16.12.04

Nachschlag: Nochmal Russland - St. Petersburg

Da ich nochmal meine Tasche gepackt und ins winterliche
Russland gefahren bin folgt an dieser Stelle ein kleiner
Bericht ueber meine Erlebnisse in St. Peterburg. Allen
Lesern wuensche ich von dieser Stelle frohe Weihnachtstage
und einen guten Rutsch ins neue Jahr! (damit bin ich
bestimmt der erste dieses Jahr:-))

St. Petersburg
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Die Stadt ist um diese Jahreszeit sehr dunkel. Die Sonne sieht
man zwischen 10.00 und 14.00 Uhr. Das permanente Gefuehl, dass
es spaet Abends ist, will einfach nicht weichen. Laehmend legt
es sich, einem Jet Lag gleich, ueber einen und bringt das eigene
Zeitempfinden erfolgreich und nachhaltig aus dem Takt.

Das fehlende Tageslicht macht auch die Navigation auf diesem
neuen und unbekannten Terrain zunaechst sehr schwierig: Auf
der Suche nach einem Hotel mit einem Stadtplan bewaffnet verlasse
ich morgends gegen 9:00 Uhr eine Metro Station. Die Orientierung
habe ich komplett verloren, als ich durch endlose verwinkelte
Labyrinthe von Gassen und tief reichenden Rolltreppen (die hiesige
Metro ist die tiefste der Welt) dem Strom der dem nicht vorhanden
Tageslicht entgegenstroemenden Massen folgte. Laut Plan muss ich
jetzt nach links gehen. Nach Westen. Aber auf welcher Seite der
Strasse stehe ich eigentlich? Ist links Osten, oder etwa rechts?
Die Sonne, die einem einsamen Wanderer in solchen Fragen sonst
immer sicher Auskunft geben kann, hat ihren Dienst ja leider noch
nicht angetreten. Auch Sterne sieht man hier in der Stadt nicht.
Bei Baeumen auf die bemooste Wetterseite zu achten, diese Methode
kann man hier in der Stadt knicken. Ich vertraue meinem Instinkt
und gehe nach rechts, in die Richtung, die am meisten nach Kirche
riecht, und stehe 15 Minuten spaeter wie erwartet dort, wohin ich
wollte.

Nach dem Ansteuern mehrerer Hostels finde ich mich in diser Stadt
schnell zu Recht. Frueher oder spaeter endet man jedenfalls immer
beim Nevsky Prospekt, der dicht befahrene und dauernd beleuchtete
Prachtboulevard dieser Stadt. Endet man nicht hier, so schaue man
auf den Boden. Ist dieser voller meterdicker Eisschollen, so ist
man an bzw. auf der Neva. Aufpassen! Manchmal machen die
Einheimischen Loecher ins Eis. Zum einen werden durch diese Fische
gefangen, zum anderen werden sie als billige und einfache Badewanne
benutzt (sog. Eisschwimmen). Da ich das ja bereits vom Baikalsee
(keine Eisdecke, dafuer aber auch schweinekalt) kenne, lasse ich
mich auch dieses Mal nicht lange bitten und mache es den
Einheimischen nach. Herrlich! Meine Speckschicht schuetzt meinen
Koerper erolgreich vor einem Kaelteschock, nacher gibts einen Vodka,
der von innen das Herz wieder zum schlagen bringt. Lecker! Der
Wetterbericht im Radio meldet heute uebrigens -34 Grad Celcius
vom Baikalsee. Bei der Temperatur waere ich da gar nicht ausgestiegen!

St. Petersburg laesst sich oberflaechlich betrachtet nicht von
anderen europaeischen Metropolen wie Prag oder Paris unterscheiden.
Europaeische Architektur dominiert aller Orten. Lohnenswert sind
Blicke hinter die Fassaden, in die Hinterhoefe und kleinen Nebengassen,
trotzdem. Nicht ohne Grund wurden an solchen Orten in dieser Stadt die Aussenaufnahmen fuer den Film "Der Untergang" gedreht - billiger kann
man eine Kulisse fuer ein ausgebombtes Berlin aus dem Jahre 1945 nicht
bekommen. Um den historischen Stadtkern herum liegt ein breiter Guertel
stalinistischer Plattenbauten. Irgendwo muessen die etwa 4,5 Millionen
Menschen dieser Stadt ja kaserniert werden. Viel sehe ich von diesen
Stadtteilen jedenfalls nicht, als ich in einem Schmutzbus die Stadt in
Richtung der Sommerresidenz von Peter dem Grossen mache. Die Fenster
des Busses sind komplett mit Strassenschmutz (hauptsaechlich Rollsplit
und schwarzer Eismatsch)zugekleistert. Obwohl die Uhr 12:00 Uhr zeigt,
ist es in dem Bus finster wie nach Sonnenuntergang. Den Fahrer stoert
es wenig, denn mit Hilfe seiner Scheibenwischer hat er sich einen
nach vorne auf die Strasse gerichteten Sichtbereich geschaffen. Da
man weder links noch rechts aus dem Fahrzeug schauen kann, kommt es
mir vor, als werde ich mit verbundenen Augen zu einem geheimen Platz
entfuehrt. Damit die Fahrgaeste auch etwas Licht zum Lesen haben,
knipst der Busfahrer einfach die Innenraumbeleuchtung an. Das geht
schneller und einfacher, als etwa die Scheiben zu putzen. Wieder
einmal bewundere ich den Pragmatismus und das Improvisationstalent
der Russen.

Wie schon in einem frueheren Bericht aus dem September erwaehnt
werden in Russland gerne ausgemusterte deutsche Reisebusse
eingesetzt. Fuer den busfahrenden Teil der Bevoelkerung ist
daher ein Crashkurs in Deutsch durchaus empfehlenswert. Sofort
weiss der russische Fahrgast dann naemlich, welch fremde Botschaft
sich hinter den Slogans "Wuppertal gruesst aus dem Bergischen Land",
"Der Nothammer kann DEIN Leben retten!" oder
"Bei Gefahr: Scheibe einschlagen!" verbirgt. Der Bus mit der
orangenen Anzeige "Schulbus" verbindet uebrigens in St. Petersburg
den nach Moskau fuehrenden Bahnhof mit dem Stadtteil Vyborg - nur
zur Information fuer interessierte Leser.

Unerwartet schwierig gestaltet sich in St. Petersburg ein
Konzertbesuch. Lust verspuere ich nach einfacher, klassischer
Musik. Was von Chopin, Mozart, Beethoven oder so - ich bin auf
diesem Feld nicht waehlerisch. Wagner ist auch OK. Aber
Fehlanzeige. Auf den Plakaten steht immer nur drauf, welcher
Musiker spielt oder singt. Aber nie WAS! Also ein Plakat, auf
dem steht, das Joerg Doelfer den Tenor singt - oder ein anderer
mir unbekannter Musiker am Piano sitzt. Da ich an der Konzertkasse
ums Verrecken nicht herauskitzeln kann, welche Musik zu Gehoer
gebracht werden soll, gebe ich das Ansinnen auf. Eine
Konkurrenzveranstaltung, gesponsert von lokalen Mobilfunkprovidern
und Radiostationen, welche fett und grell ueber die Stadt verteilt
mit musikalischen Highlights von Thomas Anders bis hin zu C.C.Catch
wirbt gehe ich trotzdem nicht.

Uebrigens: Maedels reiten nach Einbruch der Untergang im Galopp
ueber die Kopfsteinpflaster dieser Stadt. Wahrscheinlich weil
der Wald fuer einen Austitt um diese Zeit zu Dunkel ist.
Sehr vernuenftig. Im September habe ich sowas schon in Moskau
beoabchten koennen, doch hier tritt es regelmaessiger auf.
Obacht: Pferdekoeddel an den Schuhen riechen nur unwesentlich
besser als Hundescheisse.


TSCHUESS!!!

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