Farian und ich zu denen von Modern Talking tanzend uns zu Affen machten (uebrigens: waehrend Russland fest in Bohlen Hand ist, geht der Laenderpunkt fuer die Mongolei ganz klar an Frank Farian - vielleicht wegen seiner Hymne auf Dchingis Khan, die bei den Mongolen sicher gut ankommt), wieso ich laut auf englisch fluchend und schimpfend die eine Mongolin aus dem oben geschilderten Strei letztendlich nach einer halben Stunde doch in ein Taxi verfrachten und alleine nach Hause schicken konnte und wieso dieses Plaene zur anderen Gestaltung des weiteren Abends durchkreuzte - davon will ich aus Platzgruenden an dieser Stelle nicht erzaehlen. Die Geschichte ist zu komplex und sollte an einem oeffentlichen Ort wie diesem nicht ausgerollt werden. Sie erzaehlt sich ausserdem unter vier Augen besser als hier im Text. Der Reisefuehrer warnte zwar vor besoffenen Mongolen, dass angetrunkene Mongolinnen nicht minder gefaehrlich seien koennen haben wir nun auch erfahren. Jedenfalls hatten wir eine Menge Spass...

Wenn wir uns morgen zum Bahnhof kutschieren lassen, erwischen wir hoffentlich ein Hitlertaxi. Davon haben wir bisher eines gesehen und vergessen es zu fotografieren. Auf einem weissen Kreis ist Schwarz die Swastika abgebildet, beides ziert die Fahrerseite des Taxis. Ansosnten sind die meisten Taxen hier gelb.

Bei einer kulturellen Veranstaltung gestern Abend, bei welcher auch der polnische Militaerattache zu Gast war (Markus war der Meinung, es handele sich um den polnischen Praesidenten), konnten wir uns ueber die Vielfalt der mongolischen Kultur ueberzeugen. Besonders beeindruckend war der Gurgelgesang, eine alte mongolische Technike, bei der man Toene ausschliesslich mit dem Kehlkopf erzeugt und von sich gibt. Dasse ganze klingt dann wie ein menschliches Didgeridoo. Toll auch die Pferdegeige, die es in unterschiedlichen Groessen und Ausfuehrungen gibt und auf welcher saemtliche Musik gespielt wird.

Ein schoener Gruss geht an dieser Stelle an Marny: Dein "Chez Doelfer" T-Shirt kommt insbesondere hier in der Mongolei sehr gut an und oeffnet einige Tueren, die ansosnten sicherlich verschlossen blieben....

Kurz ein Preischeck zum Vergleichen der Lebenshaltungskosten hier in der Mongolei: 0,5 Liter Billigbier 0,60 Euro, 0,33 Liter Heineken aus der Flasche 1,25 Euro, eine Stange Zigaretten mit 10 Schachtel 3,25 Euro

Die Mongolen sind ein sehr freundliches und lebensbejahendes Voelkchen. Viele sehen aus wie Pierre Briece mit Schlitzaugen und haben immer ein Lachen auf den Lippen, wenn sie sich treffen.

Von der Schoenheit des Landes ausserhalb der Zwangsmetropole Ulan Bators konnten wir uns heute bei einem Ausflug aufs Land ueberzeugen. Auf einen 3 stuendigen Ausritt auf einem Pony habe ich nach Besuch des Eselparks und Ausritten im Harz (schoener Gruss an Suse an dieser Stelle!) dankend verzichtet. Stattdessen kraxelten Markus und ich durch die Berge. Dabei konnte ich die folgende Beobachtung machen: Mongolische Wespen sinder aeusserst faul und genuegsam. Sie lassen sich durch nichts aus der Ruhe bringen und fliegen so langsam, dass man sie leicht mit einem Stein abwerfen kann. Beim mongolischen Wespenkoeter (sehen aus wie Pudel) stehen Wespen sogar auf der Speiseliste.

Morgen gehts nach Peking.

21.9.04

Ulan Bator: Sicherheitswarnung

Was muss ich gerade ueber Ulan Bator in der MOPO lesen (http://www.mopo.de/nachrichten/102_panorama_65900.html) ? Im Hotel ist ein Schild "Dont go out at night - its not save!". Ich werde diesen Ratschlag beruecksichtigen. Meine alte Russenuhr bekommt der Mongole auf keinen Fall in die Finger!

Transsib: Von Irkutsk in die Mongolei

Die Fahrt von Irkutsk nach Ulan Bator verlief ohne groessere nennenswerte Zwischenfaelle. An der Grenze zur Mongolei verweilen wir planmaessig 6 Stunden, 4 auf russischer und 2 auf mongolischer Seite. Gestern haben andere Reisende auf der Strecke 13 Stunden gewartet. Soviel gibts da aber auch eigentlich nicht zu sehen.

Unser Wagen war komplett mit deutschen Touristen belegt, neben Markus und mir eine Volkshochschul-Rentner-Reisegruppe aus dem Schwarzwald. Der Manfred lief immer hektisch hin und her und fotografierte wild drauflos. Der Reiseleiter wusste zu berichten, dass es zu Hause noch einen Junggesellen gibt, der 40 Jahre alt ist und nicht mitkommen wollte oder konnte. Ihm sollte er eine russische Frau mitbringen. Wir lachen und freuen uns, als er unser Abteil wieder verlaesst. Irgendwie muss ich an den ZDF Wihnachtsmehrteiler von 1988 "Wilder Westen inklusive" und an Heinz Schenk als deutschen Touristen denken.

Irkutsk ist der mir einzig bekannte Bahnhof, welcher keine Toilette besitzt. Gut fuer den Bahnhof, wenn ich an die Erlebnisse mit Hockklos in Yekaterinenburg zurueckdenke. Schlecht jedoch, wenn man die Nach im Bahnhof durchmacht. Ich verlasse den Bahnhof und suche mir einen Busch in der Naehe zur Verrichtung der Notdurft. Ziemlich fiese Ecke, mehrere betrunkene und auf der Strasse lebende Kinder verfolgen mich, betteln mich an. Verstehe, warum der Reisefuehrer vor diesem Teil der Stadt warnt. Zur Ueberbruckung der Reisezeit kaufe ich mir ein paar CDs. Sie sind sehr billig, die Auswahl aber eher schrott. Statt das gesamte musikalische Werkvon C.C.Catch besorge ich mir das der Band Manowar - alt, aber fuer 3 Euro unheimlich billig. Die CDs werden hier liebevoll in Handarbeit hergstellt und das Cover ist mit einem Tintenstrahldrucker erzeugt. Der einfach gehaltene Satz "All Rights remain at the Produser" (kein Tippfehler) ersetzt umstaendliche juristisch verklausulierte Copyrights, die ja eh keiner liest.

Hier in Ulan Bator ist es sehr guenstig. Ein 4er Zimmer das wir uns mit einem schwedischen Paerchen teilen kostet 4 $ die Nacht, der Laden ist gut in Schuss und wird liebevoll von einem koreanischen Paerchen betrieben. Nach 2 Stunden gilt das gleiche wie im kleinen Fischerkaff Lystvianka am Baikalsee: Wir haben schon alle Attraktionen Ulan Bators gesehen.

Die Stadt macht einen sehr unwirklichen Eindruck. Staubig und heiss da in der Wueste gelegen. So als ob niemand hier eigentlich wohnen will. Wie ein Nomadendorf, welches gerne weiterziehen moechte, aber nicht darf, weil Staedte ueblicherweise am gleichen Fleck verharren sollten und nicht heute hier und morgen dort auftauchen duerfen.

Die Menschen hier scheinen sehr geschaeftstaetig zu sein. Mit Telefonen stellen sie sich als lebende Telefonzellen an Strassen und Plaetze. Oder mit einer Waage zum wiegen bewaffnet. Manche tragen einen SARS - Mundschutz, vermutlich wegen dem Staub und Smog in der Luft. Der Stadt fehlt eine gruene Lunge. Wer als Nichtraucher einmal wissen moechte, wie sich ein Raucher nach 10 Zigaretten in einer Stunde fuehlt, der laufe einfach 15 Minuten durch Ulan Bator.

Im Stadion der Stadt ist schon lange kein Tor mehr gefallen. Vielleicht hat hier einmal der FC Suerkbataar fuer Stimmung gesorgt, wenn es diesen Verein ueberhaupt gibt. Heute ist es eine sehenswerte Ruine. Ich mache Fotos und stelle sie dem mongolischen Fussballverband gerne zur Verufegung, wenn er sich einmal um die Ausrichtung eines grossen Turniers bewerben moechte.

Da wir hier in der Stadt schon alles gesehen habe, werden Markus und ich morgen einen kleinen Ausflug in die Umgebung machen. Und am Donnerstag gehts dann nach China. Auf den Grenzaufenthalt freue ich mich jetzt schon.

19.9.04

Markus Altekrueger: Einsichten am Bananenmeer

Sdrassdwuttche!

Zunaechst zwei Nachtraege:

1. Zu dem lustigen Abend auf der Irkutsker Partyinsel: Ich hatte doch tatsaechlich ein Treffen mit einer dieser 1,80-m-Frauen (allerdings in der kompakten 1,68-Ausfuehrung) fuer den folgenden Abend vereinbaren koennen. Am naechsten Morgen fiel mir auf, dasz sie in mein Notizbuch die Uhrzeit 12:10 eingetragen hatte. 12 Uhr 10! Um 12 Uhr 10 fahren Busse ab, meinetwegen kann ab 12 Uhr 10 auch zurueckgeschossen werden, aber um 12 Uhr 10 trifft man sich selbst in Russland nicht. So war es dann auch.

2. Zu Sverdlowsk: Urspruenglich hatte ich Skrupel, dieses heisze Eisen anzupacken. Aber da Joerg es in seinen Reiseberichten (www.doelfer.blogspot.com) selber thematisiert, wische ich meine Bedenken kurzerhand hinfort.Unmittelbar vor unserer Ausreise aus Sverdlowsk hat Joerg die Toilette aufgesucht und fand am Bahnhof die asiatische Version des Plumpsklos vor. Ob es auf fehlende Erfahrung, mangelnde Konzentration oder einfach dilettantische Koerperbeherrschung zurueck zu fuehren ist, muessen Experten klaeren. Kurz gesagt: Joerg hat die Waende der Sverdlowsker Bahnhofstoilette groszflaechig vollgeschissen. Das ist das Wunder, das wir Leben nennen.

Nun weiter zu brandaktuellen Russlandthemen. Die Arten der Umweltverschmutzung in Russland sind vielfaeltig. Es beginnt damit, dasz die Russen ihren Muell genau da liegen lassen, wo er anfaellt. “Ach schmeisz doch hin, is eh alles scheisse!” Ganz egal, ob es auf den Straszen und in den Parks der Staedte ist oder auf Wanderwegen, an Straenden und in Naturschutzgebieten; der Russe nimmt’s Leben leicht und unbeschwert, allerdings nur beim Umgang mit seinem Abfall. Weiterhin verweise ich auf die musikalische Umweltverschmutzung, der ich mich unten widme.


Baikalsee

Wir haben am Mittwoch mit einem Tragfluegelboot der wahrlich legendaeren sowjetischen Raketa-Klasse von Irkutsk nach Listvyanka am Baikalsee transferiert. Die 60 Kilometer lange Fahrt auf dem Angara-Fluss hat mit diesem formidablen Gefaehrt gerade mal 1 Stunde gedauert. Und obwohl ich mich in der Materie auskenne, ist mir ein aehnliches Produkt aus dem Westen nicht bekannt. Dasz die Raketa kein Exportschlager wurde, kann nur an der von Funktionaersfeder gezeichneten, geschmacklosen Gardine liegen, die die haessliche Fratze des Kommunismus in ihren Maschen traegt.

Apropos Exportschlager, hier Deutsche, die die Welt nicht braucht: DER DIETER BOHLEN-SOUND Einer der Container, die Tag fuer Tag zu Hunderten mit Dieter Bohlen-Sound beladen den Hamburger Hafen in alle Himmelsrichtungen verlassen, hat den Weg nach Irkutsk gefunden. Die frisch eingetroffene Ware wird hier in dunklen Kellerspelunken fernab jeder Zugriffsmoeglichkeit der Exekutive auf minderwertigen, landestypischen Schlagergesang geschraubt. Das fertige Produkt wird anschlieszend ueber Lautsprecher auf alle Orte des oeffentlichen Lebens verteilt: Maerkte, Wartehallen, Bahnhofsvorplaetze, Restaurants, Hotellobbies, Fuszgaengerzonen, Busse, Bahnen und Faehren. Und sind die Nachschubwege wegen Eisganges auf den russischen Fluessen mal blockiert, holt man sich aus dem Ersatzteilelager nicht minder abschreckende Substitute wie C.C. Catch und DJ Bobo. Mein Aufruf geht an Kofi Annan, meinetwegen auch an George W. Bush: Schicken Sie schleunigst Truppen nach Toetensen und befreien Sie unsere Welt von dieser globalen Geiszel!

Unser musikalisches Kontrastprogramm schnitzen wir uns selber. Am ruhigen Baikalsee wandern wir Tag ein Tag aus und traellern in guter alter Tradition Wanderlieder. Erstaunt stellen wir fest, dasz wir die Texte der kompletten Discographie von Nicole lueckenlos beherrschen ("Ein biszchen Frieden", "Flieg nicht so hoch mein kleiner Freund" etc.) und uns faellt auf, dasz die Geschichtsschreibung der letzten Dekade Nicoles Verdienste um die deutsche Einheit voellig unter den Teppich gekehrt hat! Waehrend die ganze Welt (und insbesondere David Hasselhoff selbst) felsenfest davon ueberzeugt ist, dasz der Titel Looking for Freedom die Mauer erst zum Einstuerzen brachte, finden sich in Nicoles Schlagern die eigentlichen Gruende dafuer, dass die Buerger im Ostblock den Mut fanden, Ihre kommunistischen Regime weg zu fegen. Hier eine Textprobe aus Nicoles Lied Papillon:

[…]
Papillon-Papillon-Papillon,
flieg mit all meiner Liebe davon,
trag den Funken der Hoffnung
in jedes Herz hinein,
lass die Menschen wieder frei und froehlich sein.

Papillon-Papillon-Papillon,
ich waer gern so wie du Papillon,
denn du fliegst ueber Grenzen und Mauern mit dem Wind,
und du schaffst es, dass wir alle gluecklich sind.

[…]

Ist es da nicht zu verstaendlich, dasz Nicole ob der Geringschaetzung Ihres Lebenswerkes an der Flasche haengt? Die Welt waere eine bessere, saengen in den Krieg ziehende Soldaten nicht ihre martialischen Maersche sondern Nicoles friedvollen Lieder. Eigentlich weare schon wieder ein Aufruf an Kofi Annan, meinetwegen auch an George W. Bush faellig, aber die sollen sich erstmal um das Hauptuebel kuemmern.

Die untergehende Sonne laeszt den Baikalsse in all den Goldtoenen erstrahlen, wie wir sie von der russischen Zahnersatzindustrie kennen. In dieser weichgespuelten Atmosphaere halten wir inne und sammeln zum Ausgleich knueppelharte Fakten:- Der Baikalsee ist das groeszte Sueszwasserbecken der Erde.- Der Baikalsee ist der tiefste See der Welt (bis 1637 Meter).- Im Baikalsee schlummern 20% der weltweiten Suesswasserreserven.- Der Baikalsee ist der aelteste See der Welt.- Der Baikalsee ist das bananenfoermigste Gewaesser der Welt. Selbst ausgereifte europaeische Spitzenprodukte wie der Wolfgangsee koennen da nicht mithalten.An seinen Ufern prallt mediterrane Leichtigkeit auf Bednarz’sche Schwere. Sanfte Huegel, baumbewachsene Felswaende, verlassene Werftanlagen, aus Bauschutt und –resten zusammen geschusterte Haeuser, havarierte Boote und Schiffe am Strand, verrostende und verrottende Schiffe im verlassenen Hafen. Wer dies hier im Kleinen gesehen hat, den muss angesichts der vergammelnden russischen atomaren Ueber- und Unterwasserflotte in Murmansk und Wladiwostok das Schaudern packen.

In Listvyanka am Baikalsee wohnen wir bei einer Gastfamilie. Ich lasse mich gar nicht darueber aus, wie die Bude aussieht, erwaehne aber, dasz russische Schulkinder ein spezifisches Problem haben, das in Westeuropa voellig unbekannt ist: Das Toilettenpapier hat keine innere Papprolle! Ich erinnere mich an meine Kindheit und an das Fach Kunst/Textiles Gestalten. Da war ja nun kein Auftrag bei, der nicht unter Verwendung von Papprollen vom Toilettenpapier zu erfuellen war. Stellt man der heranwachsenden Jugend seines Landes dieses Rohmaterial nicht zur Verfuegung, scheitert sie und so wird klar, warum Russland bei dieser Bildungsmisere den wirtschaftlichen Anschlusz verliert.

Joerg hat in irgendeiner Form auch den Anschlusz verloren und macht mir Sorgen. Seitdem er im Baikalsee gebadet hat, fantasiert er davon, sich in Farkas S. Lumumba umzubenennen und eine Sekte zu gruenden. Kann das in Nuernberg bei Gelegenheit bitte analysiert werden?

Planwirtschaft und Zentralismus

Die Organisation von Bus-, Bahn- und Faehrenfahrten hat hier ihre Tuecken. Ausgehaengte Fahrplaene gelten nicht: “Aber auf dem Plan steht…” wird mit einem “Ach was der Plan, der haengt da doch schon ewig!”ausgekontert. Offenbar haben mit dem Ende des Wirtschaftssystems Planwirtschaft auch alle Plaene an sich ihre Gueltigkeit verloren. So passiert es, dasz man nach 6-stuendiger Wanderschaft zum abgelegenen Kuestendorf ohne Straszenabindung erst vor Ort erfaehrt, ob man von der Regelfaehre, Christoph 11 oder – wie im vorliegenden Falle gekuendigter ADAC-Mitgliedschaft – von amerikanischen GIs (“Halt durch, die Hubschrauber kommen gleich”) rausgeholt wird. Dann ergeht ein Aufruf an George W., aber erst, sobald er die o.g. Punkte abgearbeitet hat …Ist die Planwirtschaft in Russland zwar mit Stumpf und Stiel ausgerottet, so hat man sich wenigstens den Zentralismus bewahrt: Genaue Auskuenfte zu den Fahrzeiten und ob man sich seitens des Anbieters ueberhaupt bequemt, diese einzuhalten, kann ausschlieszlich das Buero im 70 Kilometer entfernten Irkutsk geben, vorausgesetzt da ist jemand. Das kann so nicht weitergehen, wie den Russen selber aufgefallen ist, und so faengt man wieder von der Pike auf an. Linienbusfahrten muessen im Voraus angemeldet und Tickets im Zentralbuero besorgt werden. Dasz das auch fuer eventuelles Gepaeck noetig ist, erlaeutert einem erst der erzuernte Busfahrer, der unablaessig unser nicht vorhandenen Gepaeckbillet fordert. Das zieht eine empfindliche Nachzahlung mit sich, die meine letzten Devisenreste am Tag vor unserer Abreise unerwartet wie das Eis in der Sonne schmelzen lassen. Ja, heute ist unser letzter Tag in Russland und wir haben seit dem 01. September nicht einen Schluck Wodka zu uns genommen! Sofern wir das die kommenden 9 Stunden ueberstehen, sind wir die ersten Menschen, die einen kompletten Russlandaufenthalt durchgestanden haben, ohne das vorgefundene Grauen mit Wodka ertraeglich zu saufen. Das Guinnes-Buch der Rekorde muss neu geschrieben werden! Diesen Erfolg werden wir mit einer zuenftigen Flasche Wodka morgen in der Mongolei begieszen. Spannend wird die Zollkontrolle bei Ausreise aus Russland (ich verweise auf meinen ersten Bericht): Ich beabsichtige, illegal 60 Euro auszer Landes zu schmuggeln. Wenn ich mich auf diesem Wege nicht binnen einer Woche gemeldet habe, wendet Euch an amnesty international. Abschlieszende Erkenntnis zu diesem Land: Floristerei ist des Russen starke Seite nicht.

Transsib: Irkutsk, Baikalsee und Farkasch S. Lumumba

Schon in Yekaterinenburg fielen mir Plakate auf, die fuer ein Konzert von Deep Purple warben. Auch in Irkutsk wird diese Band demnaechst auftreten. Vermutlich tingeln sie auf ihren alten Tage einfach mal durch Sibirien und taugen inzwischen nicht einmal mehr dazu, OBI-Baumaerkte in Wanne-Eikel zu eroeffnen. Sogar im Radio wird fuer das Konzert geworben, was auffaellig ist, da hier ansonsten keine Rockmusik gespielt wird. Die Jugend wird diese Band dadurch aber auch nicht naeher gebracht, ich wuerde auf ein aelteres Publikum spekulieren.

Insgesamt ist scheint hier in Russland der ganze Schrott zu landen, der bei uns nicht mehr taugt. Der Bus, der uns heute vom Baikalse ins 70 km entfernte Irkutsk zurueckbrachte, bekommt in Deutschland niemals mehr eine Zulassung. Davon, dass er auf deutschen Strassen unterwegs war, kuenden Aufkleber wie “Wuppertal gruesst aus dem Bergischen Land" oder einfach “Bonn” (bei dem Thema: Sehr schoen auch ein Aufkleber "Wir in NRW” mit dem Nordheinwestfalen-Wappen). Im Gorki Park in Moskau sind ein paar Fahrgeschaefte aufgestellt, die ausserdem ihren Ursprung in Deutschland haben – die Schiffsschaukel “Traumschiff” gleicht verdaechtig einer namensgleichen Attraktion im Safaripark Stukenbrock. Auch der Name der daneben aufgstellten Mini-Achterbahn “Silbermine” sprich Baende.

Der schlimmste und penetranteste Westimport besteht auf dem Musiksektor. Schon laengst in Vergessenheit und Ungnade gefallen Popbands wie C.C.Catch, Scorpions, Modern Talking oder Dschinigs Khan werden hier immer noch gerne gespielt bzw. ihre Platten stehen zum Verkauf in den Laeden. Von diesen Klaengen inspiriert hat sich eine eigene Popmusikrichtung etabliert, welche nach dem bekannten Prinzip des Bohleschen Fleischwolfs funktioniert: Fragmente von Text oder Melodie werden durch einen Fleischwolf gedreht und so lange zu einem neuen Stueck zusammenmontiert, bis am Ende etwas bohlenmaessiges dabei herauskommt. Originell ist eine Mischung aus “Daylight” (No Angles) und dem Lied “Your in the Army now” , unterlegt mit schnelleren Rythmen. Beim Hoeren stoesst man so immer wieder auf Bekanntes. Inzwischen sind Markus und ich Vollprofis auf dem Sektor Russische Popmusik. Schon nach drei Takten wissen wir, welches Lied gespielt wird und wie der Refrain lautet - auch wenn wir ihn nicht verstehen. Mir gefaellt das Lied mit dem Refrain “OI OI OI” sehr gut.

Zigaretten ausmachen auf Russisch: Die brennende Zigarette wird einfach in einen Muelleimer geschnippst – fertig. Meistens werden brennende Muelltonnen ignoriert, einmal habe ich einen wenn auch halbherzigen, Loeschversuch beobachten koennen: Zwar war das Feuer nicht ganz geloescht, aber es qualmte weniger als zuvor.

Bei einem Spaziergang durch Irkutsk werde ich von einem Kamerateam angehalten. Die Frage, die mir von der Reporterin gestellt wird, verstehe ich nicht. Sie scheint aber auf meinen St.Pauli-Totenkopf auf meiner Muetze zu schauen und laechelt dabei wissend. Natuerlich – die Siegesserie des FCs hat sich auch hier in Sibirien laengst herumgesprochen. Also laechel ich in die Kamera und erklaere mich mit der aktuellen Situation des FCs sehr zufrieden – trete jedoch gleichzeitig mahnend auf die Euphoriebremse, denn nach zwei Siegen in Folge ist es wohl doch noch etwas verfrueht, das wort Aufstieg in dem Mund zu nehmen. Die Reporterin bedankt sich und ich ueberlege, ob dieses Interview wohl wirklich gesendet werden wird.

Zum Essen: Doener kann der Russe nicht. Fleisch in homoeophatischen Dosen wird mit diversen bunten Saucen zugekleistert. Aber gut sind die rusischen Schaschlicks, an die sich inzwischen auch mein Magen gewoehnt hat. Nach drei Tagen Schaschlick in Folge ziehe ich jedoch die Notbremse, werfe ein paar Vitamintabletten ein und beschliesse, meine Ernaehrung etwas weniger einseitig zu gestalten.

Dazu bietet der Baikalsee eine hervoragende Moeglichkeit. Spezialitaet ist der Omul, ein etwa heringsgrosser Fisch, welcher nur hier im Baikalsee lebt und gefangen wird. Dieser wird auf der Strasse zum Verkauf feil geboten. Er schmeckt herrlich und kann in den folgenden drei Formen gegessen werden: gerauechert, gerauechert als stockfisch (etwa zaeher, schmeckt ungefaehr wie ein Fischkaugummi) oder tiefgeforern als Eis im Hotel Baikal. Was demnaechst die Omul-Monokultur auf meiner Speisekarte abloesen wird, weiss ich jetzt noch nicht.

Omul als Stockfisch und Brot ist immer im Rucksack, wenn Markus und ich auf Wanderschaft gehen. Wir haben das Kaiserwetter und vor allem die richtige Jahreszeit erwischt: Keine Muecken und die Waelder strahlen in den buntestens und frischesten Herbstfarben. Am Suedufer sind schneebedeckte Berge zu erkennen. Markus tippt auf die Alpen, ich bin mir da nicht so sicher – vielleicht doch eher der Himalaya? Muss ich bei naechster Gelegenheit mal im Weltatlas nachschlagen.

Wieder einmal kein Glueck habe ich mit Goldgraeber Staedten. Schon vor drei Jahren im Desert Valley gings schief, als ich auf der Suche nach einer verlassenen Goldmine nach dreistuendiger Wanderung umkehren musste. Dieses Mal wollten wir in ein 15 Kilometer entferntes Goldgraeber Staedtchen an der Westkueste des Baikalsee wandern. 15 Kilometer musste Luftlinie sein, denn nach vier Stunden waren wir noch immer nicht am Ziel. Die mitgebrachten Getraenke waren schnell aufgebraucht, und wir mussten 4 Stunden muehselig zuruecklaufen. Markus rationierte die staubig schmeckenden "Dextro Energen" Traubenzucker und so schafften wir es erschoepft aber gluecklich wieder zurueck.

Einen solche Wanderung habe ich bisher nicht gemacht: Meistens bestand der Weg aus 30 cm schmalen Pfaden, auf der einen Seite ein Hang und auf der anderen tief unten der Baikalsee. Manche Passagen hatten keine Wege und mussten Schritt fuer Schritt erklettert werrden. Der Ausblick entschaedigte jedoch fuer alle Muehen. Mit einem Schiff benoetigt man nur 30 Minuten bis zu der Stelle, an welcher Markus und ich nach vier Stunden ergebnislos umgekehrt sind. Die Kliffs sind aus dieser Perspektive beeindruckend und Respekt einfloessend, kaum zu glauben, das man selber dort einmal ohne abzurutschen durchgelaufen ist.

Das Wasser des Baikalsees ist ein Gedicht. So klar, dass man bis auf den Grund schauen kann. Etwas kalt - im Sommer maximale 15 Grad. Alle Krankheiten und Gebrechen (z.B. Zecken von der Wanderung) fallen von mir ab, als ich im Baikal ein Bad nehme. Erst nach mehreren Versuchen schaffe ich es, 30 Sekunden am Stueck im Wasser zu bleiben. Das Wasser ist kalt wie ein Kneippbecken, und genauso erfrischt fuehlt man sich auch nach dem Bad. Besser noch: Ich hatte eine Erleuchtung und der Herr sprach zu mir waehrend des Bades und befahl mir, meinen Namen zu aendern und eine Sekte zu gruenden. Ab sofort heisse ich also Farkasch S. Lumumba. Grundlage meines Glaubens ist nebem dem Paradigma der Vielweiberei der Text der Bibel. Natuerlich behalte ich mir vor, zukuenftig spezielle Passagen zu aendern oder anzupassen (z.B. die 10 Gebote, oder ein paar neue Psalme die mich preisen).

Zukuenftigen Juengern moechte ich an dieser Stelle eine erste Vision und Prophezeiung mit auf den Weg geben: Der erleuchtete Farkasch S. Lumumba sieht, dass St. Pauli auch die naechsten 3 Spiele (Arminia Bielefeld, …) ungeschlagen bleiben wird. Zur Haelfte der Hinserie wird der FC maximal 5 Punkte Abstand zu einem Aufstiegsplatz haben.

Warum der Baikalsee immer als schwermuetig gilt, will mir nicht aufgehen. Fuer mich ist er ein sehr lustiger Geselle, der sich waehrend unseres Besuches von der Besten Seite praesentiert. Moskau und der Baikal, der Anfang und das Ende unseres Trips durch Russland, waren die groessten Highlights bisher. Weiter rein nach Asien, nach China ueber die Mongolei, geht es in den naechsten Tagen



14.9.04

Markus Altekrueger: Bericht aus Irkutsk - Russland III: Entwicklungshilfe zwischen Enten- und Blattfedern

Beim Verfassen meines letzten Berichts habe ich tatsaechlich in einem Internetamt gesessen, das war kein Witz. Wir haben in Ekaterinburg mit seinen 1.5 Mio Einwohnern kein Internetcafe gefunden! Lediglich im Keller des Hauptpostamts, hinter zwei schweren, 1,70m niedrigen Stahltueren befinden sich 3 Arbeitsplaetze, die von einem Operator kontrolliert werden, der die ganze Zeit bei allrussianmodels.com surft und sich die online banking-Passwoerter seiner Kunden zieht. Macht mir schon mal ein paar Schecks klar.

Ansonsten ist Ekaterinburg eine sehr schoene Stadt, die mit ihrem innerstaedtischen See, den vielen Bruecken und praechtigen Haeusern an Hamburg erinnert. Leider lagern in den Straszen 60% der Weltdreckvorkommen, die bei Regen die Stadt in eine einzige Schlammwueste verwandeln. Und da es haeufig regnet, verzichten die S-Klasse-Besteller hier im Vergleich zu den Moskauer Kollegen auf die Option Verdunkelte Fensterscheiben, da Schlamm die Arbeit von Heckenschuetzen effektiver erschwert.

TRANSSIB
Nach dem zarten Huegelkettchen Ural stehen nun Birkenwaelder an. Ich weisz nicht, was ihr zwischen Freitag abend 19:36 Uhr und Montag morgen 04:20 Uhr gemacht habt. Wir sind Bahn gefahren, quer durch Russlands Birkenwaelder mit der Bummelbahn 340, die im Vergleich zu den anderen Transsib-Zuegen 8 Stunden laenger nach Irkutsk braucht. Aber macht ja nix, es gibt ja viel Abwechlungsreiches zu sehen (Birkenwaelder). Das Reisebuero hats verbockt, aber darueber will ich mich an dieser Stelle nicht auslassen (Hals).Aus dem 2 x 1,80 Meter groeszen Abteil bewegt man sich eigentlich nur raus, um auf Toilette zu gehen und um einen Blick in das abstoszende Zugrestaurant mit seinem gelangweilten Personal (die armen Schweine muessen ihr Berufsleben lang durch Birkenwaelder fahren) zu werfen. Da jeder von uns 17 Kilo Tuetensuppen eingepackt hat, muessen wir also nicht mal zum Essen unser Abteil verlassen.Tatsaechlich verbringen wir unsere Zeit auf der 180 x 60 cm groszen Pritsche. Das ganze hat also was von Knast an sich und wir haben, alle Bahnhofsaufenthalte zusammen gerechnet, taeglich eine Stunde Freigang. Wenn wir den Zug dann verlassen, verhalten wir uns wie Tiere in Gefangenschaft, die nach Jahren aus dem Kaefig gelassen werden: Wir steigen aus, bewegen uns in einem Umkreis von max. 10 Metern voellig ziellos und unsicher hin und her und sind froh, wenn wir von der Provodnitsa wieder in den Zug zitiert werden. Zu allem Ueberfluss musste ich mich von der Provodnitsa gleich zu Beginn der Fahrt schuriegeln lassen, hielt ich die Gesetze der Physik auch in den Transsib-Zuegen fuer gueltig und versuchte es erst gar nicht, mein Kopfkissen mit dem Volumen V in den Bezug mit dem Volumen V : 3 zu quetschen. Da die Zugbegleiterin von Naturwissenschaften nicht viel Ahnung hat, schert sie sich einen Dreck darum und hebelt mir nichts dir nichts diese Gesetze aus! Das Ergebnis: Joerg schwoert Stein und Bein, dasz das Fuellmaterial der Kissen Federn sind. Nach meinem Gefuehl kann es sich nur Blattfedern aus dem Fahrwerksbau handeln.Ich bin kurzzeitig etwas nervoes: Das Abteil nebenan beherbergt 2 finstere Gesellen, wie man sie in den schlammueberzogenen S-Klassen vermutet : Der eine verfuegt ueber Oelquellen, was ich an der Menge von Rohoel, welches er sich in die Haare geschmiert hat, zweifelsfrei festmachen kann. Der andere ist ein 2-Meter-Huene, der sich von James Bonds Beisser lediglich im Material seines Zahnersatzes (die Front ist komplett aus Gold) unterscheidet. Waehrend sich Beisser ganz auf seine Kauleiste verlaezst, scheint der Leibwaechter des Oelprinzen der Leistung seines Zahnarztes nicht ganz zu trauen, und verschafft sich mittels einer fetten Wumme weiteren Respekt. Pistolero traegt seine Knarre meist unter e! inem Jackett; aber in der Raucherecke traegt er sie offen mal vorne, mal hinten unterm Guertel. Ich befolge den Rat Joergs und fuehle mich kurzerhand einfach sicherer.

Zwischen Joerg und mir ist ein Richtungsstreit bezueglich der Tuetensuppen entbrannt. Waehrend ich Nudelgerichte bevorzuge (die Nudel ist zweifelsfrei der Mercedes unter den Saettigungsbeilagen), steht Joerg auf schleimige Kartoffelbruehen, wie sie Blinddarmpatienten nach der OP gereicht werden. Ich sehe mich als moralischen Sieger, da die Nudel 6 Kohlenhydrate mehr hat als die Katrtoffel; sowas kann man bei einer Zugfahrt ausrechnen.Weiterer Zeitvertreib: Aus dem Fenster schauen (Birkenwaelder), liegen, Mau Mau, Schach, Panzer- und LKW-Quartett spielen, Titanic-Artikel rezitieren (siehe unten) und dem Mann zuhoeren, der im Nebenabteil seit 2 Zeitzonen schnarcht. Wer eine gebrauchte Garage sucht, wird uebrigens in Krasnojarsk fuendig werden.

Wir sind endlich in Irkutsk angekommen und die Sonne pruegelt mit 30 Grad auf uns ein. Zunaechst erschuettern uns 2 Kulturschocks: Auf dem Markt werden Rucksaecke mit Hansa Rostock- und Karlsruher SC-Emblemen vertickt. Das muss doch nicht sein! Ein weiterer Kulturschock der anderen Art: Mich plagen hier Minderwertigkeitskomplexe, da hier keine Frau kleiner als 1,80 m ist. Aber Irkutsk rockt! Zwar mit grauenhafter russischer Schlagermusik, dafuer aber unter freiem Himmel auf einer Insel. Wir sind zwischendurch zu einem der DJs gegangen und haben eisenharte Rockmucke gefordert. Ganz im Sinne der Voelkerverstaendigung kam man der Bitte umgehend nach und spielte das, was man hier unter Rock versteht: Original verzerrenden, synthesizerlastigen Coverschleim, der von der russischen Schlagersuelze nicht zu unterscheiden ist und bei dem die wasserstoffblondierten Frisurenmonster einfach weitertanzen. Und da hier die alte Gleichung Rockmusik+Haare=Drogen noch Bestand hat, wurde uns kurz darauf ein ganzes Arsenal angeboten. Wir haben die Verbrecher den Behoerden uebergeben.Nach einigen Bieren war ich so aufnahmefaehig wie hiesiges Toilettenpapier und habe gar nicht die Sinnlosigkeit bemerkt, mir eine Telefonnumer aufzuschreiben, haben wir uns doch schon gegenueber sitzend nicht verstaendigen koennen.War also aeuszerst lustig gestern.

Ich habe noch gar nicht erwaehnt, dasz wir uns 2 Fuszballspiele angesehen haben:- WM-Qualifikation Russland - Slowakei, Stadion Dynamo Moskau (1:1)- Spitzenspiel 2. russische Liga: FK Ural Ekaterinburg - Nosta, Stadion Uralmasch (3:1)Beide Spielstaetten haben Ihre Glanzzeit hinter sich und weisen uebereinstimmende Anzeichen tektonischer Verschiebungen auf. Kurven und Geraden verfuegen alle ueber 6 Laufbahnen, wobei die Bahnen der Geraden gegenueber denen der Kurven um 3 Bahnen nach auszen verschoben sind. Vielleicht ist das der Grund, weswegen die russischen 400-Meter-Sprinter nix mehr reiszen.Unserem Auftrag als Entwicklungshelfer nachkommend, haben wir den Ekaterinburgern die Technik des Wechselgesanges beigebrach! t (Joerg: "Uralmasch", ich: "Uralmasch", Joerg: "Uralmasch", ich: "Uralmasch", Joerg: "Uralmasch", ich: "Uralmasch"...­). Man war beeindruckt und dankte uns mit den Worten: "Ein deutscher Unteroffizier gibt niemals auf!". Unsere Message ist also angekommen.Wir haben uns vorgenommen, einen Artikel fuer den Uebersteiger zu schreiben. Vielleicht kriegen wir es auf die Reihe.

Morgen geht's weiter zum Baikalsee. Vielen Dank fuer die schoenen Nachrichten aus der Heimat, die ich die letzten Tage bekommen habe. Sie erfreuen das Herz und erheitern in diesem Entwicklungsland des Laechelns. Aber bitte keine weiteren Luegengeschichten mehr ("Agu stand beim 3:0 nicht im Abseits", also echt)!Forza St. Pauli!

Nur fuer Insider und Interessierte: Unsere Hitparede der 10 besten Titanic-Artikel der vergangenen Jahre- Ingeborg-Sheherezade-Preis (Teppichprosa)- CSU-Promilleliste- Noch erfol! greicher mit Ferris M. Buehler- Rock und Schlager fuer Leukin (akt uelle Ausgabe!)- Titanic holt die WM 2006 nach Deutschland- Das FDP-Wahlkampfteam: Judenfrei und Spasz dabei, Gib endlich Fried, Man!Telefonaktionen:- guenstiges Hackfleisch von British Beef ("Wieviel koennen sie denn liefern?")- Polenstrom- Peter Frey jun. telefoniert seine DVU-Kandidaten ab ("Ihr Arierausweis liegt nicht vor."­)- GEZ-Gebuehrennachforderungen im Osten seit 1970 ("Sie haben doch auch Westfernsehen gesehen, oder etwa nicht?")

13.9.04

Transsib: Yekaterinenburg nach Irkutsk

Yekaterinenburg ist an grossen Attraktionen eher arm (trotzdem es eine sehr schoene Stadt ist). Die wenigen schauen wir uns an. Eine Attraktion sind zwei faustgrosse Truemmerteile des US Spionageflugzeuges, welches 1961 hier abgeschossen wurde. Ausserdem gibt es im Hof des Militaermuseums ein paar vor sich hinrostende Panzer zu bestaunen. Die Museumstanten freuen sich, das endlich mal Besuch kommt. Stolz zeigen sie mir die Uniformreste eines deutschen Spions der hier im 2. Weltkrieg umgedreht (und spaeter umgebracht) wurde. Als Spion hatte man in dieser Stadt vermutlich kein sehr gutes Leben.

Ganz grosser Fussball wird im 2.Liga Spitzenspiel Ural Ekaterinenburg gegen Nosta geboten. Die Vereinshymne ist angenehm rockig, “Ural, dawai….” feuert der Saenger seinen Verein an, jedoch singt keiner im Stadion mit. Ungefaehr 2000-4000 Zuschauer haben sich ins unbedachte komplett besitzplatzte U-foermige Stadion gewagt. Bier gibts aus Dosen, meistens auch selbst mitgebracht. Statt Brattwuersten werden Schaschlicks gebraten. Ordner gibt es dieses mal uebersichtliche 10 Mann, da sich aber kein Gaestefan ins Stadion traut und die Russen sehr friedlich die Partie verfolgen, gibt es hier auch keine Probleme. Fuer 1,5 Euro bekommen wir ein ansehnliches Spitzenspiel mit vielen Toren, welches Ural Ekaterinenburg am Ende mit 3-1 fuer sich entscheidet, zu sehen. Nach dem Spiel enttarnt uns ein Zuschauer als Deutsche. “Herr Unteroffizier” spricht er uns an, gibt uns dann den Rat “Niemals aufgeben!” und nuckelt genuesslich an seinem Loewenbraeu-Bier. Anscheinend waren es die einzigen Worte, die er auf Deutsch kannte. Kurz noch diskutieren wir mit ihm die aktuelle Tabellensituation und verabschieden uns dann Richtung Bahnhof.

Heute regnet es und Yekaterinenburg ist eine einzige Schlammwuesste. Woher der viele Staub kommt ist mir unbegreiflich, es sieht aus wie in einer Grossbaustelle. Vermutlich schleppen die Autos den Dreck jeden Tag in die Stadt, denn nur in den Staedten sind die Strassen in Russland asphaltiert.

Der Ural stellt ja die Grenze zwischen Asien und Europa dar. In Asien habe ich bisher ausserdem noch kein McDonalds gesehen. Was sich ausserdem noch geaendert hat sind die Hocktoiletten. Mann stellt sich in die Hocke ueber ein Plumsklo und laesst die Scheisse dann in das Loch fallen. Ein einfaches und Kloschuessel sparendes Prinzip. Mein erster Versuch schlaegt fehl und der vom Schaschlick verursachte Duennschiss landet an der Wand der Bahnhofstoilette. Uebervorsichtig wie ich war, habe ich den Hintern zu weit nach hinten gedrueckt. Fuer Europaer, die sich demnaechst auf den Weg nach Asien machen, bietet es sich an, die richtige Technik zu Hause zu ueben: Dazu einfach den Klodeckel oeffnen, auf die Brille stellen und langsam hinhocken. Dann veruschen, das Loch zu treffen und die Kleidung (Hose!) nicht zu beschmutzen. Evtl. sollte man dieses nicht auf der eigenen, sondern zunaechst auf einer fremden Toilette (Bahnhofstoiletten eignen sich hervorragend, da sie in der Regel schon von selbst sehr dreckig sind, sonst vielleicht beim Arbeitgeber oder bei Freunden) ueben.

Beliebt ist hier auch das Sitzhocken. Wenn man zu lange gestanden hat und sich ausruhen moechte, so gehen die Leute hier einfach in die Hocke – dabei bleibt der GANZE Fuss (und nicht nur der Ballen) auf dem Boden. Ich versuche es auch und kippe um.

Mit dem 340er geht es auf den laengsten Streckenabschnitt. Von Freitag Abend bis Montag Mittag werden wir in diesem Zug nach Irkutsk fast 3 Tage verbringen. Nach uber 12 Stunden duerfen wir den Zug das erste Mal in Omsk verlassen. Die Bahnhoefe in dieser Region sind im feinsten “Omsker Tuerkis” gestrichen (spezieller Farbton, entsteht durch Mischung der Farben Lindgruen, Tuerkis und Eitergelb). Was reitet den Russen bloss, ohne Not seine Haeuser in derart haesslichen Farben zu streichen? Vielleicht ist dies der Farbcode einer ganzen Region, denn bis Omsk wurde alles in hellblau gestrichen – ab hier bis Novosibirks ist alles Omsk-Tuerkis. Der 340er haelt buchstaeblich an jeder sibirischen Giesskanne, weshalb er auch 8 Stunden laenger braucht als der Expresszug den wir vorher nehmen wollten. Angeblich hatte dieser keine 1. Klasse Abteile, was dem Reisebuero genau 3 Wochen (nachdem sie unsere Buchung schon 3 Monate hatte) vor unserer Reise ewtas spaet aber nich zu spaet aufviel. Bitte bucht NIEMALS Tickets ueber das GO EAST Reisebuero!

Die Prodvornitsas sind diesmal sehr jung. Und extrem gelangweilt (zumindest die mit der Nachtschicht). Die Kippen tuermen sich in den Aschenbecher-Krippen, gesaugt wird alle 2 Tage (sonst 2 Mal am Tag). Wir sehnen uns nach dem harten und sauberen Regime aus dem letzten Zug zurueck. Immerhin wird Markus gezeigt, wie man ein Kopfkissen bezieht. Wegem schlechten Service verzichten wir dieses Mal darauf, die mitgebrachte Milka-Schokolade als Gastgeschecnk zu ueberreichen. Vor lauter Frust ob der vollen Aschenbecher beschliesse ich spontan, mit dem Rauchen aufzuhoeren. Der eigentliche Grund ist aber wohl der, dass ich die zollfrei eingekaufte Stange aus dem Hinflug inzwischen aufgeraucht habe.

Im Abteil neben uns faehrt ein Geschaeftsmann, welcher staendig an seinem Handy haengt. Zu seiner eigenen Sicherheit hat er einen Pistolero eingestellt. Dieser laesst den Griff seiner Handfeuerwaffe aufreizend laessig aus dem Hosenbund haengen. Im Mund traegt er soviel Gold wie der Beisser aus James Bond Stahl. Ganz nebenbei hat er auch die Koerpergroesse des Beissers, anders als dieser traegt er aber einen Oberlippen-Raeuberbart. In seiner Naehe fuehlen wir uns in diesen unsicheren Zeiten geborgen wie in Abrahams Schoss. Leider steigt er in Novosibirsk aus. An seiner statt tritt ein neuer Fahrgast, dessen Schnarchen lauter ist als die Fahrgeraeusche des Zuges. Eine beachtliche Leistung.

10.9.04

Markus Altekrueger: Bericht aus Yekaterinenburg

Vier Augen sehen mehr als zwei, deshalb an dieser Stelle ein Reisebericht aus Matzes Perspektive:

Anbei einige schnell zusammen geschusterte Eindruecke der letzten Tage; ich sitze im Sverdlowsker Internetamt mit 3 Arbeitsplaetzen und die Uhr tickt …

Wir hatten seit unser Ankunft fast permanent schoenes Wetter in Moskau. So konnte man die Flugzeuge mit dem Catsan-Werbebanner ueber der Stadt gut erkennen.

Catsan-Werbebanner ueber Moskau?

Richtig gelesen: Catsan ist zu meiner Ueberraschung der Hauptsponsor des 857. Moskauer Stadtgeburtstags und seine Produkte Garant fuer das stest gute Wetter der letzten Tage. Wie zu den guten alten sowjetischen Maifeiertagen werden zur Sicherstellung guten Wetters Flugzeugstaffeln in den Himmel geschickt. Diese lassen von oben Catsan-Katzenstreu auf die Wolken rieseln, die die Feuchtigkeit aufnehmen und zu Boden fallen und so die Wolken vor Erreichen der Stadt aufloesen.

So schlieszt sich der Kreis.

Wo wir schon bei unterschaetzten deutschen Markenprodukten sind, hier noch eines obendrauf:

Was die entwickelte sozialistische Gesellschaft einfach nicht kannte - und was daher nie ein Problem war - scheint nun dringlich zu sein. Calgon sensibilisiert in landesweit ausgestrahlten TV-Spots die Bevoelkerung zum Thema Lochfrasz mit dem sattsam bekannten Sangestext: Waschmaschinen leben laenger mit Calgon ding ding. Willkommen in der Ueberflussgesellschaft, die hier in Form eines sympathischen Waschmaschinenmeister ohne Raeuberbart daher kommt.

Jedem Moskau-Besucher sei ein Besuch des Parks VDNKh ans Herz gelegt. In 69 Pavillons aus allen Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts erwartet den Interessierten eine Leistungsschau des Sozialismus sowie der Sowjetvoelker selbst. Produkten, Landwirtschaft, Wissenschaft und Technik sind diese Gebaeude gewidmet, die im Detail aufwendig verziert sind mit den Insignien von Partei und Staat. Volle Kanne kitschig, aber ich fand’s schoen.

Im Innern der Hallen dann die groeze Ernuechterung: Anstatt Informationen zum Volk der Tadschiken zu liefern, betreiben selbige schwunghaft Handel mit billigsten Autoradios, Straszenbahnsystemen und Klamotten. Lediglich Exponate zum Thema Kosmonautennahrung sind zu bestaunen, fuellen aber gerade mal 1 Glasvitrine, da es sich um relativ junge Kueche handelt.

Ansonsten ist die Lage in Moskau aeuszerst angespannt. Nachdem es letzte Woche zu einem Selbstmordattentat in einem Metroeingang kam und darauf dem Geiseldrama in Beslan, sind vor jedem Gebaeude, das oeffentlich zugaenglich ist, jedem Parkeingang und jedem Metroeingang Sicherheitskraefte von Polizei, Militaer, Militaerpolizei und Polizeimilitaer postiert. Ueberall stehen Metalldetektoren, vor Restaurants und Bars finden Taschenkontrollen statt. Am Tag unserer Abreise waren Kreml und Roter Platz abgesperrt, spaeter auch das Gebiet um unser Hotel. An fast allen Straszenkreuzungen stehen Mannschaftswagen, in denen sich Soldaten hinter zugezogenen Gardinen langweilen. Angeblich wurde ein Anschlag erwartet. Die Zeitungen sprechen von 40% Reisestornierungen nach Russland.

Da auch kein Taxi zum Hotel fahren durfte, mussten wir wieder mal mit dem Gepaeck zu Fusz gehen.

Einsteigen in die Transsib nach Sverdlowsk. Stilsicher wie ich bin folge ich dem Rat meines Transsib-Reisefuehrers, wonach alle reisenden Russen in Trainingsanzuegen unterwegs seien, und stuelpe mir die Nike-Ballonseide in violett/gruen von 1990 ueber. Damit habe ich endlich die Berliner U-Bahn-Sitzbezuege getoppt!

Unser 1. Klasse-Abteil ist flauschig eingerichtet, das Teeservice mit dem Zug- und Routennamen verziert und die Waende gefallen im klassischen Holzdessin. Nur der Flachbildschirm mag sich so gar nicht akklimatisieren und stellt – ebenso wie Joergs zahlreich zum Trocknen aufgehaengte Unterhosen - einen Fremdkoerper in dieser Harmonie dar.

So stramm wie die Provodnitsa (Zugbegleiterin) ist auch ihr Regiment: Sie demonstriert uns, wie die Schuhsohlen abgeputzt werden, verbirgt den geschmackvollen Teppich im Gang unter schuetzendem Velours und schickt uns an jeder Station 10 Minuten vor der Weiterfahrt in unser Abteil zurueck.

Wir benoetigen etwas Zeit, um uns einzugewoehnen. Vertraute Dinge des Alltags arten zu lebensgefaehrlichen Vabanque-Spielen aus. Ich habe in meinem Leben ja schon Minen geraeumt, Beeren erlegt und das Musikantenstadl ueber mich ergehen lassen. Aber das Gieszen von kochendem Wasser aus einer russischen Kanne in eine russische Tasse in einem russischen Bahnwagen auf einem russischen Gleisbett hat mich das erste Mal in meinem Leben zum Schwitzen gebracht.

Die erste grosze Ueberraschung erwartet uns auf dem Bahnsteig unserers ersten Halts. Dort werden uns Glasblumen, Kristallglaeser, Teeservice, Vasen, Stehlampen, Glaesersets, Riesenteddies, Glasgloeckchen- und-schalensets, Messing-Trinkgefaeszsets, ausgestopfte Bussarde und Iltisse, Mammut-Blumentoepfe und Kronleuchter (KRONLEUCHTER!!) aufgezwungen. Alle Offerten eint: Sie sind sperrig, schwer, grosz, nicht zu verpacken und voellig intransportabel. Entweder hat man die Systematik von Angebot und Nachfrage noch nicht verstanden oder - ja nix oder.

Ausfluechte laeszt auch eine Deckenfluterverkauferin nicht gelten, die meine Solvenz gewittert hat und nach dem zehnten NJET immer aggressiver wird und beginnt, mich anzuschreien. Offenbar wird auf diesem Wege eine Nachfrage erzwungen, womit wir die Antwort auf die obige Frage haben.

Das Abteil kann nicht gelueftet werden. Da Joergs Unterhosen den Sauerstoff aufgezehrt haben, werden im Abteil an alle, die nicht arbeiten, Kalipatronen verteilt. Der Blick aus dem Fenster entschaedigt jedoch: Endlose Birkenwaelder, runtergekommene Doerfer und gelegentlich verlassene Fabrikanlagen. Da Russland in der Matschproduktion weltweit fuehrend ist, werden Kinder schon von Kleinauf an den Umgang mit diesem wertvollen Rohstoff gewoehnt.

Ansonsten passiert nichts und wir haben viel Zeit. Der Italiener im Nebenabteil hoert seit 18 Stunden Al Bano und Romina Power und vor dem Fenster tummelt sich bolschewistische Flachdacharchitektur zwischen unbefestigten Straszen. Im Gegensatz zu mir hat sich der Stoff meiner Hose noch nicht an das Klima angepasst und verfaellt zusehends. Ihr koennt mich jetzt den Teufelsnaeher vom Ural nennen.

Aporpos Ural. Der ist als Gebirge eine einzige Enttaeuschung und wird seiner Bedeutung als Trennlinie zwischen Europa und Asien nicht im Entferntesten gerecht. Ein Hoch auf den Teutoburger Wald, der nicht den Macker raushaengen laesst und ehrlich und bescheiden seinen Pflichten nachgeht.

Da der Ural als Kontinentalgrenze nix taugt, haben die russischen Behoerden reagiert und an den Grenzsteinen Schilder mit Aufschriften wie “War schoen mit Ihnen – Ihr Europa” oder “Asien – Kiek mol wedder in!” aufgestellt.

Nach 26 Stunden Fahrt und mit 8 Minuten Verspaetung erreichen wir Sverdlowsk, was sich seit mehreren Jahren wieder Ekaterinburg nennt, was aber offenbar keinen interessiert, da im ganzen Stadtbild ausschlieszlich der Name Sverdlowsk verarbeitet wird. Dasselbe gilt fuer die Straszen, die offiziell neue Namen haben, allerdings nach wie vor mit Straszenschildern a la Ulitsa Karla Liebknechta ausgestattet sind. Diese Konfusion setzt sich in den Straszenkarten und Reisefuehrern fort, weswegen sich es unser Hotel nicht nehmen laeszt, uns am Bahnhof abzuholen, in einen Kleintransporter zu draengen und direkt bis zum Hotel zu fahren. Kostenpunkt: 17 US-Dollar fuer 2 Kilometer.

Nach dem Plattenbausiedlungs-Hotel mit 8000 Zimmern und dem sowjetischen Prestigebunker Rossija mit seinen 280 Meter langen Fluren haben wir es nun etwas persoenlicher. Der Hotelpraesident empfaengt uns mit Handschlag und weist uns eines von 5 Zimmern zu. Es ist das Hotel der Akademie der Geologen (“Halt durch Geolog, gib nicht auf Geolog”) und ist eigentlich kein Hotel, sondern eine Unterkunft fuer Geologiestudenten. Die Frage, was den Geologen reitet, dass er die Drehknaufe saemtlicher Tueren unseres Apartements abmontiert und fein saeuberlich auf die Fensterbank legt und genau so mit den Griffen der Schubladen verfaehrt, geht unter vor dem Problem fehlender Frischwasserzufuhr. Auf der Suche nach den wertvollen Erzen im tauben Gestein haben die Geologen in Ihrem sprichwoertlichen Eifer offenbar eine Wasserleitung gekappt. Doch da Russland voll ist mit Leitungen uebernimmt einfach die Hotelleitung die Aufgabe der Wasserleitung und stellt eine Flasche Wasser neben die Toilette.

Das Amt draengt, Feierabend Hombres!

9.9.04

Transsib: Moskau - Yekaterinenburg

Endlich die lang erwartete Zugfahrt auf der Transsib von Moskau nach Yekaterinenburg. Wir wollen mit einem Taxi vom Hotel zum Bahnhof, doch heute wimmelt es in Moskau nur so von Sicherheitskraeften. Zunaechst wird nur der Rote Platz abgesperrt, immer mehr Soldaten und andere Sicherheitskraefte sperren dann in den Stunden danach in Spiralform die komplette Innenstadt ab. Als Markus und ich nach einem gepflegten Tischkicker-Spiel zum Hotel kommen, sind keine Taxis mehr verfuegbar und keine Autos in den Strassen. So legen wir auch die letzten Meter vom Hotel zum Bahnhof mit vollem Gepaeck in der uns inzwischen gut bekannten Metro zurueck.

Auch am Bahnhof wird in diesen Tagen das Thema Sicherheit ganz gross geschrieben. Wird das Gleis eines Zuges bekannt gegeben, so setzt sich sofort eine Karawane von Menschen mit viel Gepaeck in Marsch, im Durchschnitt kommen auf einen Reisenden 6 Taschen, die um die 150 kg wiegen muessen. Ich verstehe den Reisefuehrer, welcher die Situation beim Besteigen eines Zuges mit den Worten, “die Russen steigen nicht in einen Zug ein, sie besetzen ihn”beschreibt. Nach fuenf Minuten erscheinen Sicherheitsbeamte und riegeln das Bahngleis ab. Ohne Fahrschein und Kontrolle der Taschen kommt ab jetzt niemand mehr auf den Bahnsteig. Diese Kontrolle laesst sich aber leicht umgehen indem man wartet: Sind beide Sicherheitsleute mit Kontrollen beschaeftigt, so kann man an diesen vorbei ungeprueft auf das weitere Bahngleis maschieren.

Kommt der Zug in einem Bahnhof zum Halten, so stuerzen sich anwesende Einheimische auf die aussteigenden Fahrgaeste und bieten diesen diverse Produkte zum Verkauf an. Beim ersten Halt des Zuges in Vokova wird ausschliesslich billiger und kitschiger Tand angeboten: geschmacklose Glas/Kristall-Services (beliebte Farben: Tuerkis, Violett oder Pink), Kronleuchter, Rosen aus Glas und ausgestopfte (vermutlich auch selbst gefangene) Iltisse, Bussarde und Eulen. Markus fluechtet in den Zug und holt sich lieber frisches Bier als eine Verkaeuferin ob seines mehrfach geaeusserten Desinteresses an ihrer Ware ungehalten und pampig wird. Ein freundlich vorgebrachtes “Njet, spasiba” wird nicht immer verstanden.

Schon nach 300km stinkt unser Abteil wie ein ungesaeuberter Otternkaefig. Vielleicht waere der ausgestopfte Iltis doch eine gute Investition und prima Alibi gewesen. Ursaechlich verantwortlich fuer den Geruch sind neben Koerperausduenstungen (Klimanalage und kein Fenster zum oeffnen, ein klarer Konstruktionsfehler) meine zum Trocknen aufgehaengten, handgewaschenen und klammen Unterhosen und Socken. Das Raumklima bessert sich zusehendes nach entfernen dieser als sie getrocknet sind.

Zum Takt der Bahn auf den Gleisen laesst es sich prima schlafen. Auf dem Ruecken liegend hat man dabei ausserdem einen grandiosen Blick auf den Nachthimmel. Wir verpennen den Halt in Kazan und die Ueberquerung der Wolga. Zur Verpflegung hat sich die Versorgung mit Tuetensuppen aller Art bewaehrt. Frisches Brot dazu gibt es am Bahnsteig zu kaufen. Heisses Wasser wird im Zug umsonst fuer Tee oder eben Tuetensuppen gereicht.

Das Gruenzeug in der Toilette entpuppt sich spaeter als Petersilie, welche neben anderen Lebensmitteln an der Strecke verkauft wird. Aber wozu sollen wir uns einen Sack Kartoffeln oder getrockenete und geraeucherte Fische kaufen, wenn wir sie waehrend der Fahrt nicht zubereiten koennen? Die Kontrolleurin greift bei dieser Ware zu, aber vielleicht befindet sich in ihrem Abteil ja auch eine kleine Kueche. 10-5 Minuten vor der Abfahrt winkt sie uns bei einem Stopp ueberpuenktlich in den Zug zurueck. Ist sie der Meinung, der Stopp sei zu kurz, so laesst sie uns manchmal auch einfach nicht aussteigen.

Die anfaengliche halbstuendige Verspaetung des Zuges haben wir nach 18 Stunden wieder aufgeholt. Ein Zeitplan mit derartig grossen Pausen wuerde auch der Deutschen Bahn zu einer hoeheren Kundenzufriedenheit in Bezug auf Puenktlichkeit verhelfen, hier kann sich Herr Mehdorn noch einiges von den Russen abschauen!

Entaeuschend ist der Ural, das Grenzgebirge zwischen Asien und Europa. Auf Landkarten ist es riesig braun eingezeichnet, faehrt man hindurch, so erinnert es an den Teutoburger Wald, hoeher reichen die bewaldeten Berge nicht. Um den Effekt einer Uraldurchquerung zu simulieren, empfehle ich eine Zugfahrt von Detmold nach Altenbeken. Diese mehrfach, so 4-5 Stunden lang.

Yekaterinenburg ueberrascht uns Positiv. Ein Fluss namens Iset fliesst der Alster gleich durch diese Stadt. Auf Plakaten wird fuer die Fussballpartie zwischem dem Erstligisten Ural Ekaterinenburg gegen Nosta geworben. Dieses Spiel werden wir uns morgen vor der Abreise nach Irkutsk selbstverstaendlich nicht entgehen lassen. Das Hotel ist billig und in einem herunter gekommenen Block. Klasse, so habe ich mir das hier immer vorgestellt. Vielleicht gibt es ab dem 2. Stockwerk und aufwaerts morgen wieder fliessendes kaltes Wasser. Die Installateure haben auf der Strasse schon einmal den Asphalt aufgebrochen und flicken an rostigen Wasserleitungen herum. Wir druecken ihnen die Daumen und wuenschen gures Gelingen, damit wir uns morgen wieder einmal Duschen koennen. Presslufthammer werden hier uebrigens ausschliesslich mit einem Elektromotor verwendet.

6.9.04

Markus Altekrueger: Reisebericht aus Moskau

Diesen Bericht hat Markus per Mail an Freunde geschickt. Der ein oder andere wurde jedoch nicht erreicht, da Markus bei der Abschiedsparty wohl teilweise zu betrunken war, um die Adressen zu notieren. Weshalb er an dieser Stelle zusaetzlich veroeffentlicht wird:

Hallo zusammen,

wir sind in Moskau angekommen. Bereits der Anflug auf die Stadt war ueberwaeltigend: wie aneinander gelegte funkelnde Edelsteine r! eiht sich hier bis zum Horizont Plattenbausiedlung an Plattenbausiedlung, in denen die 9-12 Millionen Einwohner ihr Dasein fristen.

Die Menschen hier sind - zumindest solange sie keinem beruflichen Auftrag nachgehen - sehr freundlich und zuvorkommend: Da wird einem schwitzenden Rucksacktourist gern mal ungefragt ein Paeckchen Taschentuecher zugesteckt, oder der Weg erklaert. Allerdings machen die Russen permanent den selben Fehler: Fragen wir nach beispielsweise einem Museum, werden wir stets zu einem Supermarkt geschickt.

Aber wehe man ist auf die Dienstleistung eines Moskowiters angewiesen. Ein Anliegen zu haben, stellt offenbar eine persoenliche Beleidigung des Angestellten dar, ganz zu schweigen von Mitarbeitern staatlicher Stellen: Die lassen einen erstmal einen Stapel Formulare in 2- bis 3-facher Ausfertigung ausfuellen, um dann bei Vorlage beim Zoll erbost den Weg in die gruene Schlange ! zu weisen, in der diese Formulare nicht noetig sind. Und bei der Ausre ise wird genau nach diesen Formularen gefragt werden. Hast du keinen Stempel, musst du latzen. Wir lernen: Je mehr Stempel desto Russland.

Nachdem wir aus finanziellen Gruenden die ersten beiden Naechte im Plattenbaubunker Izmailiovo Delta (es handelt sich mit 8.000 Zimmern um den groeszten Hotelkomplex Europas)am Rande der Stadt verbracht haben, wechselten wir heute ins Rossija nahe des Kreml. Hier heiszt es, ausreichend finanzielles Polster in der Hinterhand zu haben, kostet doch eine Kopie sowie das Versenden eines Faxes im hoteleigenen Business-Center schlappe EUR 7,50. Das hat natuerlich auch seine Vorteile: Ist der Bargeldbestand auf ein Minimum reduziert, hat man weniger Gepaeck bei der Weiterreise zu schleppen.

Immerhin arbeitet das Rossija an seiner Reputation: Waehrend Gaeste bislang von ruedem Personal berichteten, ist es uns gegenueber lediglich genervt bis gelangweilt. Russische ! Dienstleister eben ... Zu allem Ueberfluss hatte die Schluesseltante auf Flur 5 zunaechst unsere Nachweise fuer die Abgabe und Registrierung unserer Reisepaesse bei den russischen Behoerden einbehalten, und hat diese Stunden spaeter auf unsere Anfrage hin aus dem Muelleimer pulen muessen!

Das Gebaeude sowie die Zimmereinrichtung im Rossija entsprechen meiner Vorstellung von einem sowjetischen Top-Hotel: Gebaut aus Beton nach russichem Rezept (1 Schaufel Zement, 3 Schaufeln Sand und 10 Abhoerwanzen), aeuszerlich mit eloxierten Aluminium-Fensterrahmen, schaebigen krummen Holzvertaefelungen und tuerkisfarbenen Plastik-Klodeckeln im Innern versprueht es den Charme des untergegangenen Sowjetreichs. Nein, versprueht ist nicht der richtige Ausdruck, genau genommen spuckt es einen geradezu an, aber wir hatten ja bewusst ein Zimmer im unrenovierten Block gebucht.

Die Stadt selbst hat einiges zu! bieten und ueberrascht im Alltag mit unkonventionellen Verhaltensrege ln, gerade im Straszenverkehr. Wer hier etwas auf sich haelt, klebt ein Blaulicht auf seinen BMW/Benz und knallt mit 90-100 Sachen durch die Innenstadt. Dabei unterstreicht man seine Wichtigkeit insbesondere bei der Anfahrt auf Fuszgaengerampeln mit einer Signalfanfare, die wie Achselfurzen klingt. Da fiel mir beim ersten Mal das Broetchen mit Aufschnitt in Salami-Optik aus der Hand.

Reichtum und Armut leben hier direkt nebeneinander: Die Oligarchenbraeute decken sich im GUM ungezuegelt mit Produkten der Marken Gerry Weber und Salamander ein, waehrend zu ihren Fueszen Rentner und Obdachlose ein Nickerchen halten.

Der Reisefuehrer machte uns auf das Cheka-/KBG-Museum aufmerksam; nachdem wir von den Einheimischen zunaechst zu drei verschiedenen Supermaerkten geschickt wurden, fanden wir - trotz aufwendiger Tarnung - die Lubyanka. Die Geheimdienstzentrale ist ein riesiges, ockerfarbenes Gebauede, wel! ches stuemperhaft hinter einer Armada von knallbunten, zu Gestecken zusammengebundenen meterlangen Plastiktroeten versteckt ist. Ein befremdlicher Anblick.
Naiv wie wir sind, waren wir der Ansicht, man koenne sich das KGB-Museum auch anschauen; weit gefehlt, sind die Exponate doch dermaszen geheim, dasz ein Besuch des Museums nicht gestattet ist. Liegt doch auf der Hand, oder?

Nach den juengsten Vorfaellen ist die Stadt von Sicherheitskraeften durchzogen wie ein billiges Kotelett: sie stehen an Kreuzungen, vor Aufzuegen, in den Metrostationen und vermitteln ausnahmsweise, dass es ihnen ernst ist mit ihrem Auftrag, auch wenn sie mit Regenschirm in der Hand erschreckend albern aussehen.
Thema Regenschirme: Touristen wie uns erkennt man daran, dasz sie keinen bei sich tragen. Alle anderen eint ein offenbar landestypisches Ritual:
1. Regenschrim aufspannen,
2. sich unter ein schuetzendes Dach stellen,!
3. das Ende des Schauers abwarten und dabei den Schirm weiter halte n,
4. am Ende des Schauers den trockenen Schirm wieder schlieszen.

Viele neue, unbekannte Eindruecke hauen einen also regelrecht um, wobei das Erschreckendste auf dieser Reise bisher - und da ich muss mich wiederholen - die Polsterbezuege in der Berliner U-Bahn waren.

Bis demnaechst, vielleicht kann ich dann von dem ersehnten ersten Kontakt mit der beruechtigten Reisepasspolizei berichten, die einem gerne bei der Reduzierung des Reisegepaeckgewichts hilft.

Markus
P.S.: Moskau feiert derzeit ueberschwenglich seinen 857. Geburtstag; man darf sich schon auf das naechste Jahr freuen, denn dann wird der 858. gefeiert und es wird wohl ein richtiges Fass aufgemacht werden.

Moskau 2: Metro, Terror, Fussball und Stadtrundgang

russische computer sind anders als die mir bekannten. auf CTRL-C verschluckte gestern der editor meinen reisebericht, an dem ich eine stunde geschrieben hatte. vielleicht wir das c hier mit communist uebersetzt und die tastaturkombination ist deswegen unpopulaer? dieses mal werde ich hoffentlich mehr glueck haben.

mit dem heutigen tag naehert sich der tag unserer abreise. morgen gehts mitdem zug nach sibirien, nach yekaterinenburg. was wir hier in moskau am haeufigsten gemacht haben, ist, mit der metro zu fahren und ungezaehlte male auf dem weg ins hotel ueber den roten platz gewackelt zu sein. wackeln istder richtige ausdruck, den am ersten und heute am letzten tag habe ich mir einen fiesen wolf gelaufen und kann daher nur noch breitbeining wie john wayne watscheln. vielleicht ist es dieser mitleid erregende gang, welcher uns vorher vor polizeikontrollen geschuetzt hat? gut jedenfalls, das ich medimentakoes auf diese sache gut vorbereitet bin. die ursache liegt zum einen in den stundelangen wanderungen durch die stadt und in der tatsache begruendet, das ich nur lange shorts und keine slips eingepackt habe. diese rollen sich im schrittbereich unter einer jeans nach stunden zwangslaeufig auf und reiben die haut wund. inzwischen bildet sich dort jedoch auch hornhaut heraus, so das ich nicht mehr lange geplagt sein werden. der rote platz ist riesig und grandios. mit verkehrsbeschriftungen versehen langt er als landeplatz fuer eine cessna oder andere einmotorige flugzeuge locker aus. des nachts wurden wir von lenins mausoleum verscheucht, als wir uns auf die paradetribuene setzen und die atmosphaere bei vollmond und bier geniessen wollten. verscheucht wurden wir anonsten noch aus dem KGB gebaeude, in welches man uns partout nicht haben wollte. wir hielten es fuer ein museum, welches dort laut reisefuehrer seien sollte. inzwischen haben wir schon mehrere unterschiede zwischen der realitaet und dem gedruckten wort erlebt.

moskau selbst lohnt jeden aufwand. eine grandiose stadt, inzwischen im westen angekommen. was sich an der vielen aufdringlichen reklame zeigt. die leuchtreklame wird der einfachheit halber auch am hellichten tage nicht ausgeschaltet. im fernsehen habe wir unter anderem auch den"waschmaschienen leben laenger mit calgon" spot sehen duerfen. in einer russischen variante, in welcher der klempner einen rauschebart traegt und der besorgten hausfrau das thema lochfrass naeher bringt/ den text verstehe ich zwar nicht, melodie und inhalt des spots sind allerdings bekannt und gleichgeblieben.

vom preisniveau ist moskau auf russland gerechnet vermutlich teuer, mit westlichen grossstaedten verglichen jedoch recht billig. zur orientierung: eine schachtel zigaretten 1,2 euro, 10x metro fahren 2,5 euro (reicht fuer etwa 3 tage), ein bier 1-2 euro den halben liter.

die metro wurde noch zu stalins zeiten gebaut und die stationen sind kuenstlerisch und architektonisch von atemberaubender schoenheit. in skulpturen und reliefs werden die errungenschaften der sowjetzeit gefeiert. beliebte und haeufig wiederkehrende motive sind also mit einer sichel geschnittenes korn, arbeiter waehrend der berufsausfuehrung oder einer revolution, kalaschnikovs, sputniks und kosmonauten. die metro ist sehr tief, sehr heiss und ohrenbetaeubend laut wenn ein zug mit einem affenzahn (geschaetzte 50-70 kmh, kein witz) in die station brettert. dieses geschieht im durchschnitt alle 2-3 minuten, weshalb auf fahrplaene konsequent verzichtet wird. in etwas ist die metro also so etwas wie ein waagerechter paternoster.

hilfsbereit sind die moskauer, auch wenn man nur ein paar brocken russischund englisch kann. ungefragt zeigen sie einem wege, wenn man gerade die kyrillischen schilder entziffert und dabei wohl im weg rumsteht. auch wurde mir schon taschentuecher (erdbeer parfuermiert) geschenkt, als ich dick bepackt und entsprechend schwitzend in der metro stand.

ein highlight war bisher das qualifikationsspiel zur wm 2006 in deutschland, russland gegen die slowakei. russland spielte der favoritenrolle angemessen: schlecht, trotzdem gluecklich ein tor in fuehrung gehend. das unheil nahm seinen lauf, als in bester beckham manier ein 11er vergeigt wurde. Zu recht ging das spiel 1-1 unentschieden aus, auch ein sieg fuer die slowaken waehre berechtigt gewesen.

aus terrorangst wurde der zeitpunkt und ort der partie bis zum tag des spiels verschwiegen. angeblich sollte es laut zeitung im lokomotive stadion stattfinden (davon gibt es mindestens 5 in moskau), die vielen soldaten und sicherheitskraefte beim dynamo stadion waren dann jedoch sichtbares zeichen dafuer, dass es doch dort stattfand. langsam fuellte sich das stadion, verzoegert durch die kontrollen, insgesamt fanden nur 10000 fans den weg zum spiel, schon etwas entaeuschend wenig, wenn man bedenkt, das in moskau 9 millionn menschen leben. passender kommentar eines fans zu einem soldaten dazu: "von euch sind ja viel mehr gekommen als von uns". viel singen tun die fans nicht, machen aber trotzdem ordentlich stimmung. auf den sitzplaetzen die wir fuer 5 euro bekamen stimmten wir schnell in die"rossia, rossia", was soviel heisst wie "russland, russland" (frei nach heribert fassbender), schlachtrufe ein. die polizei und sicherheitskrafte bilden dann am ende einen menschliche kette bis zur metro (bis zu 800 m weit weg), man entkommt vorher nicht. vermutlich sind menschen in russland einfach billiger als zaeune.

auf dem weg nach asien, den wir morgen beginnen, wir sich sicherlich noch eine menge aendern....

1.9.04

Moskau 1: Ankunft

heute sind wir erfolgreich in russland angekommen. der flug verlief ohne probleme, und auch die einreise war erschuetternd einfach: pass vorzeigen und rein ins land. die einreise in die USA ist da wesentlich komplexer und zeitaufwendig. Die billigfluglinie gexx, die uns fuer 111 euro von berlin nach moskau brachte, kann ich auf jedenfall weiterempfehlen. das wichtigste, naemlich das gepaeck, hatte direkt ohne umwege nach moskau gefunden und wurde von den grenzern nicht weiter kontrolliert. die polizisten und beamte hier in moskau koennen wirklich boese und wichtig schauen, wenn sie wollen.

grossartig war auch unsere abfahr vom hamburger hauptbahnhof. ein abschiedschor bestehend aus andree, maike, ingo und christian intonierten mitten auf dem bahnsteig auf einmal freddy quinns "junge komm bald wieder", den text dabei fachmaennisch vom blatt ablesend und akkustisch von einem mitgebrachten gettho-blaster unterstuetzt. einfach genial!

in berlin hausten wir in einer keller studentenbude, diese allerdings im noblen stadteil dahlem und in direkter nachbarschafft zu richard von weizaecker. den haen wir allerdings nicht gesehen als wir heute morgen um 4 uhr richtung moskau aufbrachen. in der dunklen toilette habe ich jedoch die wichtige erfahrung machen koennen, das sich mueckenschutzcreme eher bedingt als zahncreme eignet und einfach greusslich schmeckt.

moskau ist heute heiss und staubig. zwei stunden quaelten wird uns mit vollem gepaeck durch die strassen, um uns einen visastempel beim OVIR Amt abzuholen, den wir aber nicht bekamen. inzwischen hat das hotel fuer uns alle formalitaten erledigt, mit drei stempeln sind wir gut geruestet fuer eine ausreise demnaechst.

das alte olympiadorf ismailovo (moskau 1980) wurde von westlichen athleten zu unrecht boykottiert, denn hier lebt es sich wirklich wunderbar. morgen werden wir das erste mal die hauptstadt ekunden.

schoene gruesse, joerg