30.10.08

Schnittblumen aus Taiwan

Anbei wie versprochen ein erster Bericht ueber die ersten Tage
meines Taiwan Urlaubs. Viel Spass beim Lesen!

Reise

Der Flug nach Taiwan mit China Airlines, der unbeliebten staatlichen Fluggesellschaft Taiwans, verlief ohne weitere Komplikationen und war sehr entspannt. Die Airline ist beruehmt dafuer, gut eingeflogene gebrauchte Flugzeuge einzukaufen und diese mit schlecht ausgebildetem Personal zu besetzen. Eine sehr erfolgreiche Strategie: Auf der Liste der 50 weltweit sichersten Fluggesellschaften befindet sich China Airlines auf Platz 49 – die sicherere Lufthansa nimmt mit drei Abstuerzen Platz 9 in dieser Aufstellung ein. Taiwanesen sind sehr aberglaeubisch, deuten diesen Spitzenplatz mit schlechtem Karma und machen einen grossen Bogen um diesen Anbieter. Als Auslaender sehe ich das wesentlich entspannter – und schliesslich ist China Airlines nach wie vor der unschlagbar billigste Weg, hierher zu reisen.

Auf allen Reise plagt mich das gleiche Problem: Das Gewicht meines Reisegepaecks. Erlaubt sind, wie ueblich, 20 kg. Allein 5 kg davon verbrauchen diverse Fruchtgummis aus dem Hause Haribo, die ich auf Wunsch als Geschenk mitschleppe. Meine Waage zeigt nach dem packen 18.8 kg an – die Waage am Flughafen ist etwas genauer und gibt das tatsaechliche Gewicht mit 23.5 kg an. Das passiert mir staendig, also wird wohl meine Waage defekt sein. Und wenn das stimmt: vielleicht wiege ich gar keine 74.5 kg, sondern tatsaechlich ein wenig mehr? Ich werde diesem schrecklichen Verdacht wenn ich wieder zu Hause bin nachgehen.

Auslaender duerfen 30 Tage in Taiwan bleiben. Das Visum gibts direkt und problemlos bei der Einreise. Auch in Taiwan soll man dabei die Adresse der Bleibe auf einem Formular angeben. Was ich immer etwas unpraktisch finde, denn ich entscheide so etwas in der Regel immer sehr spontan vor Ort wenn man mich ins Land gelassen hat. Wie immer trage ich also die fiktive Unterkunft „Park Hotel“ ein, welches ich in der Julu Julu Lululu 256 verorte („Lu“ heisst Strasse auf Chinesisch, den Rest habe ich mir ausgedacht). So bin ich schon in Los Angeles, Auckland, Peking oder in Kiew in Park Hotels abgestiegen.

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Typische Strassenszene in Taipei, es gibt mindestens doppelt so viele Roller wie Autos

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Auf einem Roller nehmen bis zu vier Leute platz


Bleibe

Schoen und preiswert ist dieses Mal die Unterkunft im Stadtteil Xindian die Chi Hsuen von einer Yoga Kurs Bekanntschaft fuer mich angemietet hat. Fuer schlappe 250 Euro bewohne ich einen Monat lang eine 4 Zimmer Neubauwohnung. Die 70 qm sind geschmacklich mit Ledersofa, diversen Schminktischen und einem protzig in die Wand eingelassenen 16:9 Flachbildschirmfernsehmonster eingerichtet. Wie man das computergesteuerte und programmiere direkt in den Toilettensitz integrierte Bede nutzt muss ich bei Zeiten noch rauskriegen wenn die Kimme juckt.

Hier profitiere ich direkt von der Immobilienkrise, denn die Besitzerin handelt mit Wohnungen dieser Art und bleibt juengst auf einigen Objekten dieser Art sitzen. An der frisch renovierten Einrichtung liegt es jedenfalls nicht, die ist tippi toppi. Gratis bekommt der geneigte Tierfreund ausserdem die ein oder andere Kakerlake als Untermieter hinzu. Diese sind sehr robust und pflegeleicht und etwa doppelt so gross wie ihrer Artgenossen aus Hongkong. Ich sammele ab sofort wieder “Hello Kitty” Leuchtaufkleber um gefangene Exemplare optisch zu markieren.

Technisch ausgestattet bin ich ausserdem mit einem etwas aeltere Dell Notbeook inclusive Flat-rate Internetzugang. Ich kann also zukuenftig so wie jetzt bequem in Unterhose auf dem Ledersofa sitzend in der grossen weiten Welt nach dem Rechten schauen.. Oder Reiseberichte wie diesen verfassen. Das ist ein Luxus den ich zu schaetzen weiss, musste ich doch sonst mit onlinespielenden Jugendlichen oder verschwitzten Rucksacktouristen verschmierte Tastaturen in manchmal verrauchten Internet-Cafes teilen.

Auch eine taiwanesische SIM-Karte habe ich in mein Handy schrauben koennen. Wer gerne mal ein Ferngespraech mit Taiwan fuehren moechte muss dazu nicht mehr die Zeitansage anrufen, sondern kann mich direkt unter 00886 – 988 635 400 erreichen. Denkt dabei aber bitte an die acht Stunden Zeitdifferenz zwischen Europa und Asien!


Blumen

Als Dankeschoen fuer die schoene Wohnung und komplette Ausstattung ist jedenfalls ein bunter Strauss frischer Schnittblumen faellig. Doch wo kann man diese in Taipei kaufen? Ich weiss, wo ich hier die aktuelle Ausgabe des Spiegels beziehen oder ein Astra Bier kaufen kann. Blumenlaeden habe ich aber bisher keine gesehen - trotzdem ich die Augen danach offen halte.

Die junge Dame bei der Touristeninformation hat Verstaendnis fuer mein Anliegen. Ganze 10 Minuten telefoniert sie mit Kollegen und kritzelt auf einem Zettel. Zwischendurch erfragt sie wichtige Details (die Fragen von ihr sind auf Englisch, ich habe sie direkt uebersetzt): Was ist das Ziel der Blumen? Ich moechte sie gerne mitnehmen! Sollen es spezielle sein? Nein, nur gut riechen und aussehen. Welches Budget planen sie ein? Ich dachte maximal an einen unteren vierstelligen Betrag (natuerlich in NT$, ich bin ja nicht Kroesus)! Ergebnis: In Taipei kauft man Blumen entweder im Internet bei Fleurop, was ich als zu sproede und unromatisch finde und daher ablehne. Oder verwendungsfertig abgepackt und bereits in Folie eingewickelt beim oertlichen Carre-Four Supermarkt. Oder irgendwo in der Naehe von Ausgang vier der Haltestelle Dapinglin. Letzter Oertlichkeit werde ich also bei naechster Gelegenheit genauer unter die Lupe nehmen.

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Lecker Essen


Finanzielles

Pech habe ich etwas mit dem lieben Geld. Alle Automaten verweigern meine Bankkarte, quittieren Auszahlungwuensche meinerseits mit kryptischen Fehlermeldungen. Laut den Bankangestellten ist der Magnetstreifen defekt. Das meine deutsche Karte ueberhaupt akzeptiert wird habe ich schon bei aelteren Urlauben testen koennen.
Die Postbank bietet mir zur Loesung einen weltweiten Erstattungsservice an. Die PIN fuer eine neue Karte geht dann aber per Post an meine Heimatadresse. Alternativ kann ich ein Fax schicken und eine alternative Adresse hinterlegen. Ob diese aber ueberhaupt ins Ausland geschickt werden weiss der Berater, den ich zur Klaerung meines Problems anrufe, auch nicht. Aber ich soll das “ruhig mal versuchen”. Dieser halbgar durchdachte Erstattungsservice ist fuer schlappe pauschale 100,- Euro zu haben.

Auf aehnlich abenteuerlichem Weg kann mir die Postbank einen neuen PIN fuer meine VISA Karte zukommen lassen. Das kostet nur 3,75 Euro – ungewiss ist aber auch hier, das die nur per Fax einzurichtende Anschrift ueberhaupt bedient wird, wenn sie sich im Ausland befindet.

Ich beschimpfe den Bankberater aufs uebelste in Aufbietung meines gesammelten Lumpen-Chinesisch Repertoires. “Fick dich!” heist einfach “gan”, wegen der Einfacheit der chinesischen Sprache kann man das nicht deklinieren oder konjugieren. Und lege dann auf. Teurer Scheissservice.

Hilfreich zur Seite steht mir be idem Liquiditaetsproblem American Express: Bis zu 800,- Euro pro Woche kann ich bei denen fuer wucherige 4,75 % Bearbeitungsgebuehr abheben. Teurer Spass, aber ich bin wieder liquide.


Sprachkurs 1: Deutsch fuer Taiwanesen

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Der Deutsche Baecker Mark wirbt mitg dem schmissigen Slogan "Natuerlich. Gesund. Ausgewaehlte Zutaten." fuer seine Broetchen. Ein Novum, denn Brot wird in Taiwan sonst mit unnatuerlichen chemischen Zusaetzen hergstellt und ist sehr ungesund.

Fuer Deutsche ist das Deutsche Kulturzentrum eine gute Anlaufstelle. Abends hole ich hier Chi Hsuen von einem Deutschkurs ab, wir wollen noch das ein oder andere Bier im Nachtmerkt neben der Universitaet trinken. Dieses Amuesierviertel braucht einen Vergleich mit der heimischen Reeperbahn nicht scheuen. Musikalisch gibt es hier viel versprechende Rockklubs in denen unbekannte lokale oder japanische Bands auftreten. Die Bierpreise liegen mit 4,- Euro pro Flasche allerdings doppelt so hoch wie zum Beispiel bei Herbert auf dem Kiez gewohnt.

Als Deutscher bin ich beim Deutschkurs ein gern gesehener Gast. Die deutschen Mitarbeiter haben hier um 17:00 Uhr Feierabend, von denen laesst sich keiner um 21:00 beim Sprachkurs blicken. Gemaess Lehrplan bringt man hier den geneigten Taiwanesen gerade Saetze vom Kaliber „Unser Verein ist Schalke 04“ (was 04 bedeutet bleibt dabei im Dunkeln) oder „Stefanie Fritsche ist Auszubildende in Herne“ bei. Derart sprachlich geruestet will sich die Haelfte der Kursteilnehmer demnaechst in der Naehe von Stuttgart bei einem Auslandssemester behaupten. Der aktuellen wirtschaftlichen Lage angemessen nutze ich die Chance und bereichere ihren Wortschatz um die schoene zeitlose Floskel „Wir haben uns unseren Wohlstand in Deutschland hart erarbeiten muessen“. Mit so einem Satz kann man immer was anfangen, das motiviert und bringt einen voran.

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Deutsche Lehnwoerter im taiwaneischen Alltag, viele halten Recycling fuer eine deutsche Erfindung


Sprachkurs 2: Chinesisch lernen

Einweihungsritual und erste Amtshandlung bei der Teilnahme an einem Chinesischkurs ist die Vergabe eines chinesische Namens. Dazu umschreibt man einfach den Name mit den chinesichen Silben, welche ausgesprochen moeglichst aehnlich wie der Originalname klingen. Aus „Doelfer“ wird so „de2 fu2“ (schreibweise in Pinjin), ausgesprochen „doufu“. Was unspektakulaer nach Fleischersatz fuer Vegetarier klingt bedeutet fuer den in Mandarin eingeweihten „Moral und Glueck“. Da haette ich es auch wesentlich schlimmer treffen koennen.

Interessant ist der umgekehrte Weg: Chinesen, welche Englisch oder Deutsch als Fremdsprache waehlen, uebersetzen nicht ihren eigenen Namen (denn wie sollte man auch einen Namen wie Zhoufang ins Deutsche uebersetzen?). Stattdessen waehlen sie einfach einen Namen aus einer Liste, der irgendwie positive Assoziationen bei ihnen weckt. Um ihre Visitenkarten fuer Westler leichter lesbar zu machen drucken sie diesen selbst gewaehlten Name auch auf ihre Visitenkarten. Beliebte Namen sind „Joy“ und „Micky“ (geschlechtsunspezifisch als Frauen und Maennername verwendet); im Deutschkurs erleben „Helga“ und „Karin“einer ungeahnte Renaissance – progressivere Teilnehmer taufen sich „Angela“ oder „Tanja“.

Bereits mit elementaren Mandarin Grundkenntnissen ausgestatt beginne ich den Sprachkurs mit der 4. Lektion. Bei vier Stunden pro Woche arbeite ich mich pro Tag eine Lektion weiter nach vorne. Das ist so schnell das ich mit dem Lernen der neuen Vokabeln nachmittags kaum nachkomme und es artet fast schon in Arbeit aus. Ich trete auf die Bremse und werde mich ab der naechsten Woche auf zwei Stunden pro Tag reduzieren. Vor allem das Lesen ist noch sehr holperig, ich fuehle mich manchmal wie ein kompletter Analphabet, der zum Nachsitzen verdonnert wurde und sich fremde Woerter, die sich muehsam durch seine Gehirnwindungen pressen, einbimst.

Wer in Taiwan chinesisch lernt hat ein paar politisch bedingte Klippen zu umschiffen. Gemaess Lehrbuch forme ich den Satz „Das werte Fraeulein Li kommt aus Taiwan. Sie ist Chinesin.“. Gramatikalisch und von der Aussprache ist das richtig, inhaltlich aber falsch. Ich lerne, zwischen „Chinese“ und „Ueberseechinese“ (Chinesen die nicht in der Volksrepublik China leben, also vor allem Taiwanesen) zu unterscheiden. Beim naechsten Anlauf mache ich es auch politisch korrekt: „Frau Li spricht Ueberseechinesisch“. Abgesehen von diesen kleinen Schnitzern geht das lernen dieser sehr einfachen Sprache zuegig voran (wenn man vom Lesen und Schreiben abstrahiert).


Zwei kleine Tiger

Mein Wortschatz ist noch recht ueberschaubar, darunter will ich aber die Anwendung des Gerlenten im taeglichen Leben nicht leiden lassen. Die Kassiererinnen der 7-Eleven Shops kennen mich inzwischen persoenlich, was vielleicht auch daran liegt, das ich sie beim Einkauf immer mit „Wertes Fraeulein“ anspreche. Weniger hoefliche und alltaeglichere Ansprachen lerne ich erst in ein paar Wochen.

Generell sind Taiwanesen eher schuechtern zurueckhaltend und man kommt etwas schwer mit ihnen in Kontakt. Kinder sind da mutiger, besonders wenn sie sich im Schutze des Balkons der Grundschule direkt gegenueber dem Balkon meiner Unterkunft befinden. Bei einer Pause rufen sie mich direkt an. Auch hier kann ich das Gelernte direkt zum Einsatz bringen. Nach dem ueblichen Hallo sind sie etwas erstaunt zu hoeren, das ich aus Deutschland komme. Vermutlich haben sie von diesem fremden Land noch nichts gehoert und werde heute Abend ihre Eltern mit Fragen dazu loechern. Ich nehme ihnen die Angst indem ich das bekannte Kinderlied „Zwei kleine Tiger“, gesungen zur Melodie von „Bruder Jakob“, anstimme:

兩 隻 老 虎 兩 隻 老 虎 跑 得 快 跑 得 快
Liangˇ zhi laoˇ huˇ, liangˇ zhi laoˇ huˇ, paoˇ de˙ kuaiˋ,  paoˇ de˙ kuaiˋ. 

一 隻 沒 有 眼 睛 一 隻 沒 有 耳 朵 真 奇 怪 真 奇 怪
yi zhi meiˊ youˇ yanˇ jing, yi zhi meiˊyouˇ erˇ duoˇ, zhen qiˊ guaiˋ, zhen qiˊ guaiˋ. 

Als Hoehepunkt singen wir das Lied gemeinsam ueber den Daechern Xindians. Wer eine Uebersetzung benoetigt oder am Text intessiert ist, der kann sich bei mir melden. Oder selber einen Sprachkurs belegen. Wer ausserdem weiss, wie „Alle meine Entlein“ auf chinesisch klingt, der melde sich bitte umgehend bei mir. Mein Vorrat an einschlaegiger Liedkunst ist bereits erschoepft, ich habe mein Pulver komplett verschossen.


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Dafuer braucht man keinen Sprachkurs. Hier gehts zum Zahnarzt ... oder doch in eine Karaoke Bar...


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Apostrophen Katasthrophe aus Taipei

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