28.8.06

Baltikum 1: Riga

Svejk, Freunde!

Das war lettisch und heisst: Hallo! Meine ersten Brocken lettisch lerne
ich als ich vor dem dem Flughafen auf den Bus in die Stadt warte. Nur die notwendigen Wendungen die man im taeglichen Leben brauchen kann: "Hallo", "Guten Morgen/Tag/Abend", "Danke", "Bitte", aber auch komplizierte Saetze wie "Wo issen hier der Bahnhof" bis zu "Die Zaehne nicht ziehen, sondern nur plombieren, bitte". "Es uzhas kah brudjaknens" heisst woertlich uebersetzt "Ich fuehle mich wie ein Kopfsteinpflasterstein", das sagt man, wenn man am Abend zuvor zuviel getrunken hat und einen fetten Kater mit sich rumschleppt. Trotz der billigen Bierpreise hier brauche ich den Satz eh nicht, da ich ja geschworen habe, meinen Bierkonsum stark zu beschraenken. Und ob ich das Gelernte auch in der Aussprache korrekt umsetzen kann werden die naechsten Tage zeigen.

Das Wetter entspricht 1:1 dem in Hamburg beim Abflug. Es regnet ohne Ende.
Erst kuerzlich hat mir ein in Bremen lebender Kollege seine Theorie erlaeutert nach der man das Wetter aus Bremen exakt einen Tag spaeter in Hamburg hat. Wenn das stimmt und sich logisch weiter nach Osten fortsetzt, dann gibt es also in Riga heute das Donnerstagswetter von Bremen. Es stimmt: Gegen Spaetabend, just nachdem ich den Flughafen verlasse, brechen die Wolken langsam auf und vorbei ists mit dem Regen. Wer ein paar vier Tage alte Bremer Wetterberichte bei sich zu Hause rumliegen hat moechte sich doch bitte bei mir melden.

Roland in RigaRolandsstatue auf dem Rigaer Marktplatz. Entfernungsangaben relativ zu Riga (z.B. Riga-Muenchen, 600 km Luftlinie) werden mit der Schwertspitze der Figur als Bezugspunkt gemessen.

Ueberhaupt Bremen: Die Parallelen zwischen beiden ehemaligen Hansestaedten Riga und Bremen lassen sich nicht von der Hand weisen. Vor dem Rathaus steht die baltische Version einer Rolandsfigur Wache und vor der Kirche steht eine Bronzeskulptur der Bremer Stadtmusikanten. Gestiftet von der Stadt Bremen. Die Nase des Esels ist von den vielen Touristenhaenden blank poliert. Schoen das die Jungs es wie im Maerchen versprochen
bis hierher geschafft haben.

Nur zoegerlich greife ich bei den lokalen Biersorten zu. Da muss man sich ja erst einmal
langsam einen Ueberblick verschaffen. "Keine Experimente" heisst also zunaechst die Devise und bei einer Flasche Becks und studiere die unuebersichtlich Getraenkekarte. In den Kneipen und Restaurants herrscht uebrigens Rauchverbot. Das bin ich ja noch aus Neuseeland geschult. Es wirkt hier aehnlich stoerend wie dort. Und da wir das in spaetestens zwei Jahrenauch in Deutschland haben werden kann man das ja schon mal als prima Training betrachten.

Ein wohlgepflegter Stadtstreicher kuemmert dieses Verbot ebenso wenig wie die anwesenden Bedienungen. Er setzt sich an meinen Tisch, und faengt an, auf Englisch zu erzaehlen. Seine Geschichte ist ebenso unverstaendlich (das ist seinem Alkoholpegel geschuldet) wie wirr. Trotzdem aber interesssant, also gebe ich ihm einfach ein Bier aus. In groben Zuegen erzaehlt er davon, wie er sich selber zu Sowjetzeiten Englisch beigebracht hat und gegen den Vietnamkrieg demonstriert hat. Oder so aehnlich. Humor hat er jedenfalls: Er schnippst seinen noch brennenden Zigarettenstummel ungeloescht in den Fuss von dem Gaspilz
der neben dem Tisch steht. Direkt neben den Gastank. Dabei lacht er und macht mit den Haenden pantomimisch eine Explosion, lacht, ruft laut "Bumm", und zeigt gestikulierend auf
den Gastank. Das versteht sogar der Duemmste, also auch ich.

Strasse in Riga

Das und andere Sachen erinnern mich doch stark an Russland. Auch dort drueckt man Zigaretten nicht aus sondern befoerdert sie glimmend einfach in den naechsten Papierkorb. Tatsaechlich habe ich nie gesehen, das jemand sich die Muehe macht, einen Zigarettenstummel auszudruecken bevor er ihn entsorgt. Weiterer Bestandteil des Russischen Erbes: Die Alarmanlagen der Autos wie zwitschern Kanarienvoegel. Und das jedesmal wenn man im 5 Meter Radius an den PKWs vorbeigeht oder die Alarmanlage zwecks Benutzung desselben ausgeschaltet wird. Warum sich derartige akkustische Alarmanlagen im
Westen bisher nicht durchgesetzt haben ist Segen und Wunder zugleich. Der ganze Parkplatz am Flughafen singt wie eine prall gefuellter Vogelkaefig im Vogelpark Warlsrode als sich die Leute aus dem Flughafen ueber den Parkplatz zur Bushaltestelle bewegen.

Russiches erbe erkennt man auch andersow im teaglichen leben. So bezahlt man nicht beim Busfahrer sondern setzt sich einfach in den Bus. Solange bis eine Podvornitsa vorbeikommt und kassiert. Ich muss den doppelten Preis, zwei Tickets, zahlen. Angeblich wegen meinem grossen Gepaeckstueck, dem schweren Rucksack. Ohne Diskussion zahle ich meine umgerechneten 30 cent Befoerderungsgebuehr.

Gestern Abend war ich uebrigens mit einem 35 jaehrigen schwedischen Busfahrer unterwegs und auf der Suche nach gutem Bier. Er kommt aus dem Heimatort von IKEA und hoert auf den urschwedischen Namen Emilio. Da er schon etwas laenger hier ist und im selben Hostel abgestiegen ist wie ich erzaehlt er ein paar Raeuberpistolen ueber die Ecke dort. Gestern kam ein Hostelgast auf die Idee, eine Frau die ihn auf der Strasse angesprochen hat, ueber Nacht mit auf sein Zimmer zu nehmen. Am naechsten Morgen bestaetigte auch die Polizei das das in diesem Teil der Stadt eine sehr dumme Idee ist. Viel Geld hat er aber durch seine von ihr gestohlenen Kreditkarten nicht verloren, es ist schwieriger, einen neuen Pass zu bekommen.

Euro Disney OstDer Euro Disney Ost, erst seit kurzem in Riga eroeffnet, lockt mit rasanten Fahrattraktionen

Warten an der PralinenuhrWarten auf das Rendezvous

Interessanter Punkt in der Stadt ist die Pralinenuhr. Die befindet sich an zentraler Stelle in der Innenstadt, praktischer Weise genau gegenüber dem McDonalds. Beides ist bei jungen Letten sehr beliebt (übrigens auch die Band "Tokio Hotel" hat ihr einige alterstypische Anhängerinnen). Neben der Zeitanzeige wird diese Uhr als Treffpunkt für Rendezvous verwendet. Es ist hier wohl üblich, sich nur um eine bestimmte Uhrzeit zu verabreden. Als Treffpunkt ist dann immer implizit diese Uhr gemeint. Es ist ein schönes Schauspiel, die dem Anlass angemessen aufgebrezelten Lettinen beim Warten zuzuschauen. Seltsam: Ausschließlich kommen immer die Männer bei diesen Treffen zu spät. Ich habe noch keinen Jungen aus seine Verabredung warten sehen. Auch Szenen in denen ein Riesentheater wegen der offensichtlichen Verspätung gemacht wird (und die Pralinenuhr zeigt ja unbestechlich die Referenzzeit an) bleiben aus.

WachabloesungSchoen Preussisch

Beim Wachwechsel am Freiheitsdenkmal wurde ich heute Zeuge folgenden Dialogs einer deutschen Reisegruppe:
SIE: "Schau mal, die machen das im PREUSSISCHEN Stechschritt!"
ER: "Ja, wie beim alten Fritz!"
SIE: "Schoen" (leicht lustvoll seufzend)
ER (irritiert): "Was?"
SIE : "Na, wie die so schoen maschieren. So schoen stramm ist das"
ER (immer noch irritiert): "Achso"

Fuer die Volkswirtschaftler unter euch ein Blick auf den Preisindex:
Big Mac: 0,80 Euro
Bier (0,5 Liter): 1,80 Euro
Zigaretten: 0,90 Euro
Bett in einem Schlafsaal: 9 Euro

Deutsche Begriffe aus dem alltaeglichen Leben: Alpenrose, Sturmkonzert

Konzerttechnisch geben sich hier zur Zeit die Herren Simply Red,
Elton John, Dio und Covenant die Klinke in die Hand.

So, jetzt geh ich erstmal schoen was Essen. Nachdem ich mir den ganzen
Tag ueber die Hacken und den Schritt wund gelaufen habe. Und heute Abend
gibts ein Fussballspiel, FC Skonto, der lettische Rekordmeister, gibt
sich die Ehre.

Naive Malerei

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Netter Bericht, ich flieg nächsten Do nach Riga, bin gespannt.

Gruß,

MTC