30.9.09

Letzter Artikel vor der Autobahn

Es regnet in Strömen und mein Urlaub neigt sich leider dem Ende zu. Mit mehreren gekühlten Six-Packs Bier bewaffnet, ohne Alkohol kann ich nicht flüssig und wirr schreiben, nutze ich diese Gelegenheit, letzte Berichtsnotizen zu vervollständigen und ins Netz zu stellen. Auf der einen Seite freue ich mich darauf, Freunde und Bekannte wieder zu treffen – auf der anderen Seite hat das aber auch einen bestimmten Preis, ihr wisst schon ...

Familie Lin und ich nach dem Essen bei Din Tai Fung (http://www.dintaifung.com.tw) meinem absoluten Lieblingsrestaurant – unbedingt hingehen, falls ihr mal in Taipei seit!


Umgang mit Strassenkarten und Landkarten


Der im Westen übliche Standard, nach dem Karten eingenordet angebracht werden, hat in Taiwan, China und Japan keine Gültigkeit. Umgebungspläne von Haltestellen oder Wanderkarten werden so aufgehängt, wie man gerade Bock hat: Mal ist Norden auf diesen Karten rechts, mal links, oft unten und so gut wie nie dort wo erwartet, nämlich oben. Zusätzlich wird gerne darauf verzichtet, die nördliche Himmelsrichtung (etwa durch eine Kompass-Rose) auszuweisen.

Das ist seltsam für ein Volk, das immerhin den magnetischen Kompass erfunden hat. Als Reisender sollte man daher eine Karte als erstes anhand bekannter Landmarken einnorden, bevor man ihr vertraut. Sehr oft bin ich die immer gleich aussehenden Straßen in die falsche Richtung gelaufen bis ich meinen Fehler bemerkte. Im Großstadtdschungel kann man sich nicht immer am Lauf der Sonne (ist in den Unterführungen und Tunneln nicht zu sehen) oder an den Wetterseiten von Bäumen (gibt es nicht) orientieren.

Es gibt im chinesischen zwar Wörter für die vier Himmelsrichtungen, im täglichen Umgang werden sie aber nicht genutzt. Auch scheint keiner eine imaginäre Landkarte im Kopf zu haben. Als ich mich in den Straßen in der Nähe des Daan-Park einmal verlaufe und per Handy Navigationshilfe von Chi Hsuen anfordere stolpern wir unerwartet in ein kleines Kommunkationsproblem. Meine Aussage, das ich mich auf der westlichen Begrenzungsstraße des Daan-Parks in südliche Richtung bewege wird einfach nicht verstanden („Ist da eine Hochstrassse?“ „Nein“ „Eine Hochbahnhaltestelle?“ „Auch nicht“ „Wo bist du denn?“ „Westlich vom Daan-Park, ich laufe in südliche Richtung“ „Häh?“ „Also ich laufe links vom Daan Park nach unten, wenn ich den Park im Rücken habe, dann ist auch der 101 Wolkenkratzer hinter mir und ich schaue in Richtung der untergehenden Sonne ...“ „Du solltest aber den 101 Wolkenkratzer vor dir haben und eine Hochstraße sehen!“ „Nein, laut meiner Karte gibt es nur südlich des Parks so etwas wie eine Hochstrasse ... Ok, wir treffen uns am Hauptbahnhof“). „Westlich vom Daan-Park“ ist seitdem unsere interne geflügelte Bezeichnung für Kommunikationsprobleme dieser Art.

Auch Taxifahrer können Karten nicht lesen. Sie vertrauen einzig ihrer dynamischen Ortskenntnis oder ihrem Navigationssystem. Auf einer (chinesisch beschrifteten) Straßenkarte auf das gewünschte Ziel der Fahrt zu zeigen hat keinen Sinn, Dialoge der Art „Also, wir sind jetzt genau hier (zeigen auf der Karte) und ich möchte nach dort (zeigen auf der Karte)“ sind wenig zielführend. Am Besten, man hat eine Visitenkarte mit der Zieladresse dabei.Oder man steuert eine bekannte Haltestelle der U-Bahn in der Nähe des gewünschten Ziels an und weist dann dem Taxifahrer den Weg zum eigentlichen Ziel.


Bus fahren in Taiwan


Zu dem Thema habe ich mich vor kurzem ja bereits ausgelassen. Selbst Taiwanesen scheuen das mühselige entziffern der kryptischen Fahrpläne und Fahrrouten und nutzen nur die ihnen bekannten Buslinien.

Busse sind durch eine eindeutige Routennummer identifiziert. Diese unterliegen keiner erkennbaren Systematik. In der Umgebung meiner Wohnung notiere ich mir die Nummern der vorbeifahrenden Busse. Möchte ich hierher zurückkehren, so schaue ich kurz auf dieser Liste nach und finde so häufig einen passenden Bus der zumindest grob in die gewünschte Richtung fährt.

Müssen leider draußen bleiben: Die Mitnahme von Buntspechten und Stockenten ist in Taiwans Bussen leider strikt untersagt

Bezahlt wird ein Einheitsbetrag beim ein- oder aussteigen. Hierbei muss man auf ein bestimmtes Zeichen achten. Wechselt das Zeichen während der Fahrt, was bei größeren Routen der Fall ist, so zahlt man doppelt beim ein- und aussteigen. Das ist einfacher als es vielleicht klingt. Wer kein chinesisch kann, zahlt am Besten immer dann, wenn der Busfahrer ihn wild fuchtelnd dazu auffordert.


Müllentsorgung in Taipei

Öffentliche Mülltonnen sind in Taipei leider nur in homöopathischen Dosen vorhanden. Gerne wird daher einfach das Fenster geöffnet und der Müll direkt im Hinterhof oder in einer der offenen Kloaken der Stadt entsorgt. Das freut die Ratten der Stadt, die so immer einen reich gedeckten Tisch vorfinden. Im Hinterhof meiner Unterkunft hat sich so ein Müllkomposthaufen gebildet dessen Analyse verschiedener Müllschichten in ein paar hundert Jahren den ein oder anderen Archäologen beschäftigen wird.

Heraus mit dem Müll, diese Waschmaschine wird nicht mehr benötigt

Bei der Müllentsorgung wird inzwischen auf modernes Recycling gesetzt. Die Kategorien sind einfach: Papier, Dosen & Flaschen, Restmüll. Je nach Stadtviertel werden die größeren Hauptstrassen täglich von Müllwagen abgefahren. Diese machen sich durch lautes Dudeln von Beethovens „Pour Elise“ bemerkbar, klingt in etwa so wie in Deutschland im Sommer die Eiswagen. Hört man dieses markante Jingle so packt man sich den Müll und bewegt sich zügig aber ohne Hast zur nächst größeren Straße. Dort wirft man seinen Abfall in die im Schritttempo vorbeidefilierenden Müllwagen – fertig. Mülltonnen pro Haushalt oder Wohngebäude gibt es keine.

Ein Recycling und Wertschöpfung der besonderen Art wird in den zahlreichen Tempeln praktiziert. Im Eingangsbereich kann sich der Gläubige neben Räucherstäbchen mit Gaben wie frischem Obst und allerlei Lebensmitteln versorgen. Besonders beliebt sind anscheinend Thunfischkonserven und Büchsen mit Malzbier. Ein Tempelbediensteter räumt diese auf einem reich gedeckten Tisch dargebotenen Opfer dezent jede Stunde ab, verschwindet mit ihnen durch einen Seitenausgang und stellt sie im erwähnten Shop am Tempeleingang wieder neu zum Verkauf. Diese Rotation erklärt so das schon seit vielen Jahren abgelaufene Haltbarkeitsdatum diverser geopferter Fischkonserven. Vermutlich gleicht das buddhistische Walhalla inzwischen einer Intensivstation für Lebensmittelvergiftungen. Andererseits währe die einmalige Nutzung aber auch eine sündhafte Verschwendung.


Fernsehen

Im kabelgespeisten Fernsehprogramm gibt es meistens unverständliches in Mandarin oder Taiwanesisch. Trotzdem leicht verständlich und nicht minder bedeppert als in Deutschland sind die hiesigen Verkaufskanäle. Komplizierte technische Geräte wie Notebooks, Betriebssysteme oder Spiegelreflexkameras werden hauptsächlich von leicht bekleideten Schönheiten weiblichen Geschlechts präsentiert. Die machen zwar selten einen kompetenten Eindruck, aber das ist ja Nebensache. Hauptsache ist Animation: Telefonnummer anrufen, Kreditkartennummer durchgeben und dann darauf warten, das der Postbote drei mal klingelt.

Neben dem obligatorischen CNN empfange ich Spielfilme am laufenden auf den Sendern HBO, Hollywood Classics und Star Movie. Unerwartet kann ich so endlich den B-Movie Schinken Dinocroc bis zu Ende sehen. Den habe ich vor vier Jahren auf einer Busfahrt in Thailand nur zur Hälfte mitbekommen.

Ein Geheimtip mit spannender Handlung: In einem See ist aus unerfindlichen Gründen ein Krokodil zu einem gefährlichen Dinosaurier mutiert und terrorisiert nun die dort lebende Bevölkerung. Neben den üblichen Teenagern, die Abends zu knutschen an den See fahren, gehören auch einige Fischer des Dorfes und unschuldig am See spielende Kinder zu seinen Opfern. Wie schon vor vier Jahren erwartet aber damals verpasst räumt der Held am Ende aber kräftig auf und besiegt das fiese Monster in einem dramatischen Endkampf. Warum dieser wegweisende Film nur 2.4 von 10 möglichen Punkten bei IMDB abräumt bleibt mir schleierhaft. Der Film ist rettungslos unterbewertet. Kaufen!


Themen-Gastronomie: Toilettenrestaurant

Das hippe bei Jugendlichen schwer angesagte Ausgehviertel Ximeding ist reich an Beispielen für asiatische Verspieltheit. Die albern geschminkten Zwitterwesen der Band Tokio Hotel würden hier optisch nicht weiter auffallen. Tattoos, Piercings, skurille Outfits, Bongs, Spielesalons, Karaoke-Restaurants – hier gibt es alles und noch ein bischen mehr.

Ausgefallen ist die Idee eines Toiletten-Restaurants. Das Interieur ist dem einer Toilette nachempfunden: Sitzgelegenheiten sind Schüsselkeramiken, die man sonst eher intim zum kacken besteigt. Das sollte man hier aber besser unterlassen, denn die Keramiken sind nicht an eine Wasserversorgung angeschlossen. Statt Tellern und Schalen wird das Essen in Miniatur-Toiletten gereicht. Stilecht getrunken wird aus Plastikbechern, die sonst in Altersheimen oder Krankenhäusern bei Patienten, die es nicht mehr selber zur Toilette schaffen, zur Entsorgung des Urins verwendet werden.



Frisches Essen, drapiert wie die verschiedenen Spielarten des Stuhlgangs vom Dünnschiss bis zur konzentrischen Wurstpyramide, wird aus der Küchenetage von einem kleinen Fahrstuhl angeliefert. Akkustisch wird das eintreffen der Gerichte durch ein lautes Spülgeräusch untermalt. Ein sehr spezielles Themen-Restaurant. Da es das meines Wissens in Deutschland noch nicht gibt: Wer es mal ausprobieren möchte, der nimmt sich sein Essen zum Beispiel bei McDonalds einfach mal mit auf die Toilette und verspeist es dort. Den toilettentypischen Gestank muss man sich dann aber wegdenken.


Innlandsflüge


Innlandsflüge sind genau so billig wie in Deutschland, alle Orte der kleinen Insel Taiwan kann man in wenigen Minuten erreichen. Anders als in Deutschland sollte man den Gepäck-Schein aber aufbewahren. Während man sich bei uns nach der Landung vom Transportband unkontrolliert so viel Gepäck mitnehmen kann wie man möchte wird das hier strengstens kontrolliert.

Der Bordservice spottet jeder Beschreibung. Die Saftschubsen reichen Wasser oder Tee, sonst nichts. Elektronische Geräte sind während des gesamten Fluges auszuschalten, Walkman hören ist also nicht. Am Besten etwas zu lesen mitnehmen, denn Filme werden keine gezeigt – was bei den kurzen Flugdauern auch wenig Sinn ergibt.


Besuch beim Doktor

Abends will Chi Hsuen noch einmal bei ihrem Doktor vorbeischauen. Der Bursche ist schwer im Geschäft und arbeitet jeden Abend bis 1:00 Uhr. Um diese Zeit sollten eigentlich nur noch Programmierer ihrer Tätigkeit nachgehen.

Die lokalen Straßenhändler haben sich auf diese Arbeitszeiten eingestellt und bieten ihre Ware vor der Praxis feil. Die nicht selten stundenlange Wartezeit kann man sich so beim shoppen oder schlemmen verkürzen. Der Arzt selbst ist auf mich etwas esoterisch wirkende traditionelle chinesische Medizin spezialisiert. Akupunkturen, Massagen und gekonnte Griffe sonst wohin sollen auch gegen Übergewicht helfen.

Vielleicht ist ja was dran, die Klienten scheinen jedenfalls dran zu glauben und lassen sich auch durch lange Wartezeiten nicht abschrecken. Zwei Kundinnen mit Problemzonen im Hüft- und Oberschenkelbereich zur Behandlung ihres Übergewichts haben scheinbar ein großes Vertrauen in die Fähigkeiten des Doktors. Vor und nach der Behandlung verspeisen sie große Mengen von fettem Essen beim Strassenhändler.


Karaoke

Ist in Asien generell beliebt, und hier in Taiwan ist das nicht anders. In Taipei gibt es dazu eigene Hotels deren Zimmer stundenweise vermietet werden. Anheimelnd ausgestattet sind die Zimmer mit einer großen lederner Sitzgarnitur, der eigentlichen Karaoke-Anlage und einem WC. Für vier Stunden bezahlt man in etwa das, was hier vor Ort die Übernachtung in einem Vier-Sterne Hotel kostet - das dann allerdings keine Karaoke Anlage hat.

Singen verkommt hier oft zur Nebensache. Man trifft sich mit Freunden zum Gedankenaustausch um vor allem: zu Essen. Die heimelige Atmosphäre des Zimmers ist kein geeigneter Ort für intime Stunden. Ständig schneit eine Service Kraft herein, bringt bestellte Ware oder fragt, ob man nicht etwas bestellen möchte.

Die Auswahl an englischen Titeln ist übrigens sehr beschränkt. Will man selber einmal singen, dann darf man keine großen Ansprüche an den vorhandenen Musikkatalog stellen.






Schweinegrippe

Gibt es hier auch und die Angst vor der Ansteckung ist weit verbreitet. SARS hat hier in Asien besonders stark gewütet, und diese Erfahrung steckt den Leuten hier noch in allen Knochen. Auch wenn auf großen Postern, Fernsehspots und Aufklärungsartikeln in den Zeitungen von offizieller Seite versucht wird, die Hysterie etwas einzudämmen, läuft hier ein drittel der Bevölkerung mit einem Mundschutz herum.

Hilft vielleicht nicht gegen Schweinegrippe, ist aber trotzdem kleidsam


Das ist nur sinnvoll, wenn man selber eine Grippe hat und andere schützen möchte. Viel hilft bekanntlich viel, weshalb auch Gesunde in der Öffentlichkeit ihr Gesicht hinter diesen Masken verstecken. In Gebäuden wird einem der Zutritt schon mal verwehrt, wenn bei der Eingangskontrolle eine erhöhte Temperatur festgestellt wird.


Taipei und Wandern


Taipei von oben

Von einem Flieger oder von der Spitze des 101-Wolkenkratzers aus betrachtet wirkt Taipei seltsam monochrom: In allen Himmelsrichtungen dehnt sich eine scheinbar strukturlose Wüste von Gebäuden aus. Gar nicht so viele hohe, oft nur vier- oder fünfgeschossig. Eine markante Skyline gibt es nicht, einzig der 101 Wolkenkratzer ragt einem Leuchtturm gleich aus der Masse und ist von überall aus zu sehen.

Auf der Suche nach Farbflecken in diesem hauptsächlich asphaltgrauen Einheitsbrei benötigt man eine Lupe, einen Feldstecher oder besser noch ein Mikroskop. Mit etwas Geduld kann das geübte Auge dann klitzekleine grüne Oasen in Form vereinzelter Parks erkennen. Erst die Nacht breitet gnädig einen Schleier aus Dunkelheit über diese Schäbigkeit und verwandelt Taipei in einen pulsierenden bunten Pixelteppich, gespeist aus unzähligen Neonleuchten.

Die Stadt wirkt, als ob sie am Computer mit der „Sim City“ Simulation entworfen wurde. Anscheinend hat man dabei aber erst jüngst entdeckt, das es auch einen Knopf zur Anlage von Grünflächen gibt. Das man zum Leben in einer Stadt etwas mehr braucht als den monotonen Rhythmus aus Schlafen, Arbeiten, Fressen und Ficken. Entlang der zu offenen Kloaken mutierten Bäche und Flüsse werden daher seit kurzem Fahrradwege und öffentliche Sportplätze angelegt, hauptsächlich für Basketball und Baseball. Auch an der Verbesserung der Wasserqualität wird gearbeitet, ein Aufenthalt im Grünen ist ja auch nur mäßig amüsant wenn von nebenan her aus dem Kanal permanent ein Duft schlimmer als ein Bierfurz nach durchgezechter Nacht herüberweht.

Eine Stadtentwicklung lässt sich auch schwierig planen, wenn man quasi über Nacht um ein paar Millionen neue Einwohner wächst, welche auf der Flucht Festlandchina verlassen haben. Und wie das mit Provisorien so ist müssen sie oft Jahrzehnte länger halten als gedacht. Während Taiwan in etwa so groß wie Baden-Würtemberg ist so drängeln sich heute etwa acht Millionen, also fast vierzig Prozent, der Bevölkerung des Landes im Norden der Insel in und um Taipei.

Dschungel in den Maokong-Bergen südlich von Taipei, keine 10 Busminuten von der Zivilisation entfernt


Natur gibt es an den Rändern dieses Ballungszentrums, dort, wo das Krebsgeschwür der Stadt noch nicht hingewuchert ist. Im Norden durch ein Vulkan-Massiv und im Osten und Süden ist Taipei durch weitgehend unbewohnte Berge eingekreist. Diese Ecken der Stadt kann man in wenigen Minuten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen. Der Wechsel von Großstadt- zu natürlichem Dschungel ist oft fließend, bisweilen abrupt.

Mit dem joggen in der smogverseuchten Stadt kam ich lange Zeit nicht klar. Früh am Morgen, wenn es Luft- und witterungstechnisch noch möglich ist, sich ernsthaft sportlich zu betätigen, komme ich einfach nicht aus dem Arsch. Und Abends, meiner bevorzugten Tageszeit für etwas Sport, wenn es wieder etwas kühler ist, verbringe ich meine Zeit lieber mit Chi Hsuen. Da es hier schon gegen 18:00 dunkel wird macht es außerdem keinen besonderen Spaß.

Als Alternativ-Programm um halbwegs in Form zu bleiben wandere ich daher nun täglich tagsüber durch den kühlen Dschungel an den Rändern der Stadt. Es gibt eine Menge erschlossener Wanderwege die man auch schnell erreichen kann. Während sich Touristenführer auf die Auflistung der besten Fressgelegenheiten spezialisiert haben werden diese schönen Ecken leider von offizieller Zeit totgeschwiegen. Was ein Jammer ist, denn immer gibt es interessantes zu entdecken: verlassene Dörfer, verborgene Wasserfälle, atemberaubende Perspektiven auf die Stadt oder die Bergwelt und nicht zuletzt die heimische Tier- und Pflanzenwelt. Für diese oft nur den Eingeborenen bekannten Ecken muss man sich alles andere als schämen und sollte sie auch chinesisch-unkundigen Touristen offiziell näher bringen.

Ein wenig schwindelfrei sollte man auf dem Huangdi-Pfad sein, der 30cm Breite Pfad fällt zu beiden Seiten steil ab


Die Wanderwege sind oft gut erschlossen. Immer beginnen sie mit Treppen, die auf einen Berg oder Hügel führen. Was schon von beginn an eine schweißtreibende Angelegenheit darstellt, je nach Pfad klettert man bis zu einer Stunde in die Höhe, unter einer halben Stunden Kletterei kommt kein Pfad aus. Besonder Ansprüche an die Bekleidung werden dabei nicht gestellt. Eigentlich ist man immer mit Turnschuhen ausreichend gut ausgestattet. Ich schwitze hier regelmäßig wie ein Schwein, und das oft schon fünf Minuten nach dem Start. Trikots sind daher Baumwoll-T-Shirts vorzuziehen, und genügend Getränke sollte man außerdem mit sich führen. Mehr braucht es nicht.


Taipeis urbane Tierwelt

An lebendigen Tieren kann man in der Stadt vor allem wild lebende Ratten, Straßenköter und frei herumstreunende Katzen beobachten. Tom und Jerry müsste hier in Taipei umgeschrieben werden, denn anders als im Westen üblich jagen die Ratten die Katzen in die Flucht. Vielleicht sind die Ratten hier einfach selbstbewusster oder stärker, da sie in den offenen Kloaken Taipeis ideale Lebensbedingungen finden. An toten Ratten kann man besonders gut ihre überdurchschnittliche Größe und muskulösen Körperbau bewundern. Wie sie in Ermangelung natürlicher Feinde gestorben sind, diese Frage denke ich lieber nicht zu Ende.

Straßenköter beim pennen

Straßenköter sind hier hauptsächlich devot und stumm. Sie bellen nie und geben keinen Laut, so als ob ihnen die Stimmbänder operativ entfernt worden sind. Vermutlich haben sie daher Angst vor allen Zweibeinern und verkriechen kuschend auf die andere Straßenseite wenn ihnen ein Exemplar dieser Gattung entgegenkommt.



Für den Hausgebrauch sind vor allem Pudel und rattengroße Hunde vom Kaliber von Paris Hiltons Tinkerbells beliebt. Eben die Art von Viechern die in Taschen mit sich herumgetragen werden müssen (bevorzugt werden natürlich Markentaschen, unter eine hässlichen Louis Vuitton geht mal gar nichts) und die mit einem Löffel gefüttert werden. Vielleicht ergibt sich so schon bald eine eigenständige Rasse von degenerierten Tamagotchi-Kötern die absolut zu nichts zu gebrauchen sind, sich selbständig nicht fortbewegen können und die zu Preisen ähnlich denen von Koi-Karpfen gehandelt werden.

Auch was die Bewohner der Luft angeht sieht es in Taipei eher mau aus. Tauben gibt es hier nur sehr wenige. Stattdessen kann man Abends regelmäßig Fledermäuse, die ihr eigenartiges Blindenballett im hellen Schein der Strassenlampen vorführen, beobachten.


Taiwans nicht-urbane Tierwelt


Nicht unerwartet geht es im Vergleich zur Stadt im Dschungel in Sachen Tierwelt wesentlich abwechslungsreicher zu. Ständiger Begleiter ist fremdes Vogelgezwitscher, das erfolgreich einen akustischen Beitrag zur exotischen Atmosphäre leistet. Zu Gesicht bekommt man die gefiederten Sänger allerdings selten. Den Luftraum teilen sich die scheuen Gesellen mit den den meistens eher stummen Schmetterlingen. Hübsch anzusehen und friedlich umkreisen sie in großer Schar den Wanderer durch den Dschungel. Manche sind handtellergross mit fast schon fleischigen Schwingen, vermutlich sind das aber eher gedopte Motten und keine Schmetterlinge.

Handtellergross und bunt sind auch viele Spinnen. Da Menschen nicht auf ihrem Speiseplan stehen nehmen sie aber meistens in Deckung wenn ich mich annähere. Überhaupt scheint es weniges zu geben, vor dem man sich in Acht nehmen muss. Kein einziges Mal wurde ich von einem Moskito belästigt oder gebissen. Warnschilder weisen zwar auf handtellergrosse Bienen hin, aber auch mit diesen machen ich auf meinen Wanderungen keine nähere Bekannschaft.

Ernst nehme ich inzwischen den Hinweis auf Schlangen. Auf so ziemlich jeder größeren Wanderung bin ich über eine gestolpert. Da ich kein Experte auf diesem Gebiet bin weiß ich auch nicht genau, ob diese giftig sind oder nicht. Ich lasse mich von meinem natürlichen Respekt leiden und gehe lieber auf Abstand, wenn ich auf eine treffe.

Meine Strategie deckt sich mit der der Schlange, die durch den Dschungel trampelnde Menschen schon meilenweit entfernt wahrnehmen und sich verpieseln. Der Hinweis, die Wanderwege nicht zu verlassen, ist allerdings etwas irreführend. Gerade der warme Asphalt und die durch die Sonne aufgewärmten Treppensteige sind scheinbar bevorzugter Aufenthaltsort für die Biester um richtig auf Touren zu kommen.

Vermutlich irgendeine ungiftige Natter

Auf dem Yangmingshan versperrt mir so plötzlich ein mehrere Meter großes Exemplar den Weg. Hatte ich es von weitem als einen heruntergefallenen Ast interpretiert, so kann ich im letzten Augenblick eine Kollision vermeiden. Erschrocken mache ich einen Schritt zurück und stolpere über einen echten Ast. Die Schlange wird wach und schiebt ihren schuppigen Körper daraufhin in meine Richtung. Vermutlich angelockt durch meinen beissenden Schweißgeruch angelockt verharrt sie eine Handbreit entfernt von mir, während ich den Teil des sprichwörtlichen Kaninchens in diesem Schauspiel gebe.

In dem Moment wiederstehe ich auch dem Reflex, nach meiner Kamera zu greifen und spiele lieber den toten Mann. Abgesschreckt vom bereits erwähntem abstoßendem Schweißgeruch vrzieht sie sich endlich. Glück gehabt, denn in diesem vulkanischen Nationalpark sind laut Informationsbüro so ziemlich alle Schlangen irgendwie giftig. Giftschlangen bilden sonst in Taiwan die absolute Ausnahme, hier scheint das aber anders zu sein. Verschwörungstheoretiker haben das zum Anlass genommen, das Märchen von abrückenden japanischen Truppen, die hier angeblich Geheimlabors hatten, und der dort gezüchteten giftigen Schlangenbrut die Freiheit schenkten, in die Welt zu setzen.

Aus dem ungeplanten Rendezvous lernend habe ich zukünftig immer einen Wanderstock in Form eines Regenschirms dabei. In hohem Bogen befördere ich damit alles mir suspekt erscheinende sicherheitshalber aus dem Weg. Ich hoffe, der ein oder anderen Schlange bei dieser unfreiwilligen Flugeinlage nicht das Rückgrat gebrochen zu haben.

Gottesanbeterin




Wild lebende Säugetiere kann ich hier leider nicht beobachten. Ein spezieller Wanderweg wirbt mit einer größeren Population hier frei lebender Taiwan-Makkaken. Diese Affen sehen ungefähr so aus wie ich, haben lange Haare und einen dicht behaarten Körper. Hier muss dieser schöne Vergleich aber schon enden, denn sie sind wesentlich kleiner als ich.

Hinweisschilder erklären den richtigen Umgang: Angeblich sind diese Tiere, die immer im Rudel auftreten, seltsam aggressiv und sollten besser nicht gefüttert werden. Freudiges wedeln mit dem Schwanz, ist als ein Anzeichen für Angriff zu interpretieren.

Drei prächtige Exemplare von ihnen, die sich vor mir über den Wanderweg trollen, fressen meine mitgebrachte Banane aus meiner Hand. Dabei entpuppen sie sich leider bei näherer Betrachtung als drei Amerikanerinnen, die mit ihren kehligen tarzan-artigen Affenlauten dieselben nur anlocken wollten. Selber sind sie keine Affen. Diese Strategie entpuppt sich allerdings als Rohrkrepierer, denn mit ihrer unqualifizierten Parodie haben sie alle Affen erfolgreich verscheucht. Auch nach stundenlangem warten treffe ich an diesem Tag keine mehr an.

29.9.09

Museen in Taipei

In Taiwan gibt es nur wenige Museen die einen Besuch wert sind. Sehr interessant ist das "Discovery Center of Taipei" in unmittelbarer Nähe zum 101-Wolkenkratzer. Der Eintritt ist umsonst und auf zwei Etagen erfährt man alles Wissenswerte zu Taiwans Hauptstadt. Sehr spannend, denn auch wenn man mit offenen Augen durch die Stadt geht, so erschliesst sich die zugebaute und versteckte Geschichte der Stadt nicht ohne Hintergrundwissen das man hier bekommen kann.

Kunstinteressierte sollten einen Blick in die Ausstellungen des "Taipei Fine Arts Museum" oder des "Museum of Contemporary Art Taipei" werfen. Zur Zeit gibt es im ersteren eine Austellung zu den Trickfilmwelten von PIXAR (bekannt von Filmen wie "Findet Nemo" oder "Toy Story").

Etwas unbekannter, aber nicht weniger interessant, sind die Stücke zur Austellung über Parodien, welche gerade im MOCA zum Thema Parodien ausgestellt sind. Highlight sind die Beiträge der russischen Künstler-Combo "The Blue Noses Group": Die parodierten Darsteller sind bekannt aus Funk und Fernsehen, über die Bedeutung kann sich jeder Betrachter seine eigenen warmen Gedanken machen.



Auf den Monitoren bekämpfen weibliche Ninjas irgendwelche Bösewichte in Comic-Manier ("Puff","Zonk",...). Sehr amüsant anzuschauen, auch wenn ich den Inhalt absolut nicht verstehe.



Vermutlich eine allegorische Darstellung des zweiten Weltkriegs: Das Hitler von Stalin in den Arsch gefickt wird kann ja nur bedeuten, das Deutschland den Krieg gegen Russland verliert. Herr Lenin ist überflüssig wie das fünfte Rad am Wagen und darf nicht mitmachen. Eine weitere Bedeutungsebene öffnet sich, wenn man sich überlegt, warum Herr Hitler den Körper einer Frau bzw. Brüste hat. Diese Ebene kann man aber sofort wieder verlassen, denn sie bedeutet einfach gar nichts.



The Blue Noses Group stellt sich auch aktuellen politischen Themen wie dem Umgang der USA mit Al Qaida. Die Außenministerinnen nehmen hier Herrn Laden in die Zange. Letzendlich verpuffen ihre diplomatischen Bemühungen, bei denen sie sogar ihr letztes Hemd geben, aber ergebnislos. Herr Laden lässt einfach seinen natürlichen Charme spielen und behält die Oberhand, vielleicht erzählt er auch einfach nur einen versauten Herrenwitz, denn die drei von der Tankstelle scheinen sich ja prächtig zu amüsieren.



Eine vorweggenommene Schlüsselszene aus dem noch nicht veröffentlichten achten Band "Harry Potter und der Analzauberstab". Auf diesen abschliessenden Roman dürfen alle Fans weltweit gespannt sein: Harry und seine Freunde werden aus der Zauberschule geschmissen und müssen sich ihren Lebensunterhalt fortan in drittklassigen Sexshows verdienen.

23.9.09

Die Tarokko-Schlucht

Die Tarokko Schlucht

Taiwans Antwort auf den Grand Canyon ist die Tarokko Schlucht an der Nordostküste. Eine Sehenswürdigkeit, die ein Tourist eigentlich nicht auslassen darf. Auf meiner dritten Reise hierher fehlt mir dieses Mal eine Ausrede, sie nicht zu besuchen. Also buchen wir uns in Hualin in einer schönen Pension ein und fahren Freitag Abends mit dem Zug von Taipei dorthin.

Das erste Mal, das ich überhaupt einen Zug verpasse, obwohl wir pünktlich am Gleis stehen. Auf dem Bahnsteig in Taipei albern wir zu lange rum. Bis der Zug schließlich pünktlich und ohne uns abfährt. Irgendwie haben wir verpennt einzusteigen. Beim nächsten Zug, der eine halbe Stunde später in die gleiche Richtung geht, machen wir dann alles richtig. Zur Strafe müssen wir zwei Stunden im voll besetzten Zug stehen. Eine Reservierung, wie sie für den Wochenendverkehr angezeigt ist, hatten wir leider nur für den ersten Zug.

Abendessen um Mitternacht auf dem Nachtmarkt in Hualin

Die Tarokko-Schlucht ist nicht so weitläufig wie der Grand Canyon, dafür tiefer und verwinkelter. Auf einer Länge von vier Kilometern vom Pazifik steigen die Berge hier auf eine Höhe von 3.000 Metern an. Tief eingeschnitten in diese hat sich ein kleiner Fluß, welcher derzeit nicht wesentlich mehr Wasser führt als die Rethlage zu Hause in Pivitsheide. Statt öde Wüste im Grand Canyon säumt wilder grüner Dschungel die Hänge der Schlucht. Zusammen mit dem Blau des Himmels eine betörender Kontrast.

Tempel in pittoresker Lager trohnend über der Tarokko Schlucht

Tarokko heißt in der Sprache der hier ansässigen Ureinwohner „Schöne Schlucht“. Und das ist eher eine Untertreibung. In den 60er Jahren hat man in der Entwicklung der Insel eine kleine Straße durch dieses Tal gebaut. Hört sich einfacher an als es ist: Dazu mussten einige Tunnel und Brücken gebaut werden und an vielen Stellen ist diese Straße so schmal, das man nur einspurig auf ihr verkehren kann. Nach fünf-jähriger Bauzeit war es dann zum ersten Mal möglich, die Insel Taiwan auf einer Strasse von der Ost-Küste bis zur West-Küste zu durchqueren.

Straße durch die Schlucht: Sieht aus wie Beton, ist aber purer Marmor

Beim Bau der Strasse wurden enorme Marmor-Vorkommen entdeckt. Der Versuchung, diese abzubauen und industriell zu nutzen, wurde seltsamer weise und taiwan-untypisch wiederstanden. Stattdessen wurde diese Region in den 80er Jahren als Nationalpark deklariert und seitdem touristisch genutzt.

Eine weise Entscheidung. Statt durch Lastern sind die Strassen heute durch unzählige Reisebusse und PKWs verstopft. Dazwischen drängeln sich die üblichen Motorroller. Sehr beliebt sind in jüngster Zeit Fahrradtouren. Reisegruppen von der Größe des Starterfeldes der Tour de France fahren auf ihren Rennrädern durch die engen Schluchten.

Wer es etwas ruhiger mag, der sollte unter der Woche hierher kommen und das Wochenende meiden. Abseits von der Straße gibt es einige Wanderwege zu Tempeln und Quellen. Im kalten, frischen und kristallklaren Wasser kann man sich beim schweißtreibenden Wandern denselben entfernen.

Wackelige Wanderwege abseits der Straße


Erfrischendes Bad in der Tarokko Schlucht


Zur Entlastung des touristischen Verkehrs wurden vor wenigen Jahren eine Hilfsaterie in Form einer parallelen Straße gebaut. Weniger spektakulär als die klassische Originalroute verbindet sie mit mehreren Tunneln die wichtigsten neuralgischen Punkte des Tals.

Alte und Neue Straße durch die Schlucht


Wir lassen uns von unserem Herbergsvater in seinem Wagen kutschieren, einem intimen Kenner des Geländes der vor allem die nicht von den großen Reisegruppen angesteuerten Kleinode des Nationalparks kennt. Je nach Wunsch können wir so lange auf abseitigen Wegen den Park erkunden oder Baden gehen, er überbrückt die Wartezeit gelassen indem er sich dem Rausch der Betel-Nuss hingibt.


Teil unserer Reisegruppe aus Hongkong

Chi Hsuen et moi in der Tarokko-Schlucht

Mit von der Partie sind zwei Geschwister aus Hongkong, welche in der gleichen Pension wie wir übernachten. Sie sind beide locker drauf und scheuen auch keine schweißtreibenden Wanderungen abseits der Hauptroute. Leider können sie kein Englisch (dachte immer, dass das jeder in Hongkong spricht), halbwegs radebrechend kriegen wir das aber auch auf chinesisch und mit Händen und Füßen hin. Der Herbergsvater erzählt im Auto einige Witze, deren Inhalte und Pointen ich leider überhaupt nicht verstehe. Trotzdem lache ich aus Höflichkeit mit.

Fast genauso spannend wie die atemraubenden natürlichen Schönheiten des Tals ist es, die Reisegruppe zu beobachten. Alle fünf Meter springen sie aus ihren PKWs oder Bussen, fluten die enge Straße und machen in aller Ruhe Familien-Porträts, häufig mit auf Stativen befestigten Kameras und Selbstauslösern.


Erinnerungsfoto quer auf der Straße mit Kind und Kegel

Der Verkehr wird dabei komplett ignoriert. Auf den Luxus, einen Parkplatz zu suchen, wird verzichtet und der PKW einfach auf der Straße abgestellt. Eine Familie treibt dieses Spiel dann aber doch auf die Spitze: Der Verkehr staut sich in beide Richtungen auf mehrere Kilometer und den sonst so gelassenen Taiwanesen platzt der Kragen und sie verlieren die Geduld. Nach einer halben Stunde hat der wütende Mob die Verursacher des Chaos ausgemacht. Anwesende Polizisten können über Handgreiflichkeiten und wüste Beschimpfungen hinausgehendes verhindern und den Stau auflösen.


Eher schlechter Parkplatz ...

16.9.09

Lu Dao und Deaflympics

Lu Dao – Die Grüne Insel

Der Leuchtturm von Lu Dao

Die zu Taiwan gehörenden kleinen Inseln sind derzeit neben dem Norden des Landes, da von Taifunschäden weitesgehend nicht betroffen, einige der wenigen Orte die man noch besuchen kann. Die Insel Lu Dao liegt mitten im Pazifik, etwa 35 KM östlich etwas außer Sichtweite von Taidong, einer der größeren Städte an der Ostküste Taiwans. Ungefähr so groß wie Norderney reist man normaler weise mit einer Katamaran-Schnellfähre an, ähnlich den Dingern die zwischen Hamburg und Helgoland verkehren. Da das Hafenbecken Taidongs derzeit aber noch durch mehrere angeschwemmte Festmeter Holz in Form von Baumstämmen aus dem Landesinneren blockiert ist steigen wir standesgemäß auf einen kleines Flugzeug um.


Anreise und Unterkunft


Eine wackliger kurzer Flug von 15 Minuten in einer kleinen klapprigen Dornier 28 bringt mich an einem Freitag Morgen alleine nach Lu Dao. Beim Flug wird sofort ersichtlich, das nicht nur das Hafenbecken Taidongs voller Baumstämme ist. Gleiches gilt auch für Taiwans Ostküste: Als ob Riesen eine Partie Mikado begonnen, dann aber die Lust verloren und das Spielgerät einfach liegen gelassen haben bedecken sie den Strand vor Taidong bis zum Horizont in nördlicher und südlicher Richtung.

Dornier 28 Schiffsschaukelflieger

Durch heftige Böen schaukelt der kleine Flieger wie eine Schiffsschaukel in einem Vergnügungspark. Er taucht und steigt munter von einem Luftloch zum nächsten. Die Kotztüte muss ich zum Glück trotzdem nicht zum Einsatz bringen. Hier hilft der alte Seefahrertrick gegen Seekrankheit: Einfach geradeaus über die Schulter der Piloten die Horizontlinie mit dem Auge fixieren und die Bewegungen der Maschine antizipieren. Ein räumlich getrenntes Cockpit gibt es in der kleinen Schleuder genauso wenig wie unnötiges Bordpersonal in Gestalt von Saftschubsen.

Die Landepiste des Flughafens entpuppt sich als eine Parallelstraße der einzigen Straße der Insel welche die Küstenlinie nachahmend die Insel umrundet. Von der Straße ist die Landepiste durch einen einfachen Jägerzaun getrennt. Eigentlich soll ich ich vom Flughafen abgeholt werden, das klappt aber irgendwie nicht wie geplant. Chi Hsuen, die erst am Abend nachreist, hat uns im Hostel eines Bruders des Schwagers einer Freundin (oder so ähnlich) untergebracht.

Zuerst reisst eine ältere Frau ungefragt an meiner großen Tasche und will dieses und mich auf ihren klapprigen Roller zerren (Taxis gibt es hier keine). Wie beim Tauziehen zerrt sie meine Tasche auf den Roller, ich ziehe sie zurück und halte dagegen, sie zerrt die Tasche und mich in einem weiteren Anlauf auf den Roller, ich steige ab und ziehe meine Tasche wieder zu mir zurück und ramme meine Füße in den Boden usw. Bald gibt sie auf und verzieht sich laut schimpfend.

Und irgendwann kommt dann doch das bestellte Abholkommando in einem rostig weißen Mitsubishi um die Ecke. Offensichtlich unter Drogen stehend, hier kauen alle den lieben langen Tag Betelnüsse und schlagen so erfolgreich benebelt Zeit und Hitze tot, deutet sie mir an, meine Klamotten in den Kofferraum zu verfrachten. Die Fahrt stoppt nach keinen drei Minuten auf dem Hof einer Mischung aus schäbig stinkendem Restaurant und Tauchbedarfsverleih.

Ich zeige ihr auf der Karte, wo ich eigentlich hin möchte – nämlich auf die ganz andere Seite der Insel. Sie zuckt mit den Achseln und verlässt das Auto. Zusätzlich weigert sie sich, später am Abend Chi Hsuen vom Flughafen abzuholen – wir seien schließlich nur zu zweit und keine Gruppe, sie möge sich doch einen Motorroller mieten und selber hierher kommen wenn sie nicht zu Fuß laufen möchte, vom Transfer von mehreren Personen wisse sie nix (weshalb ich ja versuche, es ihr zu erklären – was schwierig ist, da sie kein Englisch spricht und ihr dialektbehaftetes chinesisch schwer verständlich ist, was aber auch am ständig vollem Mund voller Betelnüsse und dem damit einhergehenden nuscheln liegen kann).

Strandpromenade Nan Liaos direkt vor Jacks Hotel am Abend

Also packe ich meine sieben Sachen und suche mir eine andere Unterkunft zu Fuß. Ein paar hundert Meter weiter finde ich sie in „Jacks Hotel“, das ich an dieser Stelle nur weiterempfehlen kann: Den Flughafen verlassen, die einzige Straße in südliche Richtung durch die Ortschaft Nan Liao folgen, nach etwa 1.5 KM liegt es auf der linken Straßenseite – 300m nach dem obligatorischen „Familiy Mart“ den es ja in jeder Kaff gibt. Das Hostel ist geschmackvoll eingerichtet und Jack hilft bei allem, das man hier braucht: Vermietung eines Motorrollers (braucht man hier unbedingt, sonst geht gar nichts!) und Teilnahme an Tauchgängen. Auch bei der Abreise zum Trocknen aufgehängte und vergessene Klamotten schickt er bei Bedarf, also bei uns, gerne mit der Post hinterher.

Später stellt sich heraus, das die Betreiberin des Hostels, das wir ursprünglich aufsuchen wollten, angeblich ganz kurzfristig in Taipei zu tun hat und gar nicht auf der Insel ist. Daher hat sie die Freundin eines Bruders ihres Schwagers (oder so ähnlich) gebeten, Chi Hsuen und mich bei sich im Hotel aufzunehmen und uns vom Flughafen abzuholen. Dumm nur, das sie uns von der Alternativunterbringung in abgeranzter Lage mit Meerblick nicht unterrichtet hat. Eine gute Möglichkeit dazu wäre der Anruf am Morgen der Abreise gewesen – da war aber noch alles in Ordnung, es sei alles organisiert und wir sollten uns keine Sorgen machen. Anlass zur Sorge bietet die Unterkunft in Jacks Hotel auch keine, hier fühlen wir uns pudelwohl und können das Wochenende auf der Insel geniessen.



Tauchen und Felsen


Wer als Tourist auf diese Insel kommt der hat vor allem Tauchen im Sinn. Je nach Lust und Laune kann man sich beim Schnorcheln von dem Zauber der Unterwasserwelt anfixen und lassen und dann direkt zum Flaschentauchen umsteigen – oder einfach sofort mit letzterem beginnen. Keine fünfzehn Meter vor der Küste bieten Korallenriffe perfekte Reviere dafür.

Schnorcheln kostet pro Stunde etwa fünf Euro und ist was für jeden. Auch Nichtschwimmer, also geschätzte 95 Prozent der Taiwanesen, kommen hier auf ihre Kosten. Zunächst wird man komplett mit Neoprenanzug, Schwimmweste, Taucherbrille und Schnorchel ausgestattet. Schwimmflossen gibt es nur für die Aufpasser, man braucht sie auch nicht da man sich eh nicht im Wasser bewegen wird.

Man legt sich dann bäuchlings auf das Wasser, schaut nach unten und hakt in die vom Aufpasser mitgebrachten Schwimmreifen mit einem Arm ein. Dieser Schleppverband von Schwimmreifen und eingeklinkten Amateurschnorchlern wird dann von den dabei rauchenden Bademeistern durchs Riff und am Ende wieder zurück zum Strand gezogen. Sind am Ende genauso viele Schwimmreifen wie Personen anwesend, so hat der Tauchwart alles richtig gemacht.

Falls nicht so hat er ein Problem. Leider wird die Ausrüstung nicht zum privaten Gebrauch verliehen, wer auf eigene Faust schnorcheln will muss sich seine Ausrüstung selber mitbringen. Wegen negativer Erfahrungen mit verschwundenen Touristen ist der unbewachte Verleih daher verboten. Auch wenn es so einfach aussieht und man sich im Besitz des Seepferdchen-Schwimmabzeichens befindet sollte man von der Idee besser Abstand nehmen. In nur zehn Minuten reglos auf dem Wasser treibend wird man von der starken Strömung schnell ein paar hundert Meter in Richtung offenes Wasser abgetrieben.

Von dem Zauber der Unterwasserwelt gefangen kann man da als Unbedarfter schneller die Orientierung verlieren als einem Lieb ist, obwohl es auch keiner übermenschlichen Kraftanstrengung bedarf um wieder zurück in Richtung Küste zu schwimmen.

Ich hätte nie gedacht, keinen Steinwurf von der Küste entfernt in einem touristisch doch stark frequentiertem Abschnitt wie hier so viele, wirklich hunderte, Fische zu sehen. In allen Farben, Formen und Größen, Barakudas, „Findet Nemo“-Clownfische, Skalare. Phantastisch geformte Korallenstrukturen durch deren Tunnel und Löcher Schwärme von Fischen elegant fliegen. Ich beginne zu verstehen, warum viele, die einmal getaucht sind, es immer wieder tun. Dieser Sucht kann man leicht verfallen. Wir schnorcheln an diesem Wochenende mehrmals, auch wenn es immer wieder im gleichen Strandabschnitt ist wird es nie langweilig.

Eine andere lohnenswerte Freizeitbeschäftigung ist das herumheizen mit dem Motorroller. Dazu gibt es eine Küstenstraße, die auf einer Strecke von 18 Kilometern einmal um die Insel führt und diese, mit teilweise spektakulären Aussichten, umrundet. Muss man nicht schwimmen können um zu schnorcheln muss man hier auch keinen Führerschein vorzeigen um sich einen Roller zu leihen. Hinsetzen, Gas geben und Spaß haben, kinderleicht.

Felsformation „Der hockende General“

Der Pazifik nagt mit Macht am porösem Vulkangestein und hat einige imposante Felsformationen geschaffen bzw. modelliert noch immer an diesen. Das Wasser ist kühlblau, türkis mit einem Stich ins grünliche wenn es sich mit weißer Wellenkrone schäumend überschlägt und laut gegen die Felsen klatscht. Findige Geister haben den prominentesten Felsen sperrige Namen wie „Schönheit neben dem Pekinesen-Hund“ oder „Der hockende General“ gegeben. Warum ist mir nicht ganz klar, vermutlich weil die Felsen aussehen wie alles mögliche, aber auf keinen Fall wie ein hockender General. Mit weniger Phantasie könnte es auch ein profaner Müllmann oder Eisverkäufer sein. Imposant ist das Form und Farbenspiel aber auf jeden Fall, egal, wie man das Kind nun nennt und ob überhaupt.

Ich nenne diese Felsformation „Das aufgetauchte U-Boot“, die offizielle Bezeichnung habe ich gerade nicht zur Hand


Gefangen


So touristisch idyllisch es heute auf der grünen Insel zugeht, so freidlich war es hier nicht immer. Die abgeschirmte Insellage animierte Chiangs KMT Partei, nach Besetzung Taiwans zur Nutzung als Gefängnisinsel. Inhaftiert waren hier die politischen Häftlinge in der Zeit des heute so genannten „Weißen Terrors“, der Zeit des Polizeistaats von 1950 bis Mitte der 80er Jahre.

Eine bunt gemischte Gruppe aus Intellektuellen, Schriftstellern, Regimegegnern und Kommunisten. Einfach alles, was der herrschenden Klasse nicht in dem Kram passte. Ausreichend war dafür oft eine Denunzierung oder der bloße Verdacht, ein Kommunist bzw. ein kommunistischer Spion zu sein. Etwa 10.000 Taiwaner verschlug es so hierher, einige waren Jahrzehnte in Haft, glücklichere nur ein paar Jahre. Weniger glückliche verstarben auf der Insel. Niemand wusste, was mit ihnen geschah und wer hier einsaß.

Gefängnis für politische Gefangene

Der Offenlegung dieses dunkelsten Kapitels aus der Geschichte Taiwans hat sich vor allem die bis zuletzt regierende Oppositionspartei DPP verschrieben. Heute gibt es ein Mahnmal das alle hier inhaftierten aufzählt und das leer stehende Gefängnis wird zu einem Museum umgebaut. Der letzte Präsident Taiwans hatte selber ein paar Jahre hier abgesessen. Noch heute gibt es ein Gefängnis auf dieser Insel, in diesem sitzen aber keine politischen Häftlinge, sondern gerichtlich verurteilte Schwerverbrecher ihre Strafe ab.

Die Vergangenheit als Gefängnisinsel wird ansonsten touristisch mit dem üblichen Klim-Bim ausgenutzt. Ein Eiscafe hat die Form einer Gefängniszelle mit schwedischen Gardinen durch die Gäste ihre Eisportionen gereicht bekommen. Ich kaufe mir ein T-Shirt mit einem „Sperrt die Scheiss-Kommunistenärsche weg!“-Slogan (frei übersetzt). Irgendwas anderes muss auch noch draufstehen, denn mir wird geraten, es nicht bei einem Besuch in der Volksrepublik China zu tragen.



Deaflympics 2009 in Taiwan


In Taipei wird schon seit Wochen auf Plakaten und Bussen für die Ausrichtung der Deaflympics, der olympischen Spiele der Gehörlosen, geworben. Diese wurden am Samstag, während ich auf Lu Dao weilte, offiziell eingeweiht. Ausländische Athleten in Trainingsanzügen der jeweiligen Nationen für die sie an den Start gehen, prägen seitdem das Stadtbild.

Die Eröffnungszeremonie muss sich nicht hinter der anderer sportlichen Großveranstaltungen wie der Olympiade oder einer Fußball Weltmeisterschaft verstecken, sie fällt nur im Maßstab etwas kleiner aus. Beim obligatorischen Einmarsch der Sportler glänzen nur die chinesischen Athleten durch Abwesenheit. Wie bei einem Kindergeburtstag: China war bockig, weil im Nachgang des Taifuns der Dalai Lama nach Taiwan eingeladen wurde um mit den Überlebenden der Katastrophe zu beten. Und auch wenn er geschickt sämtliche provokanten politischen Themen bei seinem Besuch ausklammerte reagierte Beijing gewohnt unsouverän und wollte Taiwan nun ein bisschen ärgern. Offiziell hatten die chinesischen Sportler es nicht pünktlich zur Eröffnungsfeier geschafft da es zu wenig Flüge gab und konnten deshalb nicht im Rahmen der Eröffnungsfeier auflaufen. Teilgenommen hat die chinesische Mannschaft an den Spielen und auch an der Abschlussveranstaltung dann aber trotzdem.

Mittelpunkt der Eröffnungszeremonie waren die üblichen Massen-Tanzveranstaltungen und Feuerwerke mitten in der Manege. Da in Taiwan das Essen so wichtig ist gab es konsequent eine Gruppe von Tänzern, welche als Dim Sum verkleidet um einen überdimensionalen Reistopf tanzten. Andere waren Sojasauce verkleidet oder zwängten sich in überdimensionale Essstäbchen-Kostüme.

Sehr amüsant. Das hätten wir in Deutschland bei der Ausrichtung der letzten Fußball WM 2006 auch so machen sollen. Bitte für die nächste Großveranstaltung auf heimischen Boden vormerken: als Bratwürste, Bierflaschen und Schweinshaxen verkleidete Kinder tanzen und rollen sich im Kreis um einen großen Topf mit Sauerkraut und Kartoffelpüree. Am Ende springen sie in den Topf und werden gegessen. Falls ich mal eigene Kinder haben sollte würde ich sie dafür aber nicht zur Verfügung stellen. Sich in jungen Jahren vor einem Millionenpublikum als Bratwurst verkleidet zu erniedrigen – da bekommt man doch einen Knacks fürs Leben. Der Einsatz als Auflaufkind ist im direkten Vergleich dazu erstrebenswerter.

Auch in der Abschlussveranstaltung ging es natürlich nur wieder um eins: ums Essen. Diesmal gab es echtes Essen im Rahmen eines riesigen Banketts für alle teilnehmenden Sportler. Neben kleinerer organisatorischer Mängel und Fehlplanungen (eine für Millionen neu gebaute Schwimmhalle direkt neben dem Stadion konnte nicht für die Schwimmwettbewerbe genutzt werden, die Bahnen waren schlicht zu klein – Ausrede der Bauherren: Die Halle sei nur zum Aufwärmen gedacht, tatsächlich fanden die Schimmwettbewerbe an einem 20 KM entfernten Ort statt) war es eine beeindruckende Veranstaltung.

Das olympische Motto, lieber Tod als Silber - Kommerz und Werbung bis die Schwarte kracht, hat bei den Deaflympics keine Gültigkeit. Stattdessen steht wirklich der weltweite Austausch junger Sportler im Vordergrund. Es gab keine Barrieren zwischen Fans und Athleten, ein Veranstaltung zum Anfassen. Nicht selten feuerten sich die Sportler und Anhänger rivalisierender Nationen an oder zollten der Leistung des Gegners Respekt. Eine erfrischende Abwechslung zum sonst gewohnten Popanz unter den fünf Ringen.

Gehörlosen-Fußball

Nach einer halben Stunde Suche finde ich auf der unterirdisch schlecht strukturierten offiziellen Homepage der Deaflympics den Veranstaltungskalender der Fussballmannschaften. Bis auf die Finals sind alle Spiele umsonst, sie beginnen wegen der Hitze früh morgends um 9:30 oder nachmittags. Wie lange schon habe ich kein Fußball schauen können, während Pauli zu Hause die Liga rockt?

Deutsche Sportler auf der Tribüne

Zu den bekannten 90 Minuten Spielzeit gibt es die Möglichkeit einer zweiminütigen Trinkpause, dieser kann ein Schiedsrichter je nach Bedarf bis zu einmal pro Halbzeit ansetzen. Wichtigstes Instrument für den Unparteieischen ist nicht seine Trillerpfeife, sondern eine gelb/rotes Tuch. Damit signalisiert er den Sportlern optisch sichtbar die Entscheidungen, die er sonst akustisch mit seiner Pfeife zum Ausdruck bringt. Gelbe und Rote Karten gibt es aber nach wie vor, und sie werden auch gebraucht. Abgesehen von diesen kleinen Änderungen gibt es keine nennenswerten Unterschiede zum Nicht-Gehörlosen-Fussball.

Die Tribüne füllt sich vor den Spielen meistens mit einer Handvoll ausländischer Touristen der jeweiligen Länder die gerade spielen. Lautstärkste Unterstützer ihrer Teams sind hier die USA. Pro Spiel und Mannschaft wird außerdem eine lokale Grund- oder Oberschulklasse zum Support-Dienst vergattert und mit den benötigten Flaggen zur optischen Anfeuerung versehen. Man sitzt direkt neben den Sportlern und Trainern auf der Tribüne und kann sich, wenn man der Gebärdensprache mächtig ist, mit diesen Unterhalten.

Im Viertelfinale der deutschen Herrennationalmannschaft ist eine Delegation deutschsprachiger Schulkinder der örtlichen deutschen Schule zum Anfeuern im Stadion. Die aus Kinderkehlen gekrähten Anfeuerungen vom Schlage „Deutschland vor – noch ein Tor!“ sind zwar erbarmungslos einfallslos, aber die Akustik spielt hier zum Glück ja nur eine untergeordnete Rolle. Brav werden deutsche Fahnen geschwenkt und Nationalmannschafts-Trikots getragen (die Variante mit Ballack auf dem Rücken erfreut sich der größten Beliebtheit). Vereinzelt mischen sich auch DDR Fahnen unter die Menge, was der Absicht der Anfeuerung aber keinen Abbruch tut.

Nach dem Viertelfinalsieg gegen Argentinien

Sportlich überraschend schaffen es die Herren leider nicht ins Finale und scheitern knapp an der russischen Mannschaft (die ebenso im Finale gegen die Ukraine den kürzeren zieht). Im kleinen Finale um denn dritten Platz besiegen sie aber die französische Mannschaft deutlich und reisen verdient mit einer Bronze-Medaille zurück nach Deutschland.

Niveauschwächer, aber erfolgreicher im Vergleich ist die Darbietung der Frauen. Im Halbfinale liegen sie bereits 3:0 gegen die favorisierte russische Mannschaft zurück, kämpfen sich aber nach einer tollen zweiten Halbzeit und Verlängerung mit 4:3 zurück ins Spiel und ins Finale. Das geht zwar, wie schon das Eröffnungsspiel, gegen die USA mit 4:0 verloren (die Herberger-Taktik geht wohl auch wegen mangelndem Regen nicht auf). Auf die Silbermedaille können die Sportlerinnen aber zu Recht stolz sein.

14.9.09

Bilder aus Taiwan

Best Of Taiwan 2009

Auf flickr kann man eine Menge Bilder von mir finden. Sind ne ganze Menge geworden, so das man leicht den Überblick verlieren kann.

Die meiner Meinung nach besten Fotos aus Taiwan habe ich in einem eigenen Fotoalbum gebündelt.

Viel Spaß & schöne Grüße aus Taipei!

11.9.09

Kinmen und Cihu

Die Chinesisch-Chinesische Grenze in Kinmen

Eine kleine Gesichtsstunde zum Taiwankonflikt. Heute können die wichtigsten Orte dieser Auseinandersetzung auf der Insel Kinmen besucht werden, die aber auch unabhängig ihrer historischen Relevanz einen Besuch wert ist.


Exkurs: China und Taiwan – ein geteiltes Land oder zwei souveräne Länder?

Nach dem zweiten Weltkrieges wurden weltweit einige Grenzen neu gezogen. In vier Fällen – Korea, Vietnam, China und Deutschland - verliefen neue künstliche Grenzen mitten durch bis dahin zusammenhängende Staatsgebiete: Diese Grenzen waren Teil der Trennlinien der neuen bipolaren Weltordnung des kalten Krieges, sie trennten Völker und Familien. Kalt war der kalte Krieg, was bewaffnete Grenzkonflikte in diesen Ländern angeht, eigentlich nur in Deutschland. In Vietnam, Korea und China wurde an diesen Grenzen heiß gekämpft.

Der eiserne Vorhang in Europa ist seit nun fast zwanzig Jahren geöffnet, Deutschland ist friedlich wiedervereinigt und hat das Merkel. In Vietnam wurde diese Grenze zu Gunsten des kommunistischen Lagers nach jahrzehntelangen Bürgerkriegen in den 70er Jahren beseitigt. Auf der koreanischen Halbinsel hat die Trennung in Nord- und Südkorea noch heute Bestand. Beide Länder befinden sich nach wie vor im Krieg. Dieser ist zwar seit über 50 Jahren durch einen Waffenstillstand unterbrochen, formal aber wurde er nie beendet.

Die vierte dieser Grenzen teilt Taiwan von der Volksrepublik China ab. Nach der Befreiung von den japanischen Besatzern im zweiten Weltkrieg brach zwischen den chinesischen Führern Chiang Kai Shek und Mao Zedong ein blutiger Bürgerkrieg um die Vorherrschaft in China aus. Von dem Kampf gegen die japanischen Besatzer geschwächt konnte Chiangs Nationalarmee der kommunistischen Volksarmee Maos nichts entgegensetzen. Auch – eher halbherzig gewährte - amerikanische Militärhilfe verpuffte effektlos. Maos Truppen waren disziplinierter und erfolgshungriger. Chiangs Armeen demgegenüber ein Musterbeispiel an Disziplinlosigkeit, moralisch degeneriert und vor allem des langen Kampfes müde.

Aus dem Krieg gegen Japan hatte sich Mao vornehm zurück gehalten und in aller Ruhe die eigenen Truppen aufgerüstet während Chiang die Kohlen aus dem Feuer holen musste. Jetzt war Maos Chance gekommen und er nutze sie brutal. Als legitimer gewählter Vertreter der Republik China setzte sich Chiang daher 1949, von den Kommunisten geschlagen, endgültig mit den verbleibenden Resten seiner Armee und seiner Partei KMT (Chinesische Nationalpartei) nach Taiwan ab. Mao konnte in Festlandschina die bis heute existierende Volksrepublik China ausrufen und etablieren.

Mao und Chiang blieben sich seitdem spinnefeind. Beide glaubten an ein China zu dem auch Taiwan gehörte. Ein Anspruch an die Integrität des chinesischen Staatsgebiets wie er bis heute unter dem Chiffre „Ein China“ formuliert wird. Unterschiedlich jedoch war die Perspektive auf diesen Anspruch: Aus Sicht Maos ist Taiwan Teil des kommunistischen Staates den er 1949 proklamierte und dessen sechzig jähriger Geburtstag dieses Jahr im Oktober sicher mit großem Trara gefeiert werden wird.

Aus Chiangs Perspektive hat die Republik China nie aufgehört zu existieren. Die Ausrufung Volksrepublik China war unrechtmäßig und diese nur eine temporäre Episode die es zu korrigieren galt. Erst einmal musste er dazu aber Kraft tanken, sich auf Taiwan neu organisieren und sammeln. Den Anspruch der Rückeroberung Chinas hat er dabei nie aufgegeben, auch wenn die Chancen auf die Umsetzung dieses Plans mit der Zeit immer unwahrscheinlicher wurden.



Bis heute nennt sich Taiwan daher offiziell R.O.C – Republic Of China. Ein Staat, der in seiner Existenz nur von politischen Schwergewichten vom Kaliber eines Vatikanstadt oder den Marshall-Inseln offiziell als solcher anerkannt wird. Alle anderen Länder haben zu Gunsten der Volksrepublik China diplomatische Beziehungen zu Taiwan abgebrochen bzw. pflegen sie auf der Ebene von Büros zum Kulturaustausch. Die R.O.C. hat damit de facto qua mangelnder Akzeptanz und Aussenwirkung der wichtigsten Länder der Welt aufgehört zu existieren.

Ein Staat, der von nur wenigen als solcher gesehen wird, ist ein witzloses Konstrukt. Obwohl Taiwan alle Attribute eines legitimen Staates besitzt: Ein klar abgegrenztes Territorium, politisch legitimierte Führung, Währung, Rechtssprechung, Militär, Polizei, etc.

Die Frage, wie sich Taiwan heute selbst versteht, ist nicht so einfach zu beantworten. Zum einen sind sämtliche gewählten Vertreter der ehemaligen Regierung der R.O.C. inzwischen gestorben und der Anspruch, Nachfolger der R.O.C. im Wartestand zu bis zur Wiederherstellung derselben auf dem Festland zu sein, lässt sich historisch nicht mehr aufrecht erhalten.

Taiwanesen begreifen sich heute wohl in der Mehrheit als auf Taiwan geborene Chinesen, welche zwar historisch und ethnisch mit China verbunden sind, mit der Volksrepublik China aber nichts am Hut haben und haben wollen. Aber nur wenige fordern explizit einen eigenen und unabhängigen Staat.

Viele Taiwanesen haben sich mit dem Status Quo arrangiert und ein eigener Staat ist ihnen schlichtweg egal. Ging es also früher um ein China inklusive Taiwan – in einer kommunistischen oder republikanischen Ausprägung - so hat lautet die aktuelle Frage eher, ob Taiwan ein eigener Staat sein soll oder nicht. Beijings Sicht der Dinge ist klar: Taiwan und Tibet gehören zum Territorium der Volksrepublik China. Basta.

Formal hat Taiwan seine Unabhängig nie erklärt und sitzt nun zwischen den Stühlen und damit in der Tinte: China droht im Falle einer Unabhängigkeitserklärung mit einem Militärschlag mit dem Ziel der Eroberung Taiwans – und diese Drohung ist sogar in der chinesischen Verfassung verankert. Auf der anderen Seite benötigt Taiwan aber eine eigene staatliche Identität, die sich nur durch eine Unabhängigkeitserklärung erlangen lässt. Man ist sich nicht klar darüber, ob man das wirklich will und verharrt in einer Art Duldungsstarre – ohne klare Vorstellung oder ernsthafte Ambitionen, diesen Zustand aufzulösen.Taiwan selbst ist auch zu schwach, sich hier gegen den stärkeren Nachbarn bzw. Bruder behaupten zu können, und könnte wohl auf wenig externe Hilfe hoffen.


Kinmen als Schauplatz des Taiwan-Konflikts

Die kleinen Insel Kinmen (sprich: „Dschiemän“, früher auch mit „Quemoy“ lateinisiert) ist eine Bühne für die bisherigen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der Volksrepublik China und Taiwan. Dieses kleine, schmetterlingsförmige Eiland ist mit 1.7 KM Entfernung zur chinesischen Küste der Teil Taiwans, welcher der Volksrepublik am nächsten kommt. Taiwan selbst ist mit knapp 300 Kilometern etwas weiter weg.

Angriff Chinas auf Kinmen im Jahr 1949

Schon 1949, noch im Jahr der Ausrufung der Volksrepublik China, versuchten die Kommunisten, diese Insel einzunehmen. Für zwei Tage konnten sie einen Brückenkopf im Nordwesten der Insel behaupten, wurden dann aber in der folgenden Gegenoffensive wieder von der Insel vertrieben.

Diese Vertreibung der rotchinesischen Sturmtruppen wird heute in der Geschichte Taiwans als eine Art heldenhafter Gründungsmythos in Ehren gehalten. An die entscheidende Schlacht um den Ort Ku Ning Tou erinnert heute ein Museum, inklusive verherrlichender Darstellungen der damaligen Vorkommnisse. Da damals anscheinend wenig fotografiert wurde sind die wesentlichen Elemente der Schlacht nachträglich auf überdimensionalen gemalten Bildern festgehalten worden und diese lassen die damaligen Ereignisse im Museum noch einmal Revue passieren.

Ausbau von Kinmen zur Festung

Schlacht um Strandabschnitt nahe Ku Ning Tou

Chiang höchstselbst präsentiert sich in einer Parade den siegreichen Truppen ...

... während die geschlagenen Rotarmisten (man beachte das Abzeichen der chinesischen Volksarmee auf der Mütze) nach Hause oder in Kriegsgefangenschaft geschickt werden

In Folge der erfolgreichen Schlacht um Kinmen wurde die Insel zu einer Festung ausgebaut. Chiang wollte diesen Ort, quasi als Stachel im chinesischen Festlandsfleisch, unbedingt halten. Nur so lies sich ernsthaft sein Plan zur Rückeroberung Chinas aufrecht erhalten. Das gesamte Areal wurde zum militärischen Sperrgebiet erklärt und spielte in der Folge eine immer skurrilere Rolle in der taiwanesisch/chinesischen Auseinandersetzung.

Die erste Nagelprobe galt es keine zehn Jahre später zu bestehen. 1958 beschoss China die Insel vom Festland aus mit heftigem, mehrere Monate anhaltendem Artillerie-Feuer. Insgesamt verfeuerte China aus 350 Geschützen eine halbe Million Granaten auf Kinmen – gut verteilt auf eine Fläche etwa so groß wie Bremen! Parallel sollte eine Seeblockade die Insel von der Außenwelt abschließen.

Rotchina brauchte vor allem ein Ablenkungsmanöver um von dem innenpolitischen Desaster des großen Sprungs nach vorne und seinen Folgen abzulenken. Außerdem sollte die Bündnistreue der USA mit Taiwan getestet werden. Kinmen hielt stand und schoss zurück. Dieser Episode wurde von beiden Seiten als Erfolg verbucht: Tatsächlich musste Taiwan zwar die kleineren Dachen Inseln in der Nähe von Kinmen räumen, konnte aber von Kinmen nicht vertrieben werden. Kleinere Scharmützel und Artillerieduelle wurden bis 1978 fortgesetzt.

Propagandagranate

From Taiwan With Love ...

... und Rotchinas Antwort darauf

Die interessantesten verwendeten Geschosse in diesem Konflikt waren spezielle Propagandagranten. Sie explodierten nicht, sondern liessen metallene Kapseln gefüllt mit diversem Propaganda-Nippes an kleinen Fallschirmen zur Erde segeln.Verhandlungen mit der UN wurden mit dem Ergebnis abgeschlossen, nur noch jeden zweiten Tag zu schießen. An Tagen ungeraden Datums wurden daher der Beschuss auf Propaganda-Munition umgestellt, ansonsten scharf geschossen.

Nach 1978 einigte man sich auf den kompletten Verzicht von scharfer Munition und auf folgenden Plan: Taiwan durfte Montags, Mittwochs und Freitags Propaganda-Granaten Richtung China feuern, China konnte Dienstags, Donnerstags und Samstag antworten. Als Ruhetag ohne irgendwelchen Propaganda-Beschuss war der Tag des Herrn vorgesehen.

Um Rotchina zu ärgern montierte man ab 1978 auf dem höchsten Berg der Insel die größten Neon-Schriftzeichen Taiwans. Diese waren bei Nacht gut vom Festland aus zu sehen und ein aufmerksamer Beobachter konnte von dort die erste Zeile der taiwanesischen Nationalhymne entziffern. Tatsächlich beschwerte sich die chinesische Großstadt in Sichtweite dieser Installation Hsia Men (früher bekannt als Amoy) als diese überdimensionierte Leuchtreklame 1990 abgeschaltet wurde. Über Nacht hatte man die größte Touristenattraktion verloren. Zum Glück beließ man es bei einem Protest, weitere kriegerischen Handlungen wurden deswegen nicht aufgenommen.


Kinmen heute

Auch der massive geregelte Einsatz von Propaganda konnte den Verlauf der Geschichte nicht maßgeblich beeinflussen und so blieb Kinmen bis heute ein Teil Taiwans. 1992 wurde die militärische Sperrzone aufgehoben und ist seitdem frei zugänglich. Zusätzlich wurde Kinmen als Nationalpark deklariert und seitdem touristisch erschlossen.

Die Spuren der kriegerischen Auseinadersetzung sind noch allgegenwärtig und werden teilweise als Attraktion genutzt. Bunker, die meisten verlassen und mit Wasser vollgelaufen, gibt es an allen Ecken und Enden. Unter der Hauptstadt Kin Cheng kann ein 3 Kilometer langes Tunnelsystem besichtigt werden, welches die Schulen der Stadt, das Rathaus, den zentralen Busbahnhof und das Büro der KMT Partei verbindet (die Dependance der Oppositionspartei DPP verfügt über keinen solchen exklusiven Evakuierungsanschluss).

Von den 50.000 Einwohnern sind immer noch die Hälfte Angehörige der taiwanesische Streitkräfte. Ein großer Teil von ihnen leistet hier seinen Wehrdienst ab. Das Aufgaben-Spektrum hat sich eher in den zivilen Bereich verschoben: Heute ist jeder hier stationierte Soldat Parte eines Baums und kümmert sich so um die Begrünung der Insel. In der Freizeit sind die Soldaten häufig in den Internet-Cafes der Hauptstadt anzutreffen und halten sich dort für den Ernstfall mit einschlägigen Ballerspielen a la Counterstrike fit.

Minenverseuchten Strände der Insel laden zum Schwimmen aus

Flankiert von markigen Propaganda-Sprüchen vom einprägsamen Schlage eines „Gib mir mein Land zurück!“ können Touristen heute durch Fernrohre und durch Bunker gesichert einen Blick in Richtung China werfen. Heute tummeln sich chinesische Fischerboote in der 1.7 KM breiten Wasserstraße zwischen Taiwan und China und das einzig heiße an der Grenze ist das Wetter.

Abseits von all dem militärischen bietet sich für Architektur interessierte das vermutlich einzig nennenswerte Ziel Taiwans. Wurden traditionelle Bauten andernorts einfach platt gemacht hat hier die militärische Isolation einzigartige Bauten konserviert (bzw. wurden diese nach Beendigung der Bombardierung wieder orginalgetreu aufgebaut).

Doppelzimmer unserer Unterkunft in Shui Tou

Tee zum Frühstück

Straße in Shui Tou

Innenhof unserer Unterkunft in Shui Tou

Empfehlenswert ist das Dorf Shui Tou, in dem sich Gebäude im klassischen fukienesischem Stil (erkennbar an langgestreckten Giebeln in Schwalbenschwanzform) dicht aneinander drängen. Ein lebendiges Freilichtmuseum in das sich Chi Hsuen und ich uns für zwei Tage einmieten. Für sparsame 80,- Euro kann man hier ein schönes und stilvolles Wochenende verbringen. Als Besucher hat man hier eher den Eindruck, in China und nicht in Taiwan zu sein. Es erinnert eher an Beijings Huton-Viertel als an die hässlichen seelenlosen Betonquartiere Taipeis.

Essen auf Kinmen, eine der wenigen McDonalds-Buger King-Subway-Starbucks freien Zone Taiwans: Gegrillter Schweinedarm ist der kulinarische Hammer




Hirseschnaps und Bomben zu Küchenmessern


Besonderheiten der lokalen Industrie und damit beliebte Souveniers sind aus Granaten hergestellte (Küchen)messer und ein speziell hier destillierter Hirseschnaps.

Eine überdimensionale weiße Schnapsflasche ist das erste, was ein Besucher Kinmens auf dem Weg vom Flughafen zur Hauptstadt sieht. Der aus lokal angebauter Hirse gebrannte Schnaps hat 58 Umdrehungen und heißt deswegen der Einfachheit halber auch 58. Schmeckt eher wie Wodka und weniger wie Whiskey. Gan Bei!

Der Schmied Wu kam auf die originelle Idee, aus der Not der Bombardierung eine Tugend zu machen. Fleißig sammelte er die Granatenhülsen und Reste ein und schmiedete daraus alles messerförmige vom Taschenmesser über Küchenmesser und Macheten bis hin zum Samurai-Schwert.

Dazu werden beim Schmieden besonders aufwändige Faltungstechniken angewendet die zu sehr hartem und scharfem Stahl führen, analog dem Herstellungsprozess von Toledo-Stahl. Besonders gut eignen sich die Propaganda-Granaten: Der Stahl dieser Granaten ist hochwertiger und weniger porös, denn sie sollten ja nicht in Schrappnelle zerplatzen sondern schützend ihren Propaganda-Tinnef ins Ziel bringen.

Aus dem Stahl einer Granate können in etwa 800 Messer produziert werden. Dank der halben Millionen Granaten aus der Bombardierung herrscht an diesem Rohstoff in den nächsten hundert Jahren kein Mangel. Ein Besuch der Schmiede ist Pflicht, hier kann man Meister Wu höchstselbst bei der Arbeit über die Schulter schauen.

Schmieden des Stahls

Zurechtschneiden der Klinge


Schleifen der Klinge

Das fertige Messer



Chiangs Obersalzberg in Cihu


Taiwans Obersalzberg befindet sich gut 70 Kilometer südwestlich der Hauptstadt in einem kleinen verborgenen Tal nahe der Ortschaft Cihu. Der ehemals streng gesicherte und hermetisch abgeriegelte Rückzugsort von General Chiang und seinen Freunden kann heute besichtigt gewerden und ist quasi ein Muss für jeden halbwegs an Geschichte interessierten Reisenden.


Busfahrt nach Cihu (und Verhalten in öffentlichen Verkehrsmitteln insgesamt)

Die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln über Dasi per Bus ist ein kleines Abenteuer, denn in Dasi wird gerade der Busbahnhof renoviert. Von Renovierungstätigkeiten sollte man übrigens, egal was man plant, immer ausgehen. Irgendwas gibt es hier immer zu tun und ständig sind irgendwelche Pforten verschlossen.

Nach einer halben Stunde finde ich in Dasi die richtige Ersatzhaltestelle zur Weiterfahrt in Richtung Cihu. Leider gibt es dort nur einen pinkfarbenen Waschzettel auf dem so etwas wie „Ersatzhaltestelle“ auf chinesisch steht. Auf den Aushang von Fahrplänen, denen man Fahrtrouten oder Abfahrtszeiten entnehmen kann, wurde konsequent verzichtet.

Übersichtliche Fahrpläne weisen den Weg

Ich halte also einfach jeden vorbei fahrenden Bus an, um zu fragen, wohin er fährt. Busse muss man hier wie ein Taxi mit exakt im 90 Grad Winkel ausgestrecktem rechtem Arm heranwinken - sonst halten sie nur, falls zufällig gerade jemand aussteigen will. Da mich die Busfahrer trotz mustergültig ausgeführter Haltesignale meinerseits ignorieren ändere ich meine Taktik und springe bei jedem vorbei fahrenden Bus mit beiden Händen über dem Kopf winkend auf die Strasse. Öffnet ein so gestoppter Bus die Tür, so frage ich nach der Fahrtroute. Meistens fahren die Busse aber einfach unbeeindruckt weiter wenn ich die Fahrbahn freigebe.

Meine Hartnäckigkeit zahlt sich trotzdem aus: nach weiteren 50 Minuten in sengender Hitze hat ein Fahrer erbarmen und nimmt mich mit. Während ich noch den Fahrpreis nachfrage strömt hinter mir eine Gruppe von ca. 56 Rentnern undiszipliniert in den Bus. Ihrem Gepäck nach zu urteilen waren sie in Dasi auf dem Wochenmarkt und wollen ihre Errungenschaften nun nach Hause in Sicherheit bringen. Ich verstelle ihnen aber den Weg wie ich auf der Eingangstreppe des Busses stehe und mit dem Fahrer verhandele.

Mehrere Hände begrapschen und schieben an meinem Hintern rum, doch ich weiche keinen Zentimeter. Manche kriechen sogar zwischen meinen Beinen durch, eine beachtenswerte akrobatische Meisterleistung mit nicht aus der Hand gelegten Plastiktüten und sowas in hohem Alter. Aber auch ein mit Einkäufen voll beladener Hackenporsche, mehrmals mit Schmackes in meine Kniekehlen gerammt, fällt mich nicht. Eine Ruhe ist erst, als ich meine Sonnenbrille abnehme und mich, Blickkontakt suchend, umdrehe. Betretenes Schweigen, zum Boden gesenkte Köpfe und Ruhe auf die Frage, wo denn das Problem sei. Es gibt anscheinend keines – oder außer mir spricht hier keiner Deutsch.

Vielleicht bin ich schon zu lange hier. Habe ich noch in den ersten Wochen meinen Sitzplatz für Bedürftige bereit gestellt so ist meine Bereitschaft, das auch weiterhin zu tun, auf dem Nullpunkt angekommen. Die „Hoppla, hier komm ich - nach mir die Sintflut“-Mentalität ist ansteckend. Die Taiwanesen benehmen sich hier keinen Meter zivilisierter als ihre festlandschinesischen Brüder.

Ich muss mich den fremden Sitten und Gebräuchen anpassen, wenn ich hier nicht als kompletter Freak negativ auffällig werden will. Also steige auch ich genau dann in einen S-Bahn Waggon sobald sich die Tür öffnet – und ohne Rücksicht auf aussteigenden Fahrgäste (und manchmal drücke ich sie einfach zurück in den Zug und sie müssen sich eine andere Öffnung zum aussteigen suchen). Wartet man in aller Ruhe, bis alle Fahrgäste die Bahn verlassen haben, um danach einzusteigen, so wird man nur von hinten geschubst, angepöbelt oder schlicht zur Seite gedrängt.

In öffentlichen Verkehrsmitteln gibt es neuerdings so genannte „Priority Seats“. Priorität bei der Besetzung dieser Plätze haben Ältere, Behinderte, Schwangere oder Frauen mit Kindern. Sitze ich auf einem solchen Platz und nähert sich ein Bedürftiger gemäß dieser Priorisierung, so zeige ich ihm lachend den Vogel, mache mich noch etwas breiter und starre aus dem Fenster. Das mit dem Lachen und Vogel zeigen habe ich als neues Element hinzugefügt, vielleicht macht es bald Schule. Wenn einem die Mitmenschen so egal sind, so sollte man es auch zeigen.

Das normale beobachtbare Verhalten von Taiwanesen in einem solchen Fall ist es, mit versteinertem Gesicht aus dem Fenster zu schauen und sich so tot stellend alles um einen herum demonstrativ zu ignorieren. Plakataktionen, die das gewünschte korrekte Verhalten in solchen Fällen anmahnen, sollen das Verhalten in diesem Punkt ändern. Der pädagogische Effekt ist jedoch gleich null. Auch sehr beliebt: In einer Zweierbank den Gangplatz besetzten, den Fensterplatz frei lassen und versteinert nach vorne schauen. Sollen die anderen doch rumturnen und etwas Einsatz zeigen, wenn sie auf den freien Platz wollen – ohne Fleiß, keinen Preis. Nach mehrmaliger Ansprache werden manches mal wenigstens die Beine etwas zur Seite bewegt und so ein wenig Platz gemacht.

Vielleicht wird ein Sitzplatz in einem Verkehrsmittel aber auch einfach nur als temporärer privater Raum im öffentlichen verstanden. Taiwanesinnen entpuppen sich hier als pragmatische Meister im Zeitmanagement und machen dort das, was man bei uns eher bei sich zu Hause macht bevor man losgeht: Schminken und parfümieren zum Beispiel. Ich übe mein chinesisch in dem ich positives Feedback wie „Sehr hübsch!“ oder „Dein Parfüm riecht wie eine noch nicht vergammelte Lotusblüte am Morgen!“ abgebe. Das ist natürlich glatt gelogen, denn wie eine Lotusblüte – noch dazu eine vergammelte – am Morgen riecht weiß vielleicht einer der Leser, ich jedenfalls nicht. Für elaboriertere oder passendere Komplimente ist mein chinesischer Wortschatz einfach zu begrenzt, es wird aber jeden Tag besser.

Wo ich gerade beim Thema bin: Sehr beliebt ist es auch, in Fahrstühlen den „Tür schließen“ Knopf beim halten nervös dauerzuklicken. Auch wenn andere gerade aus- oder zusteigen wollen findet sich immer eine Hand, die diesen Knopf permanent in der Hoffnung, die eigene Fahrtzeit zu verkürzen, betätigt: Was interessieren mich die anderen – ICH will nach oben und nicht dauernd anhalten! Das die Steuerung eines Fahrtstuhls auch dann nicht schneller auf diesen Knopf reagiert wenn man ihn mehrfach schnell hintereinander drückt ist anscheinend noch keinem aufgefallen. Also bitte nicht weitersagen, damit ich mich bei diesem Anblick weiterhin erfreuen darf!


Den Chiangs ihre Privatresidenz in Cihu

Den Chiangs hat die Gegend um Cihu auf Anhieb gut gefallen, erinnert sie den alten Kai Shek doch in Vegetation und Geographie an seine alte Heimat. Prompt wurde daher das Tal militärisch abgeriegelt, ein kleiner Stausee zu Chiangs Plaisir ausgebaut und Bungalows mit Blick auf See, Berge und Dschungel angelegt.

See mit Floss für Paddelspaß in Cihu

Außer Mitgliedern der Oberschicht aus der KMT Nomenklatura wurde keinem Normalsterblichen hier Einlass gewährt. Auch dem Bündnispartner USA blieb verborgen, wie der alte Stratege Chiang hier seine Militärs Pläne zur Rückeroberung Chinas schmieden ließ. Als 1962 die Volksrepublik China durch den großen Sprung nach Vorne und den Folgen dieser exklusiven Spinnerei Maos geschwächt am Boden lag und das Hauptaugenmerk in der Region auf den Vietnam-Krieg lag sah der Generalissimo endlich seine Chance gekommen. Es sollten zwei-/drei Städte erobert und von dort ein Umsturz des kommunistischen Regimes gestartet werden.

Irgendjemand muss diese Pläne jedoch an die chinesische Volksarmee verraten haben, denn sämtliche Eliteeinheiten, die eine erste Welle der Rückeroberung in der Operation „Morning Glory“ einleiten sollten, wurde komplett aufgerieben. Auch konnten Landungsschiffe nicht wie geplant unentdeckt durch die Straße von Taiwan vorrücken und die taiwanesische Marine holte sich eine blutige Nase. Derartig militärisch geschwächt wurde die Aktion dann erst einmal abgeblasen und mehrfach verschoben. Zuletzt hatte man sich 1971 die Rückeroberung Chinas ernsthaft vorgenommen, musste aber auch diesen Termin ungenutzt verstreichen lassen.

Heute werden andere, wesentlich defensivere Pläner verfolgt. Derzeitig ist das Militär schon froh, wenn es ansatzweise das Kräftegleichgewicht halten und China vor einem Angriff abschrecken kann. Das ist schon jetzt aus eigener Kraft nicht mehr möglich und klappt eher schlecht als recht auf Basis von Schutzgarantien Washingtons. Und da sämtliche Länder der Welt (inklusive der USA) in Kotaustellung vor der Regierung in Beijing erstarrt sind können dringend benötigte moderne Waffensysteme nicht angeschafft werden, obwohl Mittel und der politische Wille zum Kauf dieser vorhanden sind. Beim Besuch des Militärmuseums in Taipei empfindet man tiefes Mitleid angesichts des zur Verfügung stehenden veralteten, dürftigen Waffenarsenals der taiwanesischen Streitkräfte. Die Herren in Zhong Nan Hai lassen weiter ihre Muskeln spielen und werden dazu demnächst wohl auch Paraden zum 60. Jahrestag der Republik Ende Oktober propagandistisch nutzen.

Hunderte wiedergänger Chiangs sind in Cihus Skulpturpark gestrandet

Auf dem Gelände in Cihu befindet sich heute ein kleiner Park in dem aus dem ganzen Land zusammengetragene Statuen und Büsten Chiang Kai Sheks, manchmal auch welche von Sun Yat Sen, ausgestellt sind. Entgegen seiner Zeitgenossen von Hitler über Stalin bis Mao hat Chiang nie einen Personenkult um seine eigene Person forciert oder gefordert und hat zu Lebzeiten immer etwas befremdlich auf derartige Darstellungen reagiert.

Wenig spektakulär und fasst schon spartanisch fällt dementsprechend auch seine Ruhestätte aus. Ein einfacher Sarg, ein kleines Kreuz (seiner Frau zu Liebe konvertierte Chiang zum Katholizismus, der hier auf Taiwan nach den Philippinen wohl seine größte Verbreitung in Asien genießt). Das andere Despoten die letzte Ruhestätte wesentlich pompöser gestalten wusste er wohl selbst, nur war Selbstdarstellung ja nicht sein eigentliches Ziel. Dieser Ort ist daher auch kein Wallfahrtsort wie das Grab anderer Führer Asiens vom Schlage eines Kim Il Sungs oder Mao Zedongs.

In den Bungalows, welche früher zur Sommerfrische der oberen 100 dienten, sind heute interessante Ausstellung zur Geschichte Taiwans untergebracht, in den ehemals geheimen Tunneln schlafen tagsüber nachtaktive Fledermäuse. Für Taiwanesen wichtig: ein Restaurant mit Blick auf den See. Ohne Essensmöglichkeit würde es sie nicht an diesen Ort verschlagen.

Das damals abgeriegelte Gelände ist übrigens auch heute nicht komplett frei zugängig. Das Militär übernimmt hier die Öffentlichkeitsarbeit. Und wie immer, wenn Militärs beteiligt sind, kriegen die das nur mit mäßigem Erfolg auf die Reihe. Als Besucher muss man sich vorher auf einer nur in Mandarin verfügbaren Homepage registrieren. Die Führungen kosten 2,- € und sind auf 40 Teilnehmer pro Stunde begrenzt. Findige privatwirtschaftliche Geschäftsleute haben daher das komplette Kontigent bis zum Ende des Jahres aufgekauft, ich finde trotzdem noch eine Nische und mir wird nach drei Wochen Wartezeit Zutritt in dieses Inner Sanktum gewährt.

Schon nach der Eingangskontrolle seile ich mich aber von der Gruppe ab und erkunde das Areal auf eigene Faust. Später treffe ich nach zwei Stunden die Gruppe wieder – beim Essen im Restaurant. Tatsächlich haben die zwei Stunden in einem Bungalow gesessen und sich in aller Ruhe den See angeschaut und sind damit keinen Meter mehr gelaufen als unbedingt notwendig. Für den zwei Kilometer langen Anmarsch wurden anderthalb Stunden benötigt, dieses Schneckentempo ging mir ungeduldigem Geist derart auf den Sack das ich mich einfach selbständig machen musste.