14.8.09

Taiwan - Shocked By The Thermik

Wetter: Taifun und Regenzeit

Jeder ordentliche Reisebericht und jede Postkarte beginnt natürlich mit dem Wetter. Denn Wetter ist bekanntlich immer, und jeder hat eine Meinung dazu. Derzeit ist Hochsommer und damit Regenzeit. Vom Pazifik kommend wandern zu dieser Jahreszeit tropische Wirbelstürme, Taifune genannt, nach Osten in Richtung China. Auf ihren halbkreisförmigen Bahnen streifen sie fast immer Japan und Taiwan, je nach Radius auch die chinesische Küste oder sogar das Hinterland.

Während bei uns Hoch- und Tiefdruckgebiete alternierend einen Frauen- oder Männernamen verpasst bekommen, so denken sich auch die asiatischen Wetterkundler Namen für jeden Taifun aus. Der welcher letzte Woche Freitag über Taiwan gebraust ist heißt „Morakot“. Welche Sprache das ist, weiß ich nicht so genau. Bei mir weckt dieser Name jedenfalls biblische Assoziationen, vielleicht ist es tatsächlich hebräisch?

Biblisch würde jedenfalls passen, denn seitdem geistern Bilder apokalyptischen Ausmaßes durch alle Medien. Der Sturm selber war in Taiwan nicht so schlimm - es gab einen Tag schulfrei (Taifun-Holiday), das ist so etwas wie bei uns Hitzefrei, beschränkt sich aber nicht nur auf die Schule sondern gilt auch auf für Arbeitnehmer die an einem solchen Tag zu Hause bleiben dürfen.
Dramatisch hingegen waren bei Morakot die unwahrscheinlich großen Regenmengen die er im Schlepptau hatte.

Diese haben alles unter Wasser gesetzt, Bäche mutierten über Nacht zu reißenden Tsunamis und Erdrutsche begraben alles, was nicht bei drei auf dem Baum ist. Gegen die Bilder, die hier derzeit die Medien dominieren, war das Elbhochwasser 2002 ein Kindergeburtstag.

Die Wassermassen haben im Süden und Osten der Insel so ziemlich jede Brücke oder Strasse unterhöhlt und zum Einsturz gebracht. Komplette Häuser schwimmen wie eine Arche Noah durch die Flüsse. In zwei Fällen wurden komplette Dörfer verschüttet (ok, das ist eine Übertreibung – von den 327 Häusern des Dorfes blieben ganze zwei stehen). Ganze Landstriche sind von der Außenwelt abgeschlossen und müssen aus der Luft vom Militär per Hubschrauber versorgt werden. Mindestens 250 offizielle Tote gibt es bisher, die Vermissten sind ungezählt und am Ende werden wohl bis zu tausend Opfer zu beklagen sein.

Ironie des Schicksals: Noch vor kurzem wurde die sommerliche Wasserknappheit beklagt und über eine Rationierung des Wasserverbrauchs für die Landwirtschaft nachgedacht. Bei den übervollen Stauseen ist das jetzt natürlich kein Thema mehr. Vielmehr kursiert die Angst, das einige Dämme brechen könnten. Für meine weitere Reise werde ich mich auf den vom Taifun nicht betroffenen Norden beschränken müssen. Mindestens so lange, bis die Straßen wieder repariert oder passierbar sind.

Nass ist es hier während der Regenzeit aber auch im Norden Taiwans. Mindestens einmal pro Tag und nicht unter drei Stunden dauert ein solche Schauer hier. Der Regen ist laut wie ein großer Wasserfall und übertönt mühelos den nicht gerade leisen Verkehr. Das Wasser steht knöchelhoch in den Straßen und Schirme schützen bestenfalls für kurze Zeit die Frisur.


Einrichten: Shoppen bei IKEA

Lost in Translation: die Bude, die ich für 250 € pro 2 Monate gemietet habe ist keine 30, sondern 13 qm groß. Klein aber sehr sauber, inklusive Fernseher mit englisch-sprachigen Programmen, Internetanschluss ohne IP Adresse („Mei you IP“ - verstehe ich zwar, eine Lösung für das Problem hat die Vermieterin aber auch nicht zur Hand, später kriege ich das technische Problem in den Griff indem ich kurzerhand den DSL-Router neu boote).

Am wichtigsten bei dem Wetter (siehe oben) sind aber: eine (gut funktionierende) Klimaanlage, eine eigene Dusche und eine Waschmaschine. Auch wenn man jedes mal einen Schock bekommt wenn man die schützende Wohnung verlässt. Pro Tag gehen mindestens zwei T-Shirts durch und muss die Dusche zwei Mal genutzt werden, darunter geht es nicht.

Sehr spartanisch ist das Bett. Einfach ein Holzbrett, ohne Matratze. Die hat Chi Hsuen auch nicht besorgt weil sie denkt, das man die nicht braucht. Ich probiere es nach dem Flieger aus und erhole mich etwas vom Jetlag. Dann sind nach ein paar Stunden Schlaf auf einem kieferfurnierten Holzbrett doch die Knochen etwas stark belastet. Ich kann ja wenn ich müde bin auf allen möglichen Unterlagen pennen - auf der Erde, auf Bänken, alles kein Problem – aber hier brauche ich für die nächsten Monate eine tragfähigere Lösung. Sie heißt „Sultan“ und ist ein aufrollbares Schaumstoff-Futon von IKEA für 25 €. Darauf schläft man tatsächlich sehr königlich.

Nachdem ich es mir heimelich gemacht habe schaut doch noch einmal die Vermieterin auf einer Art Kontrollbesuch vorbei. Ich scheine diese Prüfung zu bestehen, singe eben noch ein paar Takte aus dem Lied „Ni shou shenme“ (das kennt hier jeder, eine zuckersüße 70er Schnulze in der sich die Sängerin wortreich darüber beklagt, dass sich ihr Geliebter nicht mehr bei ihr meldet) im Duett mit ihr.


Sport im Sprawl


35 Grad schon morgends um 9:00 Uhr, sehr hohe Luftfeuchtigkeit. Ich will einfach einsteigen und laufe zum eingewöhnen erst einmal eine halbe Stunde. Fühlt sich nicht gut an, vielleicht habe ich noch den Jet Lag in den Knochen oder sollte nicht mit nüchternem Magen laufen

Normalerweise bin ich nach dem laufen Fit und könnte Bäume ausreissen. Heute bin ich schlapp wie ein Ball aus dem die Luft gelassen wurde und kotze nach dem Lauf schleimigen Mageninhalt auf den Boden. Nach 10 Minuten Ruhe im Schatten ist mir auch nicht mehr schwarz vor den Augen. Ich werde es etwas ruhiger angehen und vielleicht erst einmal etwas wandern statt gleich in die Vollen zu gehen. Die Luft ist auch echt zum kotzen (das ist wortwörtlich gemeint) und unglaublich schlecht, ich sollte einen der größeren Parks und zu einer anderen Tageszeit – vielleicht früher oder spät am Abend – Sport treiben.

Vielleicht sollte ich zum laufen den nächstgelegenen Friedhof ausprobieren. Er ist um eine kleine Hügelgruppe gebaut, von dort hat man außerdem einen schönen Blick auf die Stadt Taipei. Dort zu wandern oder spazieren zu gehen würde einem Chinesen niemals in den Sinn kommen, auf solch eine Schnapsidee kann nur ein Europäer kommen.

Friedhöfe werden hier als Wohnstädte der Geister der Verflossenen angesehen. Der einzige Grund sie zu betreten ist die Ehrung der Gestorbenen an ihren Grabstädten, man bringt ihnen Rauchopfer in Form abgebrannter Räucherstäbchen und betet für sie. Ansonsten verlässt man das Areal des Friedhofs und bleibt nicht länger als für eine solche Prozedur eben nötig.

Grabpflege ist daher auch ein Fremdwort, die Friedhöfe wirken eher wie vom Dschungel überwachsene verlassene Städte. Das Gras steht kniehoch um die Grabsteine. Ganz anders als bei uns, wo Friedhöfe nebenbei einen parkähnlichen Charakter haben und auch zur Erholung aufgesucht werden. Chinesen sind sehr geschockt, wenn sie auf Deutschlandreise wie selbstverständlich zu grossen Friedhöfen geschickt werden - Geister und ihre Heimstadt sollte man in Ruhe lassen!


German Gemütlichkeit at „Zum Fass“


Mit diesem eingängigen Slogan buhlt die laut Eigenwerbung einzige deutsche Kneipe Taipeis erfolgreich seit 1975 um taiwanesische Kundschaft. Ab und zu verirren sich auch Landsleute, die sich längere Zeit hier im Auslandseinsatz aufhalten, und deutsche Touristen wie ich in dieses Schankwirtschaft.

Das dargebotene Deutschlandbild lehnt sich an die bekannten von den USA in die Welt gesetzten Stereotype an: Deutschland gleich Bayern, rustikale Gemütlichkeit bei Schweinshaxe und Bier. Das Personal hat über „Bitte“ und „Danke“ hinausgehende szenetypische Phrasen wie „Wohl bekomms!“ und „Prost!“ im Repertoire.

An dem Restaurant selbst gibt es nichts auszusetzen, es wirkt sehr authentisch und könnte so 1:1 auch in einer süddeutschen Stadt wie München stehen. Alles andere als ein künstlich zusammengeklaubtes Disney-Abziehbild des Hofbräuhauses. Die Atmosphäre ist derart authentisch das mir gar nicht das im Hintergrund laufende Radioprogramm von Bayern 3, das neben Staumeldungen aus dem Großraum München die Ergebnisse des letzten Spieltags der Bundesliga aus bayrischer Sicht diskutiert. Erst als mich Chi Hsuen darauf aufmerksam macht fällt mir auf, das ein solches Programm hier in Taipei üblicher weise wohl nicht in einer Kneipe gespielt wird. Und das ich ja gar nicht mehr in Deutschland bin.

Einziger Wermutstropfen: Es gibt kein gutes Bier. Kein Pils, kein Astra, kein Becks. Auf der Suche nach gutem Bier bin ich also noch nicht fündig geworden. Stattdessen steht die gesamte bayrische Bierpalette vom Weißbier bis zum Weizenbier aus dem Hause Erdinger auf der Getränkekarte. Warum kann man nicht mal ein paar Steuergrossen investieren und den Bayern beibringen, wie man ein richtiges Bier braut? Am Ende denkt die ganze Welt noch, das wir Deutschen dieses süße, cola-gleich klebrige Weizenbier-Zeug gerne trinken und, schlimmer noch, das das Bier sei! Das ist doch mal eine sinnvolle Entwicklungshilfe, zu Beginn könnte man Erdinger und Co einfach verstaatlichen und einfach dicht machen. Es wird mir ewig ein Rätsel bleiben, warum bei dem vielen leckeren Bier, das in Deutschland gebraut wird, solch ein Dreck produziert werden und sich Bier nennen darf.


„Spaß beiseite“ - Die chinesische Perspektive auf Deutschland


Wenn es draußen regnet oder zu heiß ist, dann verzieht man sich am Besten in einen der vielen vollklimatisierten Einkaufstempel Taipeis. Diese gibt es für alle Arten von Produkten, hauptsächlich techniklastige Geschäfte vom Schlage eines Saturn oder Media-Markts. Mein absoluter Favorit hier ist der eslite Shop: Bücher, Musik; Andenken und Designkrempel auf vier Etagen inkl.einer Fressmeile im Keller.

Beim Stöbern stoße ich dort auf ein Buch mit dem Text „Spaß beiseite“ neben vieler für mich nicht verständlicher chinesischer Schriftzeichen auf dem Titel. Es entpuppt sich beim durchblättern als ein sehr aktuelles Faktenbuch das dem geneigten Leser die wichtigsten Aspekte zeitgenössischer deutscher Kultur beibringen und ihn so auf einen möglichen Kulturschock im Falle einer Deutschlandreise möglichst schonend vorbereiten soll.

Im Untertitel wird (auf Chinesisch) der Anspruch „Das einzige Buch das sie brauchen um Deutschland zu verstehen“ formuliert. Damit ist die Messlatte sehr hoch gelegt, ich werde neugierig und habe automatisch ein schönes Geschenk für Chi Hsuen - deren Hilfe ich für das Verständnis des Inhalts benötigen werde, denn nur ab und zu stehen für mich verständliche deutsche Namen und Wörter im Text.

Das die Autorin eine intime Kennerin der Materie ist und mit einem mir spontan sympathischen Humor zur Sache geht erschließt sich schon zu Beginn: Auf einer Karte sind alle 17 Bundesländer und ihre Hauptstädte aufgelistet. Inklusive Mallorca. Praktischen Wert dürfte für den Leser auch die Übersetzung wichtiger Phrasen wie „Öffnen der Ware verpflichtet zum Kauf!“, „Draußen gibt’s nur Kännchen“ oder „Im Stehen pinkeln verboten“ haben.

Auch ich lerne neues über meine Heimat: Auf der Liste der 50 erfolgreichsten deutschen Filme gemessen an der Zuschauerzahl befindet sich auf Platz vier „Schulmädchenreport – Was Eltern nicht für möglich halten“ - direkt hinter Herbigs Winnetou und StarTrek Persiflagen und „Otto – der Film“. Der zweite Schulmädchenreport schafft es immerhin noch in die Top 20, der analog aufgebaute Ruhrgebiets-Softporno „Lass jucken, Kumpel!“ behauptet sich in der Top 30.

Außerdem lerne ich, wie man „Reeperbahn“ und „FC St.Pauli“ auf Chinesisch übersetzt. Vielleicht lasse ich mit letzterem Ausdruck die Rückseite meines Pauli-Trikot beflocken? Da Fußball hier nicht König ist und ich mir daher als Souvenir kein Trikot einer taiwanesischen Mannschaft mitbringen kann ist das vielleicht ein passender Ersatz.

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