17.8.08

Die Schwitzhoelle von Kiev und das Atom

Es faengt mit tierischem Gestank nach Schweiss im Flieger nach Riga an. Die Temperaturen in Hamburg sind ja eher gemaessigt, Osteuropa hingegen gleicht temperaturtechnisch einem Treibhaus. Ein ganzer Flieger voller stinkender und schwitzender Passagiere, Luft die man schneiden und in Tueten abfuellen kann wenn man wollte.

Viele Ukrainer begeben sich dieser Tage zur Sommerfrische nach Odessa oder auf die Krim. Die Stadt glueht. Standesgemaess sind wir am ersten Hotel am Platz abgestiegen: Das gute alte Hotel Ukraina direkt am Maidan Platz, zentraler geht nicht. Das Zimmer ist preiswert und unrenoviert, es verstroemt fleissig die Aura vergangener glorreicherer Sowjetzeiten. Bei den Temperaturen eine Meisterleistung: Zu jeder Tageszeit weist das Thermometer eine Raumtemepratur von konstant 29 Grad Celsius aus. Und das ohne Heizung oder Klimaanlage oder irgend welcher anderer erkennbarer technischer Hilfen.

Auch die Etagen-Podvornitsa erfuellt alle Klischees die man bezueglich russischer Verhaltensstrukturen hegen mag. Als Markus und ich auf unser Zimmer wollen ist sie erst einmal nicht da. Auf der Suche nach dem Schluessel zu unserem Zimmer ueben wir uns zunaechst in Geduld, der 1A-Ausblick vom Balkon ueber Kievs Nachtleben hilft dabei. Doch die Hotelfachkraft bleibt weiter verschwunden. Wir finden nur eine halbleere Flasche Wodka an ihrem Arbeitslatz und etwas Schokolade. Neben dem Buegelzimmer entdecke ich Kotze auf dem Boden der Toilette. Abgesehen von diesen Zeichen moderner Zivilisation bleibt sie aber verschwunden. Wir verschaffen uns kurzer Hand anderweitig Zutritt zu unseren Raeumlichkeiten und treffen sie eine Stunde spaeter beim Verlassen des Hotels doch an: Stramm wie zehn nackte Russen kommt sie um die Ecke gebogen und kann nicht mehr gerade gehen, geschweige denn sprechen. Wir helfen ihr auf ihren Stuhl damit sie weiter ihrer Arbeit nachgehen kann und geben ausnahmseise den Schluessel an der Hauptrezeption ab. Dort weist Markus diskret auf den Gesundheitszustand der Mitarbeiterin hin ("She is totally drunken") und wir treffen sie erst heute morgen bei der Abreise wieder. Direkt spricht sie uns auf Trinkgeld an das wir ihr aber nicht geben.

Ansonsten sind die Ukrainer sehr nett, insbesondere die juengeren koennen haufig ein paar Brocken Englisch. Auch ein paar wichtige Brocken in deutscher Sprache ("Sieg Heil" oder "Hitler kaputt") gehoert zum Standardwortschatz und wird verstanden und angewendet.

Der Ausflug nach Tschernobyl war interessant und wie erwartet lehrreich. In Tschernobyl kann man shoppen (Becks Bier und Wurst zum Beispiel) und dort gibt es eine mit 300 Mann besetzte Feuerwehrwache. Das Atomdorf in der Naehe des Reaktors ist verlassen und wir sind direkt bis zum hochgegangenen Meiler gekommen. Ueberall sind Skulpturen, welche haeufig den siegreichen Kampf des Menschen mit dem Atom zum Inhalt haben. Wir lernen, wie man sich den Atom durch festes Aufstampfen aus den Kleidern schuetteln kann. Der Geigerzeahler der offiziellen Zonenverwalter ist anscheinend etwas anders geeicht als der eines amerikanischen Mitreisenden. Waehrend die US Technik kraeftig piepend hektisch Alarm schlaegt uebt sich das ukrainische Pendant in stoischer Gelassenheit und bleibt ruhig wie eine geknebelter Wellensittich. Beim Ausgang aus der Sperrzone gilt es noch eine Atompruefschleuse zu meistern. Im Zweifelsfall muss man so lange dort bleiben, bis man wieder sauber ist und nicht mehr als normal strahlt. Atome kann man sich uebrigens auch auswaschen wie Schuppen aus den Haaren. Hier in der Ukraine lerne ich an einem Tag so viel mehr als in drei Jahren Physik in der Oberstufe!

Am Abend treffen wir noch ein paar Georgier in einer Biergartentanzbar, schoen gelegen auf einer Flussinsel im Dnjepr. Hier kann Markus sein ganzes Wissen einbringen: Markus beginnt mit der Ansprache in Georgisch, wie prosten auf georgisch zu und zaehlen der Reihe nach bekannte georgische Fussballspieler aus der Bundesliga auf (einfach irgendwas sagen das auf -willi oder -nadse endet). Als wir noch beim Flicken der Fahne praktisch helfen und vehement den EU-Beitritt und NATO Mitgliedschaft einfordern und in Aussicht stellen gibt es kein Halten mehr und einige Freigetranke gehen auf ihre spendable Kappe. Voelkerverstaendigung und Diplomatie koennen sehr einfach sein wenn man es richtig macht.

Heute steht ein langer Tag auf dem Zettel: Fussballspiel um 20:30 Uhr (Dynamo Kiev - Metallurg Irgendwas, Zug nach Chisnau um 4:30 Ortszeit. Mehr dann von dort.

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Goldelse von Kiew ueber dem Maidan Platz, Ausblick vom Hotel

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Maidan Platz in Kiew

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Wirk- und kleidsamer Schutz vor Sonnen und anderer Strahlung

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Atomschleuse beim verlassen der verbotenen Zone - nur wer ohne Atom und unverstrahlt ist kommt hier durch und muss sonst dort bleiben

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Verlassenes Kinderspielzeug

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Propagandaplakate die Unfallbedingt nicht mehr zum Einsatz kamen

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Holzrakete neben dem (verlassenen) Brettergymnasium "Clara Zetkin"

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Wetter und Strahlung im gruenen Bereich vor dem explodierten Reaktor

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