11.9.09

Kinmen und Cihu

Die Chinesisch-Chinesische Grenze in Kinmen

Eine kleine Gesichtsstunde zum Taiwankonflikt. Heute können die wichtigsten Orte dieser Auseinandersetzung auf der Insel Kinmen besucht werden, die aber auch unabhängig ihrer historischen Relevanz einen Besuch wert ist.


Exkurs: China und Taiwan – ein geteiltes Land oder zwei souveräne Länder?

Nach dem zweiten Weltkrieges wurden weltweit einige Grenzen neu gezogen. In vier Fällen – Korea, Vietnam, China und Deutschland - verliefen neue künstliche Grenzen mitten durch bis dahin zusammenhängende Staatsgebiete: Diese Grenzen waren Teil der Trennlinien der neuen bipolaren Weltordnung des kalten Krieges, sie trennten Völker und Familien. Kalt war der kalte Krieg, was bewaffnete Grenzkonflikte in diesen Ländern angeht, eigentlich nur in Deutschland. In Vietnam, Korea und China wurde an diesen Grenzen heiß gekämpft.

Der eiserne Vorhang in Europa ist seit nun fast zwanzig Jahren geöffnet, Deutschland ist friedlich wiedervereinigt und hat das Merkel. In Vietnam wurde diese Grenze zu Gunsten des kommunistischen Lagers nach jahrzehntelangen Bürgerkriegen in den 70er Jahren beseitigt. Auf der koreanischen Halbinsel hat die Trennung in Nord- und Südkorea noch heute Bestand. Beide Länder befinden sich nach wie vor im Krieg. Dieser ist zwar seit über 50 Jahren durch einen Waffenstillstand unterbrochen, formal aber wurde er nie beendet.

Die vierte dieser Grenzen teilt Taiwan von der Volksrepublik China ab. Nach der Befreiung von den japanischen Besatzern im zweiten Weltkrieg brach zwischen den chinesischen Führern Chiang Kai Shek und Mao Zedong ein blutiger Bürgerkrieg um die Vorherrschaft in China aus. Von dem Kampf gegen die japanischen Besatzer geschwächt konnte Chiangs Nationalarmee der kommunistischen Volksarmee Maos nichts entgegensetzen. Auch – eher halbherzig gewährte - amerikanische Militärhilfe verpuffte effektlos. Maos Truppen waren disziplinierter und erfolgshungriger. Chiangs Armeen demgegenüber ein Musterbeispiel an Disziplinlosigkeit, moralisch degeneriert und vor allem des langen Kampfes müde.

Aus dem Krieg gegen Japan hatte sich Mao vornehm zurück gehalten und in aller Ruhe die eigenen Truppen aufgerüstet während Chiang die Kohlen aus dem Feuer holen musste. Jetzt war Maos Chance gekommen und er nutze sie brutal. Als legitimer gewählter Vertreter der Republik China setzte sich Chiang daher 1949, von den Kommunisten geschlagen, endgültig mit den verbleibenden Resten seiner Armee und seiner Partei KMT (Chinesische Nationalpartei) nach Taiwan ab. Mao konnte in Festlandschina die bis heute existierende Volksrepublik China ausrufen und etablieren.

Mao und Chiang blieben sich seitdem spinnefeind. Beide glaubten an ein China zu dem auch Taiwan gehörte. Ein Anspruch an die Integrität des chinesischen Staatsgebiets wie er bis heute unter dem Chiffre „Ein China“ formuliert wird. Unterschiedlich jedoch war die Perspektive auf diesen Anspruch: Aus Sicht Maos ist Taiwan Teil des kommunistischen Staates den er 1949 proklamierte und dessen sechzig jähriger Geburtstag dieses Jahr im Oktober sicher mit großem Trara gefeiert werden wird.

Aus Chiangs Perspektive hat die Republik China nie aufgehört zu existieren. Die Ausrufung Volksrepublik China war unrechtmäßig und diese nur eine temporäre Episode die es zu korrigieren galt. Erst einmal musste er dazu aber Kraft tanken, sich auf Taiwan neu organisieren und sammeln. Den Anspruch der Rückeroberung Chinas hat er dabei nie aufgegeben, auch wenn die Chancen auf die Umsetzung dieses Plans mit der Zeit immer unwahrscheinlicher wurden.



Bis heute nennt sich Taiwan daher offiziell R.O.C – Republic Of China. Ein Staat, der in seiner Existenz nur von politischen Schwergewichten vom Kaliber eines Vatikanstadt oder den Marshall-Inseln offiziell als solcher anerkannt wird. Alle anderen Länder haben zu Gunsten der Volksrepublik China diplomatische Beziehungen zu Taiwan abgebrochen bzw. pflegen sie auf der Ebene von Büros zum Kulturaustausch. Die R.O.C. hat damit de facto qua mangelnder Akzeptanz und Aussenwirkung der wichtigsten Länder der Welt aufgehört zu existieren.

Ein Staat, der von nur wenigen als solcher gesehen wird, ist ein witzloses Konstrukt. Obwohl Taiwan alle Attribute eines legitimen Staates besitzt: Ein klar abgegrenztes Territorium, politisch legitimierte Führung, Währung, Rechtssprechung, Militär, Polizei, etc.

Die Frage, wie sich Taiwan heute selbst versteht, ist nicht so einfach zu beantworten. Zum einen sind sämtliche gewählten Vertreter der ehemaligen Regierung der R.O.C. inzwischen gestorben und der Anspruch, Nachfolger der R.O.C. im Wartestand zu bis zur Wiederherstellung derselben auf dem Festland zu sein, lässt sich historisch nicht mehr aufrecht erhalten.

Taiwanesen begreifen sich heute wohl in der Mehrheit als auf Taiwan geborene Chinesen, welche zwar historisch und ethnisch mit China verbunden sind, mit der Volksrepublik China aber nichts am Hut haben und haben wollen. Aber nur wenige fordern explizit einen eigenen und unabhängigen Staat.

Viele Taiwanesen haben sich mit dem Status Quo arrangiert und ein eigener Staat ist ihnen schlichtweg egal. Ging es also früher um ein China inklusive Taiwan – in einer kommunistischen oder republikanischen Ausprägung - so hat lautet die aktuelle Frage eher, ob Taiwan ein eigener Staat sein soll oder nicht. Beijings Sicht der Dinge ist klar: Taiwan und Tibet gehören zum Territorium der Volksrepublik China. Basta.

Formal hat Taiwan seine Unabhängig nie erklärt und sitzt nun zwischen den Stühlen und damit in der Tinte: China droht im Falle einer Unabhängigkeitserklärung mit einem Militärschlag mit dem Ziel der Eroberung Taiwans – und diese Drohung ist sogar in der chinesischen Verfassung verankert. Auf der anderen Seite benötigt Taiwan aber eine eigene staatliche Identität, die sich nur durch eine Unabhängigkeitserklärung erlangen lässt. Man ist sich nicht klar darüber, ob man das wirklich will und verharrt in einer Art Duldungsstarre – ohne klare Vorstellung oder ernsthafte Ambitionen, diesen Zustand aufzulösen.Taiwan selbst ist auch zu schwach, sich hier gegen den stärkeren Nachbarn bzw. Bruder behaupten zu können, und könnte wohl auf wenig externe Hilfe hoffen.


Kinmen als Schauplatz des Taiwan-Konflikts

Die kleinen Insel Kinmen (sprich: „Dschiemän“, früher auch mit „Quemoy“ lateinisiert) ist eine Bühne für die bisherigen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der Volksrepublik China und Taiwan. Dieses kleine, schmetterlingsförmige Eiland ist mit 1.7 KM Entfernung zur chinesischen Küste der Teil Taiwans, welcher der Volksrepublik am nächsten kommt. Taiwan selbst ist mit knapp 300 Kilometern etwas weiter weg.

Angriff Chinas auf Kinmen im Jahr 1949

Schon 1949, noch im Jahr der Ausrufung der Volksrepublik China, versuchten die Kommunisten, diese Insel einzunehmen. Für zwei Tage konnten sie einen Brückenkopf im Nordwesten der Insel behaupten, wurden dann aber in der folgenden Gegenoffensive wieder von der Insel vertrieben.

Diese Vertreibung der rotchinesischen Sturmtruppen wird heute in der Geschichte Taiwans als eine Art heldenhafter Gründungsmythos in Ehren gehalten. An die entscheidende Schlacht um den Ort Ku Ning Tou erinnert heute ein Museum, inklusive verherrlichender Darstellungen der damaligen Vorkommnisse. Da damals anscheinend wenig fotografiert wurde sind die wesentlichen Elemente der Schlacht nachträglich auf überdimensionalen gemalten Bildern festgehalten worden und diese lassen die damaligen Ereignisse im Museum noch einmal Revue passieren.

Ausbau von Kinmen zur Festung

Schlacht um Strandabschnitt nahe Ku Ning Tou

Chiang höchstselbst präsentiert sich in einer Parade den siegreichen Truppen ...

... während die geschlagenen Rotarmisten (man beachte das Abzeichen der chinesischen Volksarmee auf der Mütze) nach Hause oder in Kriegsgefangenschaft geschickt werden

In Folge der erfolgreichen Schlacht um Kinmen wurde die Insel zu einer Festung ausgebaut. Chiang wollte diesen Ort, quasi als Stachel im chinesischen Festlandsfleisch, unbedingt halten. Nur so lies sich ernsthaft sein Plan zur Rückeroberung Chinas aufrecht erhalten. Das gesamte Areal wurde zum militärischen Sperrgebiet erklärt und spielte in der Folge eine immer skurrilere Rolle in der taiwanesisch/chinesischen Auseinandersetzung.

Die erste Nagelprobe galt es keine zehn Jahre später zu bestehen. 1958 beschoss China die Insel vom Festland aus mit heftigem, mehrere Monate anhaltendem Artillerie-Feuer. Insgesamt verfeuerte China aus 350 Geschützen eine halbe Million Granaten auf Kinmen – gut verteilt auf eine Fläche etwa so groß wie Bremen! Parallel sollte eine Seeblockade die Insel von der Außenwelt abschließen.

Rotchina brauchte vor allem ein Ablenkungsmanöver um von dem innenpolitischen Desaster des großen Sprungs nach vorne und seinen Folgen abzulenken. Außerdem sollte die Bündnistreue der USA mit Taiwan getestet werden. Kinmen hielt stand und schoss zurück. Dieser Episode wurde von beiden Seiten als Erfolg verbucht: Tatsächlich musste Taiwan zwar die kleineren Dachen Inseln in der Nähe von Kinmen räumen, konnte aber von Kinmen nicht vertrieben werden. Kleinere Scharmützel und Artillerieduelle wurden bis 1978 fortgesetzt.

Propagandagranate

From Taiwan With Love ...

... und Rotchinas Antwort darauf

Die interessantesten verwendeten Geschosse in diesem Konflikt waren spezielle Propagandagranten. Sie explodierten nicht, sondern liessen metallene Kapseln gefüllt mit diversem Propaganda-Nippes an kleinen Fallschirmen zur Erde segeln.Verhandlungen mit der UN wurden mit dem Ergebnis abgeschlossen, nur noch jeden zweiten Tag zu schießen. An Tagen ungeraden Datums wurden daher der Beschuss auf Propaganda-Munition umgestellt, ansonsten scharf geschossen.

Nach 1978 einigte man sich auf den kompletten Verzicht von scharfer Munition und auf folgenden Plan: Taiwan durfte Montags, Mittwochs und Freitags Propaganda-Granaten Richtung China feuern, China konnte Dienstags, Donnerstags und Samstag antworten. Als Ruhetag ohne irgendwelchen Propaganda-Beschuss war der Tag des Herrn vorgesehen.

Um Rotchina zu ärgern montierte man ab 1978 auf dem höchsten Berg der Insel die größten Neon-Schriftzeichen Taiwans. Diese waren bei Nacht gut vom Festland aus zu sehen und ein aufmerksamer Beobachter konnte von dort die erste Zeile der taiwanesischen Nationalhymne entziffern. Tatsächlich beschwerte sich die chinesische Großstadt in Sichtweite dieser Installation Hsia Men (früher bekannt als Amoy) als diese überdimensionierte Leuchtreklame 1990 abgeschaltet wurde. Über Nacht hatte man die größte Touristenattraktion verloren. Zum Glück beließ man es bei einem Protest, weitere kriegerischen Handlungen wurden deswegen nicht aufgenommen.


Kinmen heute

Auch der massive geregelte Einsatz von Propaganda konnte den Verlauf der Geschichte nicht maßgeblich beeinflussen und so blieb Kinmen bis heute ein Teil Taiwans. 1992 wurde die militärische Sperrzone aufgehoben und ist seitdem frei zugänglich. Zusätzlich wurde Kinmen als Nationalpark deklariert und seitdem touristisch erschlossen.

Die Spuren der kriegerischen Auseinadersetzung sind noch allgegenwärtig und werden teilweise als Attraktion genutzt. Bunker, die meisten verlassen und mit Wasser vollgelaufen, gibt es an allen Ecken und Enden. Unter der Hauptstadt Kin Cheng kann ein 3 Kilometer langes Tunnelsystem besichtigt werden, welches die Schulen der Stadt, das Rathaus, den zentralen Busbahnhof und das Büro der KMT Partei verbindet (die Dependance der Oppositionspartei DPP verfügt über keinen solchen exklusiven Evakuierungsanschluss).

Von den 50.000 Einwohnern sind immer noch die Hälfte Angehörige der taiwanesische Streitkräfte. Ein großer Teil von ihnen leistet hier seinen Wehrdienst ab. Das Aufgaben-Spektrum hat sich eher in den zivilen Bereich verschoben: Heute ist jeder hier stationierte Soldat Parte eines Baums und kümmert sich so um die Begrünung der Insel. In der Freizeit sind die Soldaten häufig in den Internet-Cafes der Hauptstadt anzutreffen und halten sich dort für den Ernstfall mit einschlägigen Ballerspielen a la Counterstrike fit.

Minenverseuchten Strände der Insel laden zum Schwimmen aus

Flankiert von markigen Propaganda-Sprüchen vom einprägsamen Schlage eines „Gib mir mein Land zurück!“ können Touristen heute durch Fernrohre und durch Bunker gesichert einen Blick in Richtung China werfen. Heute tummeln sich chinesische Fischerboote in der 1.7 KM breiten Wasserstraße zwischen Taiwan und China und das einzig heiße an der Grenze ist das Wetter.

Abseits von all dem militärischen bietet sich für Architektur interessierte das vermutlich einzig nennenswerte Ziel Taiwans. Wurden traditionelle Bauten andernorts einfach platt gemacht hat hier die militärische Isolation einzigartige Bauten konserviert (bzw. wurden diese nach Beendigung der Bombardierung wieder orginalgetreu aufgebaut).

Doppelzimmer unserer Unterkunft in Shui Tou

Tee zum Frühstück

Straße in Shui Tou

Innenhof unserer Unterkunft in Shui Tou

Empfehlenswert ist das Dorf Shui Tou, in dem sich Gebäude im klassischen fukienesischem Stil (erkennbar an langgestreckten Giebeln in Schwalbenschwanzform) dicht aneinander drängen. Ein lebendiges Freilichtmuseum in das sich Chi Hsuen und ich uns für zwei Tage einmieten. Für sparsame 80,- Euro kann man hier ein schönes und stilvolles Wochenende verbringen. Als Besucher hat man hier eher den Eindruck, in China und nicht in Taiwan zu sein. Es erinnert eher an Beijings Huton-Viertel als an die hässlichen seelenlosen Betonquartiere Taipeis.

Essen auf Kinmen, eine der wenigen McDonalds-Buger King-Subway-Starbucks freien Zone Taiwans: Gegrillter Schweinedarm ist der kulinarische Hammer




Hirseschnaps und Bomben zu Küchenmessern


Besonderheiten der lokalen Industrie und damit beliebte Souveniers sind aus Granaten hergestellte (Küchen)messer und ein speziell hier destillierter Hirseschnaps.

Eine überdimensionale weiße Schnapsflasche ist das erste, was ein Besucher Kinmens auf dem Weg vom Flughafen zur Hauptstadt sieht. Der aus lokal angebauter Hirse gebrannte Schnaps hat 58 Umdrehungen und heißt deswegen der Einfachheit halber auch 58. Schmeckt eher wie Wodka und weniger wie Whiskey. Gan Bei!

Der Schmied Wu kam auf die originelle Idee, aus der Not der Bombardierung eine Tugend zu machen. Fleißig sammelte er die Granatenhülsen und Reste ein und schmiedete daraus alles messerförmige vom Taschenmesser über Küchenmesser und Macheten bis hin zum Samurai-Schwert.

Dazu werden beim Schmieden besonders aufwändige Faltungstechniken angewendet die zu sehr hartem und scharfem Stahl führen, analog dem Herstellungsprozess von Toledo-Stahl. Besonders gut eignen sich die Propaganda-Granaten: Der Stahl dieser Granaten ist hochwertiger und weniger porös, denn sie sollten ja nicht in Schrappnelle zerplatzen sondern schützend ihren Propaganda-Tinnef ins Ziel bringen.

Aus dem Stahl einer Granate können in etwa 800 Messer produziert werden. Dank der halben Millionen Granaten aus der Bombardierung herrscht an diesem Rohstoff in den nächsten hundert Jahren kein Mangel. Ein Besuch der Schmiede ist Pflicht, hier kann man Meister Wu höchstselbst bei der Arbeit über die Schulter schauen.

Schmieden des Stahls

Zurechtschneiden der Klinge


Schleifen der Klinge

Das fertige Messer



Chiangs Obersalzberg in Cihu


Taiwans Obersalzberg befindet sich gut 70 Kilometer südwestlich der Hauptstadt in einem kleinen verborgenen Tal nahe der Ortschaft Cihu. Der ehemals streng gesicherte und hermetisch abgeriegelte Rückzugsort von General Chiang und seinen Freunden kann heute besichtigt gewerden und ist quasi ein Muss für jeden halbwegs an Geschichte interessierten Reisenden.


Busfahrt nach Cihu (und Verhalten in öffentlichen Verkehrsmitteln insgesamt)

Die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln über Dasi per Bus ist ein kleines Abenteuer, denn in Dasi wird gerade der Busbahnhof renoviert. Von Renovierungstätigkeiten sollte man übrigens, egal was man plant, immer ausgehen. Irgendwas gibt es hier immer zu tun und ständig sind irgendwelche Pforten verschlossen.

Nach einer halben Stunde finde ich in Dasi die richtige Ersatzhaltestelle zur Weiterfahrt in Richtung Cihu. Leider gibt es dort nur einen pinkfarbenen Waschzettel auf dem so etwas wie „Ersatzhaltestelle“ auf chinesisch steht. Auf den Aushang von Fahrplänen, denen man Fahrtrouten oder Abfahrtszeiten entnehmen kann, wurde konsequent verzichtet.

Übersichtliche Fahrpläne weisen den Weg

Ich halte also einfach jeden vorbei fahrenden Bus an, um zu fragen, wohin er fährt. Busse muss man hier wie ein Taxi mit exakt im 90 Grad Winkel ausgestrecktem rechtem Arm heranwinken - sonst halten sie nur, falls zufällig gerade jemand aussteigen will. Da mich die Busfahrer trotz mustergültig ausgeführter Haltesignale meinerseits ignorieren ändere ich meine Taktik und springe bei jedem vorbei fahrenden Bus mit beiden Händen über dem Kopf winkend auf die Strasse. Öffnet ein so gestoppter Bus die Tür, so frage ich nach der Fahrtroute. Meistens fahren die Busse aber einfach unbeeindruckt weiter wenn ich die Fahrbahn freigebe.

Meine Hartnäckigkeit zahlt sich trotzdem aus: nach weiteren 50 Minuten in sengender Hitze hat ein Fahrer erbarmen und nimmt mich mit. Während ich noch den Fahrpreis nachfrage strömt hinter mir eine Gruppe von ca. 56 Rentnern undiszipliniert in den Bus. Ihrem Gepäck nach zu urteilen waren sie in Dasi auf dem Wochenmarkt und wollen ihre Errungenschaften nun nach Hause in Sicherheit bringen. Ich verstelle ihnen aber den Weg wie ich auf der Eingangstreppe des Busses stehe und mit dem Fahrer verhandele.

Mehrere Hände begrapschen und schieben an meinem Hintern rum, doch ich weiche keinen Zentimeter. Manche kriechen sogar zwischen meinen Beinen durch, eine beachtenswerte akrobatische Meisterleistung mit nicht aus der Hand gelegten Plastiktüten und sowas in hohem Alter. Aber auch ein mit Einkäufen voll beladener Hackenporsche, mehrmals mit Schmackes in meine Kniekehlen gerammt, fällt mich nicht. Eine Ruhe ist erst, als ich meine Sonnenbrille abnehme und mich, Blickkontakt suchend, umdrehe. Betretenes Schweigen, zum Boden gesenkte Köpfe und Ruhe auf die Frage, wo denn das Problem sei. Es gibt anscheinend keines – oder außer mir spricht hier keiner Deutsch.

Vielleicht bin ich schon zu lange hier. Habe ich noch in den ersten Wochen meinen Sitzplatz für Bedürftige bereit gestellt so ist meine Bereitschaft, das auch weiterhin zu tun, auf dem Nullpunkt angekommen. Die „Hoppla, hier komm ich - nach mir die Sintflut“-Mentalität ist ansteckend. Die Taiwanesen benehmen sich hier keinen Meter zivilisierter als ihre festlandschinesischen Brüder.

Ich muss mich den fremden Sitten und Gebräuchen anpassen, wenn ich hier nicht als kompletter Freak negativ auffällig werden will. Also steige auch ich genau dann in einen S-Bahn Waggon sobald sich die Tür öffnet – und ohne Rücksicht auf aussteigenden Fahrgäste (und manchmal drücke ich sie einfach zurück in den Zug und sie müssen sich eine andere Öffnung zum aussteigen suchen). Wartet man in aller Ruhe, bis alle Fahrgäste die Bahn verlassen haben, um danach einzusteigen, so wird man nur von hinten geschubst, angepöbelt oder schlicht zur Seite gedrängt.

In öffentlichen Verkehrsmitteln gibt es neuerdings so genannte „Priority Seats“. Priorität bei der Besetzung dieser Plätze haben Ältere, Behinderte, Schwangere oder Frauen mit Kindern. Sitze ich auf einem solchen Platz und nähert sich ein Bedürftiger gemäß dieser Priorisierung, so zeige ich ihm lachend den Vogel, mache mich noch etwas breiter und starre aus dem Fenster. Das mit dem Lachen und Vogel zeigen habe ich als neues Element hinzugefügt, vielleicht macht es bald Schule. Wenn einem die Mitmenschen so egal sind, so sollte man es auch zeigen.

Das normale beobachtbare Verhalten von Taiwanesen in einem solchen Fall ist es, mit versteinertem Gesicht aus dem Fenster zu schauen und sich so tot stellend alles um einen herum demonstrativ zu ignorieren. Plakataktionen, die das gewünschte korrekte Verhalten in solchen Fällen anmahnen, sollen das Verhalten in diesem Punkt ändern. Der pädagogische Effekt ist jedoch gleich null. Auch sehr beliebt: In einer Zweierbank den Gangplatz besetzten, den Fensterplatz frei lassen und versteinert nach vorne schauen. Sollen die anderen doch rumturnen und etwas Einsatz zeigen, wenn sie auf den freien Platz wollen – ohne Fleiß, keinen Preis. Nach mehrmaliger Ansprache werden manches mal wenigstens die Beine etwas zur Seite bewegt und so ein wenig Platz gemacht.

Vielleicht wird ein Sitzplatz in einem Verkehrsmittel aber auch einfach nur als temporärer privater Raum im öffentlichen verstanden. Taiwanesinnen entpuppen sich hier als pragmatische Meister im Zeitmanagement und machen dort das, was man bei uns eher bei sich zu Hause macht bevor man losgeht: Schminken und parfümieren zum Beispiel. Ich übe mein chinesisch in dem ich positives Feedback wie „Sehr hübsch!“ oder „Dein Parfüm riecht wie eine noch nicht vergammelte Lotusblüte am Morgen!“ abgebe. Das ist natürlich glatt gelogen, denn wie eine Lotusblüte – noch dazu eine vergammelte – am Morgen riecht weiß vielleicht einer der Leser, ich jedenfalls nicht. Für elaboriertere oder passendere Komplimente ist mein chinesischer Wortschatz einfach zu begrenzt, es wird aber jeden Tag besser.

Wo ich gerade beim Thema bin: Sehr beliebt ist es auch, in Fahrstühlen den „Tür schließen“ Knopf beim halten nervös dauerzuklicken. Auch wenn andere gerade aus- oder zusteigen wollen findet sich immer eine Hand, die diesen Knopf permanent in der Hoffnung, die eigene Fahrtzeit zu verkürzen, betätigt: Was interessieren mich die anderen – ICH will nach oben und nicht dauernd anhalten! Das die Steuerung eines Fahrtstuhls auch dann nicht schneller auf diesen Knopf reagiert wenn man ihn mehrfach schnell hintereinander drückt ist anscheinend noch keinem aufgefallen. Also bitte nicht weitersagen, damit ich mich bei diesem Anblick weiterhin erfreuen darf!


Den Chiangs ihre Privatresidenz in Cihu

Den Chiangs hat die Gegend um Cihu auf Anhieb gut gefallen, erinnert sie den alten Kai Shek doch in Vegetation und Geographie an seine alte Heimat. Prompt wurde daher das Tal militärisch abgeriegelt, ein kleiner Stausee zu Chiangs Plaisir ausgebaut und Bungalows mit Blick auf See, Berge und Dschungel angelegt.

See mit Floss für Paddelspaß in Cihu

Außer Mitgliedern der Oberschicht aus der KMT Nomenklatura wurde keinem Normalsterblichen hier Einlass gewährt. Auch dem Bündnispartner USA blieb verborgen, wie der alte Stratege Chiang hier seine Militärs Pläne zur Rückeroberung Chinas schmieden ließ. Als 1962 die Volksrepublik China durch den großen Sprung nach Vorne und den Folgen dieser exklusiven Spinnerei Maos geschwächt am Boden lag und das Hauptaugenmerk in der Region auf den Vietnam-Krieg lag sah der Generalissimo endlich seine Chance gekommen. Es sollten zwei-/drei Städte erobert und von dort ein Umsturz des kommunistischen Regimes gestartet werden.

Irgendjemand muss diese Pläne jedoch an die chinesische Volksarmee verraten haben, denn sämtliche Eliteeinheiten, die eine erste Welle der Rückeroberung in der Operation „Morning Glory“ einleiten sollten, wurde komplett aufgerieben. Auch konnten Landungsschiffe nicht wie geplant unentdeckt durch die Straße von Taiwan vorrücken und die taiwanesische Marine holte sich eine blutige Nase. Derartig militärisch geschwächt wurde die Aktion dann erst einmal abgeblasen und mehrfach verschoben. Zuletzt hatte man sich 1971 die Rückeroberung Chinas ernsthaft vorgenommen, musste aber auch diesen Termin ungenutzt verstreichen lassen.

Heute werden andere, wesentlich defensivere Pläner verfolgt. Derzeitig ist das Militär schon froh, wenn es ansatzweise das Kräftegleichgewicht halten und China vor einem Angriff abschrecken kann. Das ist schon jetzt aus eigener Kraft nicht mehr möglich und klappt eher schlecht als recht auf Basis von Schutzgarantien Washingtons. Und da sämtliche Länder der Welt (inklusive der USA) in Kotaustellung vor der Regierung in Beijing erstarrt sind können dringend benötigte moderne Waffensysteme nicht angeschafft werden, obwohl Mittel und der politische Wille zum Kauf dieser vorhanden sind. Beim Besuch des Militärmuseums in Taipei empfindet man tiefes Mitleid angesichts des zur Verfügung stehenden veralteten, dürftigen Waffenarsenals der taiwanesischen Streitkräfte. Die Herren in Zhong Nan Hai lassen weiter ihre Muskeln spielen und werden dazu demnächst wohl auch Paraden zum 60. Jahrestag der Republik Ende Oktober propagandistisch nutzen.

Hunderte wiedergänger Chiangs sind in Cihus Skulpturpark gestrandet

Auf dem Gelände in Cihu befindet sich heute ein kleiner Park in dem aus dem ganzen Land zusammengetragene Statuen und Büsten Chiang Kai Sheks, manchmal auch welche von Sun Yat Sen, ausgestellt sind. Entgegen seiner Zeitgenossen von Hitler über Stalin bis Mao hat Chiang nie einen Personenkult um seine eigene Person forciert oder gefordert und hat zu Lebzeiten immer etwas befremdlich auf derartige Darstellungen reagiert.

Wenig spektakulär und fasst schon spartanisch fällt dementsprechend auch seine Ruhestätte aus. Ein einfacher Sarg, ein kleines Kreuz (seiner Frau zu Liebe konvertierte Chiang zum Katholizismus, der hier auf Taiwan nach den Philippinen wohl seine größte Verbreitung in Asien genießt). Das andere Despoten die letzte Ruhestätte wesentlich pompöser gestalten wusste er wohl selbst, nur war Selbstdarstellung ja nicht sein eigentliches Ziel. Dieser Ort ist daher auch kein Wallfahrtsort wie das Grab anderer Führer Asiens vom Schlage eines Kim Il Sungs oder Mao Zedongs.

In den Bungalows, welche früher zur Sommerfrische der oberen 100 dienten, sind heute interessante Ausstellung zur Geschichte Taiwans untergebracht, in den ehemals geheimen Tunneln schlafen tagsüber nachtaktive Fledermäuse. Für Taiwanesen wichtig: ein Restaurant mit Blick auf den See. Ohne Essensmöglichkeit würde es sie nicht an diesen Ort verschlagen.

Das damals abgeriegelte Gelände ist übrigens auch heute nicht komplett frei zugängig. Das Militär übernimmt hier die Öffentlichkeitsarbeit. Und wie immer, wenn Militärs beteiligt sind, kriegen die das nur mit mäßigem Erfolg auf die Reihe. Als Besucher muss man sich vorher auf einer nur in Mandarin verfügbaren Homepage registrieren. Die Führungen kosten 2,- € und sind auf 40 Teilnehmer pro Stunde begrenzt. Findige privatwirtschaftliche Geschäftsleute haben daher das komplette Kontigent bis zum Ende des Jahres aufgekauft, ich finde trotzdem noch eine Nische und mir wird nach drei Wochen Wartezeit Zutritt in dieses Inner Sanktum gewährt.

Schon nach der Eingangskontrolle seile ich mich aber von der Gruppe ab und erkunde das Areal auf eigene Faust. Später treffe ich nach zwei Stunden die Gruppe wieder – beim Essen im Restaurant. Tatsächlich haben die zwei Stunden in einem Bungalow gesessen und sich in aller Ruhe den See angeschaut und sind damit keinen Meter mehr gelaufen als unbedingt notwendig. Für den zwei Kilometer langen Anmarsch wurden anderthalb Stunden benötigt, dieses Schneckentempo ging mir ungeduldigem Geist derart auf den Sack das ich mich einfach selbständig machen musste.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Hi JoDo, gutter Blog, schreib doch auch mal, wie man den Herbergsvater in der Taroko Schlucht Taiwan erreichen kann um mit Ihm eine Tour zu buchen! Wir sind uebermorgen dort (25. Aug 2011) Danke