19.8.09

Studieren und Straßenverkehr

Lernen popernen – Fleißige Chinesen im Lesesaal


Einer meiner Ziele während meines Aufenthalts hier ist das Lernen der chinesischen Sprache (Mandarin, also hochchinesisch, um genauer zu sein). Eine gute Umgebung hierfür ist der Lesesaal der Nationalbibliothek. Er bietet große Tische, gute Stühle und ist vor allem klimatisiert. Zusätzlich ist er prall gefüllt mit anderen Studenten die auch fleißig Bücher wälzen. In einer solchen Umgebung habe ich keine Ablenkung jedweder Art zu fürchten und kann mich gut auf das angepeilte Lernpensum konzentrieren.

Das fotografieren in der Bibliothek ist leider verboten, weshalb folgende textuelle Beschreibung ausreichen muss. 90 % der Lernenden (weiblich und männlichen Geschlechts) trägt seltsamer weise eine Brille, bevorzugt Modelle mit dickem schwarzem Plastiksteg, Rand und Bügel. Von der Seite sehen sie aus wie Sonnenbrillen, aber die braucht man drinnen als Bibliotheksstubenhocker natürlich nicht wirklich.

Auch auf einem abendlichen öffentlichen Konzert einer Abschlussklasse eines lokalen Colleges, vergleichbar der Abgangsklasse eines Abitur-Jahrgangs, im Daan Park tragen alle Schüler eine ähnliche Brille. Nur der aus Japan angereiste Dirigent ist brillenlos. Brillenträger sind hier offensichtlich alle Bücherwürmer. Mao Zedong lag also goldrichtig, als er alle Brillenträger unter den Generalverdacht des Intellektuellentums stellte um derartige Elemente zu entfernen.

Abgenommen wird die Brille im Lesesaal nur zum schlafen. Oder, besser gesagt, um ein Nickerchen zu machen. Das gehört hier ganz natürlich zum Lernprozess dazu: Erst wird eine halbe Stunde gebüffelt das die Schwarte kracht, dann kurz im sitzen für ein paar Minuten am Tisch gepennt, darauf geht das Spiel wieder von vorne los.

Angeblich ist hier in Taiwan das schlafen sogar am Arbeitsplatz üblich. Als Arbeitgeber westlicher Prägung mag man denken, „Ich bezahle euch doch nicht fürs Schlafen!“, doch hier wird in regelmäßigen Abständen, dem eigenen Körperempfinden gehorchend, eine kurze Schlafpause eingelegt.Von den Profis lernend habe ich mir jetzt abgeschaut und tue es ihnen gleich: Erst die Sonnenbrille absetzen, dann den Kopf in den Armbeugen versenken und ein paar Minuten pennen. Am Feintuning muß ich noch ein wenig schrauben, auf Anhieb verschlafe ich so eine volle Stunde. Das ich danach wieder sie Sonnenbrille aufsetze und weiterlerne sieht zwar extrem albern aus, aber eine andere Option sehe ich als nicht-brillenträger nicht.

Irrer Verkehr


Platzsparendes Fortbewegungsmittel Nr. 1: Der Motorroller, zu 99.9 Prozent aus japanischer Produktion passen bis zu vier Verkehrsteilnehmer auf ein solches Gefährt. Normale Besatzung als Familienkutsche: Zwei Kinder stehend zwischen Sitz und Lenkrad, Vatti vorne auf der Bank, an seinen Rücken gelehnt schmiegt sich Mutti an

In Taiwan wird wie bei uns auf der rechten Seite gefahren und es gelten generell die gleichen Verkehrsregeln wie aus Deutschland bekannt. Am Straßenverkehr möchte ich aber trotzdem nicht teilnehmen, was nicht nur an fehlenden formalen Kriterien wie meinem nicht-internationalisierten Führerschein liegt (in dem auf dem 18 Jahre alten Passfoto zu meiner Überraschung ein fetter „Hello Kitty“ Aufkleber prangt – keine Ahnung wann und wie der dahin gelangt ist, aber ob mit oder ohne diesem Aufkleber bin ich sowieso nicht anhand des Bildes identifizierbar).

Viel mehr Angst machen mir die vielen Motorroller (man sagt hier „Scooter“ oder auf chinesisch „Moto che“ dazu), deren Verhalten im Straßenverkehr mir unerschließbar chaotisch vorkommt Vom Taxi oder einem Bus aus betrachtet umkreisen sie jedes Fahrzeug mit vier Rädern im fließenden Verkehr von allen Seiten: Auf Umlaufbahnen denen von Neutronen um ihren Atomkern gleich sind sie mal links, mal rechts, mal hinten und mal vor einem Fahrzeug. Mit Gewissheit kann man nur sagen, das sie einem Fahrzeugführer nie in Geisterfahrermanier entgegen kommen.

Schaltet eine Ampel auf Rot und kommt der natürliche Verkehrsfluss zum erliegen so fliessen sie Wassergleich nach vorne und halten in tief gestaffelten 10er Reihen direkt unter der Ampel. Grün ist immer dann, wenn eine Rollerarmada den sich hinter ihr aufstauenden Verkehr anführend die Kreuzung überquerend ins Getümmel stürzt. Das ist auch ein guter Zeitpunkt für Fußgänger, nicht nur der Ampelanlage beim überqueren der Straße zu vertrauen und vor betreten derselben einen prüfenden Schulterblick nach links und rechts zu wagen.

Dieser scheinbar nur wenigen Regeln gehorchende Verkehrsfluss kann man nur als ein dynamisches, sich selbst reuglierendes System begreifen und es ist ersteunlich, das es zu so gut wie keinen kleineren oder größeren Unfällen kommt. Auf den entlegenen Inseln werde ich mir demnächst selber mal einen Roller mieten, hie im Stadtverkehr beschränke ich mich auf eine Verkehrsteilnahme als Fußgänger. Fahrräder sind hier im Neupreis mit um die 100,- € zwar lachhaft günstig, aus oben genannten Gründe verzichte ich aber auch hier lieber gleich.

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