30.9.09

Letzter Artikel vor der Autobahn

Es regnet in Strömen und mein Urlaub neigt sich leider dem Ende zu. Mit mehreren gekühlten Six-Packs Bier bewaffnet, ohne Alkohol kann ich nicht flüssig und wirr schreiben, nutze ich diese Gelegenheit, letzte Berichtsnotizen zu vervollständigen und ins Netz zu stellen. Auf der einen Seite freue ich mich darauf, Freunde und Bekannte wieder zu treffen – auf der anderen Seite hat das aber auch einen bestimmten Preis, ihr wisst schon ...

Familie Lin und ich nach dem Essen bei Din Tai Fung (http://www.dintaifung.com.tw) meinem absoluten Lieblingsrestaurant – unbedingt hingehen, falls ihr mal in Taipei seit!


Umgang mit Strassenkarten und Landkarten


Der im Westen übliche Standard, nach dem Karten eingenordet angebracht werden, hat in Taiwan, China und Japan keine Gültigkeit. Umgebungspläne von Haltestellen oder Wanderkarten werden so aufgehängt, wie man gerade Bock hat: Mal ist Norden auf diesen Karten rechts, mal links, oft unten und so gut wie nie dort wo erwartet, nämlich oben. Zusätzlich wird gerne darauf verzichtet, die nördliche Himmelsrichtung (etwa durch eine Kompass-Rose) auszuweisen.

Das ist seltsam für ein Volk, das immerhin den magnetischen Kompass erfunden hat. Als Reisender sollte man daher eine Karte als erstes anhand bekannter Landmarken einnorden, bevor man ihr vertraut. Sehr oft bin ich die immer gleich aussehenden Straßen in die falsche Richtung gelaufen bis ich meinen Fehler bemerkte. Im Großstadtdschungel kann man sich nicht immer am Lauf der Sonne (ist in den Unterführungen und Tunneln nicht zu sehen) oder an den Wetterseiten von Bäumen (gibt es nicht) orientieren.

Es gibt im chinesischen zwar Wörter für die vier Himmelsrichtungen, im täglichen Umgang werden sie aber nicht genutzt. Auch scheint keiner eine imaginäre Landkarte im Kopf zu haben. Als ich mich in den Straßen in der Nähe des Daan-Park einmal verlaufe und per Handy Navigationshilfe von Chi Hsuen anfordere stolpern wir unerwartet in ein kleines Kommunkationsproblem. Meine Aussage, das ich mich auf der westlichen Begrenzungsstraße des Daan-Parks in südliche Richtung bewege wird einfach nicht verstanden („Ist da eine Hochstrassse?“ „Nein“ „Eine Hochbahnhaltestelle?“ „Auch nicht“ „Wo bist du denn?“ „Westlich vom Daan-Park, ich laufe in südliche Richtung“ „Häh?“ „Also ich laufe links vom Daan Park nach unten, wenn ich den Park im Rücken habe, dann ist auch der 101 Wolkenkratzer hinter mir und ich schaue in Richtung der untergehenden Sonne ...“ „Du solltest aber den 101 Wolkenkratzer vor dir haben und eine Hochstraße sehen!“ „Nein, laut meiner Karte gibt es nur südlich des Parks so etwas wie eine Hochstrasse ... Ok, wir treffen uns am Hauptbahnhof“). „Westlich vom Daan-Park“ ist seitdem unsere interne geflügelte Bezeichnung für Kommunikationsprobleme dieser Art.

Auch Taxifahrer können Karten nicht lesen. Sie vertrauen einzig ihrer dynamischen Ortskenntnis oder ihrem Navigationssystem. Auf einer (chinesisch beschrifteten) Straßenkarte auf das gewünschte Ziel der Fahrt zu zeigen hat keinen Sinn, Dialoge der Art „Also, wir sind jetzt genau hier (zeigen auf der Karte) und ich möchte nach dort (zeigen auf der Karte)“ sind wenig zielführend. Am Besten, man hat eine Visitenkarte mit der Zieladresse dabei.Oder man steuert eine bekannte Haltestelle der U-Bahn in der Nähe des gewünschten Ziels an und weist dann dem Taxifahrer den Weg zum eigentlichen Ziel.


Bus fahren in Taiwan


Zu dem Thema habe ich mich vor kurzem ja bereits ausgelassen. Selbst Taiwanesen scheuen das mühselige entziffern der kryptischen Fahrpläne und Fahrrouten und nutzen nur die ihnen bekannten Buslinien.

Busse sind durch eine eindeutige Routennummer identifiziert. Diese unterliegen keiner erkennbaren Systematik. In der Umgebung meiner Wohnung notiere ich mir die Nummern der vorbeifahrenden Busse. Möchte ich hierher zurückkehren, so schaue ich kurz auf dieser Liste nach und finde so häufig einen passenden Bus der zumindest grob in die gewünschte Richtung fährt.

Müssen leider draußen bleiben: Die Mitnahme von Buntspechten und Stockenten ist in Taiwans Bussen leider strikt untersagt

Bezahlt wird ein Einheitsbetrag beim ein- oder aussteigen. Hierbei muss man auf ein bestimmtes Zeichen achten. Wechselt das Zeichen während der Fahrt, was bei größeren Routen der Fall ist, so zahlt man doppelt beim ein- und aussteigen. Das ist einfacher als es vielleicht klingt. Wer kein chinesisch kann, zahlt am Besten immer dann, wenn der Busfahrer ihn wild fuchtelnd dazu auffordert.


Müllentsorgung in Taipei

Öffentliche Mülltonnen sind in Taipei leider nur in homöopathischen Dosen vorhanden. Gerne wird daher einfach das Fenster geöffnet und der Müll direkt im Hinterhof oder in einer der offenen Kloaken der Stadt entsorgt. Das freut die Ratten der Stadt, die so immer einen reich gedeckten Tisch vorfinden. Im Hinterhof meiner Unterkunft hat sich so ein Müllkomposthaufen gebildet dessen Analyse verschiedener Müllschichten in ein paar hundert Jahren den ein oder anderen Archäologen beschäftigen wird.

Heraus mit dem Müll, diese Waschmaschine wird nicht mehr benötigt

Bei der Müllentsorgung wird inzwischen auf modernes Recycling gesetzt. Die Kategorien sind einfach: Papier, Dosen & Flaschen, Restmüll. Je nach Stadtviertel werden die größeren Hauptstrassen täglich von Müllwagen abgefahren. Diese machen sich durch lautes Dudeln von Beethovens „Pour Elise“ bemerkbar, klingt in etwa so wie in Deutschland im Sommer die Eiswagen. Hört man dieses markante Jingle so packt man sich den Müll und bewegt sich zügig aber ohne Hast zur nächst größeren Straße. Dort wirft man seinen Abfall in die im Schritttempo vorbeidefilierenden Müllwagen – fertig. Mülltonnen pro Haushalt oder Wohngebäude gibt es keine.

Ein Recycling und Wertschöpfung der besonderen Art wird in den zahlreichen Tempeln praktiziert. Im Eingangsbereich kann sich der Gläubige neben Räucherstäbchen mit Gaben wie frischem Obst und allerlei Lebensmitteln versorgen. Besonders beliebt sind anscheinend Thunfischkonserven und Büchsen mit Malzbier. Ein Tempelbediensteter räumt diese auf einem reich gedeckten Tisch dargebotenen Opfer dezent jede Stunde ab, verschwindet mit ihnen durch einen Seitenausgang und stellt sie im erwähnten Shop am Tempeleingang wieder neu zum Verkauf. Diese Rotation erklärt so das schon seit vielen Jahren abgelaufene Haltbarkeitsdatum diverser geopferter Fischkonserven. Vermutlich gleicht das buddhistische Walhalla inzwischen einer Intensivstation für Lebensmittelvergiftungen. Andererseits währe die einmalige Nutzung aber auch eine sündhafte Verschwendung.


Fernsehen

Im kabelgespeisten Fernsehprogramm gibt es meistens unverständliches in Mandarin oder Taiwanesisch. Trotzdem leicht verständlich und nicht minder bedeppert als in Deutschland sind die hiesigen Verkaufskanäle. Komplizierte technische Geräte wie Notebooks, Betriebssysteme oder Spiegelreflexkameras werden hauptsächlich von leicht bekleideten Schönheiten weiblichen Geschlechts präsentiert. Die machen zwar selten einen kompetenten Eindruck, aber das ist ja Nebensache. Hauptsache ist Animation: Telefonnummer anrufen, Kreditkartennummer durchgeben und dann darauf warten, das der Postbote drei mal klingelt.

Neben dem obligatorischen CNN empfange ich Spielfilme am laufenden auf den Sendern HBO, Hollywood Classics und Star Movie. Unerwartet kann ich so endlich den B-Movie Schinken Dinocroc bis zu Ende sehen. Den habe ich vor vier Jahren auf einer Busfahrt in Thailand nur zur Hälfte mitbekommen.

Ein Geheimtip mit spannender Handlung: In einem See ist aus unerfindlichen Gründen ein Krokodil zu einem gefährlichen Dinosaurier mutiert und terrorisiert nun die dort lebende Bevölkerung. Neben den üblichen Teenagern, die Abends zu knutschen an den See fahren, gehören auch einige Fischer des Dorfes und unschuldig am See spielende Kinder zu seinen Opfern. Wie schon vor vier Jahren erwartet aber damals verpasst räumt der Held am Ende aber kräftig auf und besiegt das fiese Monster in einem dramatischen Endkampf. Warum dieser wegweisende Film nur 2.4 von 10 möglichen Punkten bei IMDB abräumt bleibt mir schleierhaft. Der Film ist rettungslos unterbewertet. Kaufen!


Themen-Gastronomie: Toilettenrestaurant

Das hippe bei Jugendlichen schwer angesagte Ausgehviertel Ximeding ist reich an Beispielen für asiatische Verspieltheit. Die albern geschminkten Zwitterwesen der Band Tokio Hotel würden hier optisch nicht weiter auffallen. Tattoos, Piercings, skurille Outfits, Bongs, Spielesalons, Karaoke-Restaurants – hier gibt es alles und noch ein bischen mehr.

Ausgefallen ist die Idee eines Toiletten-Restaurants. Das Interieur ist dem einer Toilette nachempfunden: Sitzgelegenheiten sind Schüsselkeramiken, die man sonst eher intim zum kacken besteigt. Das sollte man hier aber besser unterlassen, denn die Keramiken sind nicht an eine Wasserversorgung angeschlossen. Statt Tellern und Schalen wird das Essen in Miniatur-Toiletten gereicht. Stilecht getrunken wird aus Plastikbechern, die sonst in Altersheimen oder Krankenhäusern bei Patienten, die es nicht mehr selber zur Toilette schaffen, zur Entsorgung des Urins verwendet werden.



Frisches Essen, drapiert wie die verschiedenen Spielarten des Stuhlgangs vom Dünnschiss bis zur konzentrischen Wurstpyramide, wird aus der Küchenetage von einem kleinen Fahrstuhl angeliefert. Akkustisch wird das eintreffen der Gerichte durch ein lautes Spülgeräusch untermalt. Ein sehr spezielles Themen-Restaurant. Da es das meines Wissens in Deutschland noch nicht gibt: Wer es mal ausprobieren möchte, der nimmt sich sein Essen zum Beispiel bei McDonalds einfach mal mit auf die Toilette und verspeist es dort. Den toilettentypischen Gestank muss man sich dann aber wegdenken.


Innlandsflüge


Innlandsflüge sind genau so billig wie in Deutschland, alle Orte der kleinen Insel Taiwan kann man in wenigen Minuten erreichen. Anders als in Deutschland sollte man den Gepäck-Schein aber aufbewahren. Während man sich bei uns nach der Landung vom Transportband unkontrolliert so viel Gepäck mitnehmen kann wie man möchte wird das hier strengstens kontrolliert.

Der Bordservice spottet jeder Beschreibung. Die Saftschubsen reichen Wasser oder Tee, sonst nichts. Elektronische Geräte sind während des gesamten Fluges auszuschalten, Walkman hören ist also nicht. Am Besten etwas zu lesen mitnehmen, denn Filme werden keine gezeigt – was bei den kurzen Flugdauern auch wenig Sinn ergibt.


Besuch beim Doktor

Abends will Chi Hsuen noch einmal bei ihrem Doktor vorbeischauen. Der Bursche ist schwer im Geschäft und arbeitet jeden Abend bis 1:00 Uhr. Um diese Zeit sollten eigentlich nur noch Programmierer ihrer Tätigkeit nachgehen.

Die lokalen Straßenhändler haben sich auf diese Arbeitszeiten eingestellt und bieten ihre Ware vor der Praxis feil. Die nicht selten stundenlange Wartezeit kann man sich so beim shoppen oder schlemmen verkürzen. Der Arzt selbst ist auf mich etwas esoterisch wirkende traditionelle chinesische Medizin spezialisiert. Akupunkturen, Massagen und gekonnte Griffe sonst wohin sollen auch gegen Übergewicht helfen.

Vielleicht ist ja was dran, die Klienten scheinen jedenfalls dran zu glauben und lassen sich auch durch lange Wartezeiten nicht abschrecken. Zwei Kundinnen mit Problemzonen im Hüft- und Oberschenkelbereich zur Behandlung ihres Übergewichts haben scheinbar ein großes Vertrauen in die Fähigkeiten des Doktors. Vor und nach der Behandlung verspeisen sie große Mengen von fettem Essen beim Strassenhändler.


Karaoke

Ist in Asien generell beliebt, und hier in Taiwan ist das nicht anders. In Taipei gibt es dazu eigene Hotels deren Zimmer stundenweise vermietet werden. Anheimelnd ausgestattet sind die Zimmer mit einer großen lederner Sitzgarnitur, der eigentlichen Karaoke-Anlage und einem WC. Für vier Stunden bezahlt man in etwa das, was hier vor Ort die Übernachtung in einem Vier-Sterne Hotel kostet - das dann allerdings keine Karaoke Anlage hat.

Singen verkommt hier oft zur Nebensache. Man trifft sich mit Freunden zum Gedankenaustausch um vor allem: zu Essen. Die heimelige Atmosphäre des Zimmers ist kein geeigneter Ort für intime Stunden. Ständig schneit eine Service Kraft herein, bringt bestellte Ware oder fragt, ob man nicht etwas bestellen möchte.

Die Auswahl an englischen Titeln ist übrigens sehr beschränkt. Will man selber einmal singen, dann darf man keine großen Ansprüche an den vorhandenen Musikkatalog stellen.






Schweinegrippe

Gibt es hier auch und die Angst vor der Ansteckung ist weit verbreitet. SARS hat hier in Asien besonders stark gewütet, und diese Erfahrung steckt den Leuten hier noch in allen Knochen. Auch wenn auf großen Postern, Fernsehspots und Aufklärungsartikeln in den Zeitungen von offizieller Seite versucht wird, die Hysterie etwas einzudämmen, läuft hier ein drittel der Bevölkerung mit einem Mundschutz herum.

Hilft vielleicht nicht gegen Schweinegrippe, ist aber trotzdem kleidsam


Das ist nur sinnvoll, wenn man selber eine Grippe hat und andere schützen möchte. Viel hilft bekanntlich viel, weshalb auch Gesunde in der Öffentlichkeit ihr Gesicht hinter diesen Masken verstecken. In Gebäuden wird einem der Zutritt schon mal verwehrt, wenn bei der Eingangskontrolle eine erhöhte Temperatur festgestellt wird.


Taipei und Wandern


Taipei von oben

Von einem Flieger oder von der Spitze des 101-Wolkenkratzers aus betrachtet wirkt Taipei seltsam monochrom: In allen Himmelsrichtungen dehnt sich eine scheinbar strukturlose Wüste von Gebäuden aus. Gar nicht so viele hohe, oft nur vier- oder fünfgeschossig. Eine markante Skyline gibt es nicht, einzig der 101 Wolkenkratzer ragt einem Leuchtturm gleich aus der Masse und ist von überall aus zu sehen.

Auf der Suche nach Farbflecken in diesem hauptsächlich asphaltgrauen Einheitsbrei benötigt man eine Lupe, einen Feldstecher oder besser noch ein Mikroskop. Mit etwas Geduld kann das geübte Auge dann klitzekleine grüne Oasen in Form vereinzelter Parks erkennen. Erst die Nacht breitet gnädig einen Schleier aus Dunkelheit über diese Schäbigkeit und verwandelt Taipei in einen pulsierenden bunten Pixelteppich, gespeist aus unzähligen Neonleuchten.

Die Stadt wirkt, als ob sie am Computer mit der „Sim City“ Simulation entworfen wurde. Anscheinend hat man dabei aber erst jüngst entdeckt, das es auch einen Knopf zur Anlage von Grünflächen gibt. Das man zum Leben in einer Stadt etwas mehr braucht als den monotonen Rhythmus aus Schlafen, Arbeiten, Fressen und Ficken. Entlang der zu offenen Kloaken mutierten Bäche und Flüsse werden daher seit kurzem Fahrradwege und öffentliche Sportplätze angelegt, hauptsächlich für Basketball und Baseball. Auch an der Verbesserung der Wasserqualität wird gearbeitet, ein Aufenthalt im Grünen ist ja auch nur mäßig amüsant wenn von nebenan her aus dem Kanal permanent ein Duft schlimmer als ein Bierfurz nach durchgezechter Nacht herüberweht.

Eine Stadtentwicklung lässt sich auch schwierig planen, wenn man quasi über Nacht um ein paar Millionen neue Einwohner wächst, welche auf der Flucht Festlandchina verlassen haben. Und wie das mit Provisorien so ist müssen sie oft Jahrzehnte länger halten als gedacht. Während Taiwan in etwa so groß wie Baden-Würtemberg ist so drängeln sich heute etwa acht Millionen, also fast vierzig Prozent, der Bevölkerung des Landes im Norden der Insel in und um Taipei.

Dschungel in den Maokong-Bergen südlich von Taipei, keine 10 Busminuten von der Zivilisation entfernt


Natur gibt es an den Rändern dieses Ballungszentrums, dort, wo das Krebsgeschwür der Stadt noch nicht hingewuchert ist. Im Norden durch ein Vulkan-Massiv und im Osten und Süden ist Taipei durch weitgehend unbewohnte Berge eingekreist. Diese Ecken der Stadt kann man in wenigen Minuten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen. Der Wechsel von Großstadt- zu natürlichem Dschungel ist oft fließend, bisweilen abrupt.

Mit dem joggen in der smogverseuchten Stadt kam ich lange Zeit nicht klar. Früh am Morgen, wenn es Luft- und witterungstechnisch noch möglich ist, sich ernsthaft sportlich zu betätigen, komme ich einfach nicht aus dem Arsch. Und Abends, meiner bevorzugten Tageszeit für etwas Sport, wenn es wieder etwas kühler ist, verbringe ich meine Zeit lieber mit Chi Hsuen. Da es hier schon gegen 18:00 dunkel wird macht es außerdem keinen besonderen Spaß.

Als Alternativ-Programm um halbwegs in Form zu bleiben wandere ich daher nun täglich tagsüber durch den kühlen Dschungel an den Rändern der Stadt. Es gibt eine Menge erschlossener Wanderwege die man auch schnell erreichen kann. Während sich Touristenführer auf die Auflistung der besten Fressgelegenheiten spezialisiert haben werden diese schönen Ecken leider von offizieller Zeit totgeschwiegen. Was ein Jammer ist, denn immer gibt es interessantes zu entdecken: verlassene Dörfer, verborgene Wasserfälle, atemberaubende Perspektiven auf die Stadt oder die Bergwelt und nicht zuletzt die heimische Tier- und Pflanzenwelt. Für diese oft nur den Eingeborenen bekannten Ecken muss man sich alles andere als schämen und sollte sie auch chinesisch-unkundigen Touristen offiziell näher bringen.

Ein wenig schwindelfrei sollte man auf dem Huangdi-Pfad sein, der 30cm Breite Pfad fällt zu beiden Seiten steil ab


Die Wanderwege sind oft gut erschlossen. Immer beginnen sie mit Treppen, die auf einen Berg oder Hügel führen. Was schon von beginn an eine schweißtreibende Angelegenheit darstellt, je nach Pfad klettert man bis zu einer Stunde in die Höhe, unter einer halben Stunden Kletterei kommt kein Pfad aus. Besonder Ansprüche an die Bekleidung werden dabei nicht gestellt. Eigentlich ist man immer mit Turnschuhen ausreichend gut ausgestattet. Ich schwitze hier regelmäßig wie ein Schwein, und das oft schon fünf Minuten nach dem Start. Trikots sind daher Baumwoll-T-Shirts vorzuziehen, und genügend Getränke sollte man außerdem mit sich führen. Mehr braucht es nicht.


Taipeis urbane Tierwelt

An lebendigen Tieren kann man in der Stadt vor allem wild lebende Ratten, Straßenköter und frei herumstreunende Katzen beobachten. Tom und Jerry müsste hier in Taipei umgeschrieben werden, denn anders als im Westen üblich jagen die Ratten die Katzen in die Flucht. Vielleicht sind die Ratten hier einfach selbstbewusster oder stärker, da sie in den offenen Kloaken Taipeis ideale Lebensbedingungen finden. An toten Ratten kann man besonders gut ihre überdurchschnittliche Größe und muskulösen Körperbau bewundern. Wie sie in Ermangelung natürlicher Feinde gestorben sind, diese Frage denke ich lieber nicht zu Ende.

Straßenköter beim pennen

Straßenköter sind hier hauptsächlich devot und stumm. Sie bellen nie und geben keinen Laut, so als ob ihnen die Stimmbänder operativ entfernt worden sind. Vermutlich haben sie daher Angst vor allen Zweibeinern und verkriechen kuschend auf die andere Straßenseite wenn ihnen ein Exemplar dieser Gattung entgegenkommt.



Für den Hausgebrauch sind vor allem Pudel und rattengroße Hunde vom Kaliber von Paris Hiltons Tinkerbells beliebt. Eben die Art von Viechern die in Taschen mit sich herumgetragen werden müssen (bevorzugt werden natürlich Markentaschen, unter eine hässlichen Louis Vuitton geht mal gar nichts) und die mit einem Löffel gefüttert werden. Vielleicht ergibt sich so schon bald eine eigenständige Rasse von degenerierten Tamagotchi-Kötern die absolut zu nichts zu gebrauchen sind, sich selbständig nicht fortbewegen können und die zu Preisen ähnlich denen von Koi-Karpfen gehandelt werden.

Auch was die Bewohner der Luft angeht sieht es in Taipei eher mau aus. Tauben gibt es hier nur sehr wenige. Stattdessen kann man Abends regelmäßig Fledermäuse, die ihr eigenartiges Blindenballett im hellen Schein der Strassenlampen vorführen, beobachten.


Taiwans nicht-urbane Tierwelt


Nicht unerwartet geht es im Vergleich zur Stadt im Dschungel in Sachen Tierwelt wesentlich abwechslungsreicher zu. Ständiger Begleiter ist fremdes Vogelgezwitscher, das erfolgreich einen akustischen Beitrag zur exotischen Atmosphäre leistet. Zu Gesicht bekommt man die gefiederten Sänger allerdings selten. Den Luftraum teilen sich die scheuen Gesellen mit den den meistens eher stummen Schmetterlingen. Hübsch anzusehen und friedlich umkreisen sie in großer Schar den Wanderer durch den Dschungel. Manche sind handtellergross mit fast schon fleischigen Schwingen, vermutlich sind das aber eher gedopte Motten und keine Schmetterlinge.

Handtellergross und bunt sind auch viele Spinnen. Da Menschen nicht auf ihrem Speiseplan stehen nehmen sie aber meistens in Deckung wenn ich mich annähere. Überhaupt scheint es weniges zu geben, vor dem man sich in Acht nehmen muss. Kein einziges Mal wurde ich von einem Moskito belästigt oder gebissen. Warnschilder weisen zwar auf handtellergrosse Bienen hin, aber auch mit diesen machen ich auf meinen Wanderungen keine nähere Bekannschaft.

Ernst nehme ich inzwischen den Hinweis auf Schlangen. Auf so ziemlich jeder größeren Wanderung bin ich über eine gestolpert. Da ich kein Experte auf diesem Gebiet bin weiß ich auch nicht genau, ob diese giftig sind oder nicht. Ich lasse mich von meinem natürlichen Respekt leiden und gehe lieber auf Abstand, wenn ich auf eine treffe.

Meine Strategie deckt sich mit der der Schlange, die durch den Dschungel trampelnde Menschen schon meilenweit entfernt wahrnehmen und sich verpieseln. Der Hinweis, die Wanderwege nicht zu verlassen, ist allerdings etwas irreführend. Gerade der warme Asphalt und die durch die Sonne aufgewärmten Treppensteige sind scheinbar bevorzugter Aufenthaltsort für die Biester um richtig auf Touren zu kommen.

Vermutlich irgendeine ungiftige Natter

Auf dem Yangmingshan versperrt mir so plötzlich ein mehrere Meter großes Exemplar den Weg. Hatte ich es von weitem als einen heruntergefallenen Ast interpretiert, so kann ich im letzten Augenblick eine Kollision vermeiden. Erschrocken mache ich einen Schritt zurück und stolpere über einen echten Ast. Die Schlange wird wach und schiebt ihren schuppigen Körper daraufhin in meine Richtung. Vermutlich angelockt durch meinen beissenden Schweißgeruch angelockt verharrt sie eine Handbreit entfernt von mir, während ich den Teil des sprichwörtlichen Kaninchens in diesem Schauspiel gebe.

In dem Moment wiederstehe ich auch dem Reflex, nach meiner Kamera zu greifen und spiele lieber den toten Mann. Abgesschreckt vom bereits erwähntem abstoßendem Schweißgeruch vrzieht sie sich endlich. Glück gehabt, denn in diesem vulkanischen Nationalpark sind laut Informationsbüro so ziemlich alle Schlangen irgendwie giftig. Giftschlangen bilden sonst in Taiwan die absolute Ausnahme, hier scheint das aber anders zu sein. Verschwörungstheoretiker haben das zum Anlass genommen, das Märchen von abrückenden japanischen Truppen, die hier angeblich Geheimlabors hatten, und der dort gezüchteten giftigen Schlangenbrut die Freiheit schenkten, in die Welt zu setzen.

Aus dem ungeplanten Rendezvous lernend habe ich zukünftig immer einen Wanderstock in Form eines Regenschirms dabei. In hohem Bogen befördere ich damit alles mir suspekt erscheinende sicherheitshalber aus dem Weg. Ich hoffe, der ein oder anderen Schlange bei dieser unfreiwilligen Flugeinlage nicht das Rückgrat gebrochen zu haben.

Gottesanbeterin




Wild lebende Säugetiere kann ich hier leider nicht beobachten. Ein spezieller Wanderweg wirbt mit einer größeren Population hier frei lebender Taiwan-Makkaken. Diese Affen sehen ungefähr so aus wie ich, haben lange Haare und einen dicht behaarten Körper. Hier muss dieser schöne Vergleich aber schon enden, denn sie sind wesentlich kleiner als ich.

Hinweisschilder erklären den richtigen Umgang: Angeblich sind diese Tiere, die immer im Rudel auftreten, seltsam aggressiv und sollten besser nicht gefüttert werden. Freudiges wedeln mit dem Schwanz, ist als ein Anzeichen für Angriff zu interpretieren.

Drei prächtige Exemplare von ihnen, die sich vor mir über den Wanderweg trollen, fressen meine mitgebrachte Banane aus meiner Hand. Dabei entpuppen sie sich leider bei näherer Betrachtung als drei Amerikanerinnen, die mit ihren kehligen tarzan-artigen Affenlauten dieselben nur anlocken wollten. Selber sind sie keine Affen. Diese Strategie entpuppt sich allerdings als Rohrkrepierer, denn mit ihrer unqualifizierten Parodie haben sie alle Affen erfolgreich verscheucht. Auch nach stundenlangem warten treffe ich an diesem Tag keine mehr an.

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