12.10.04

Auf dem Yangtze von Chongqin nach Shanghai

Chongqin
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Keine drei Stunden nach unserer Ankunft in Chongqin sind wir bereits auf einem Boot auf dem Yangtze stromabwaerts Richtung Shanghai unterwegs. Mit seiner Hanglage auf einem Bergruecken zwischen dem Yangtze und einem groesseren Zufluss (dessen Name ich gerade nicht parat habe) erinnert die Stadt bei einer Taxifahrt vom Bahnhof zum Schiffsanleger stark an Monaco. Sollte es einmal wieder zu viele Formel 1 Grand Prixs in Europa geben, so laesst sich der von Monaco ohne Probleme hierher verlegen. Das waere dann neben Shanghai der zweite hier in China, Fernsehzuschauer des Spektakels wuerden sicher keinen Unterschied bemerken. Wegen seiner Berglage gibt es, untypisch fuer China, hier nur sehr wenige Fahrraeder. Die Menschen keulen ihre schwere Lasten auf einer Stange ueber die Schulter gebuckelt durch die Gassen und Treppengaenge. Einen laengeren Aufenthalt ist diese Stadt nicht wert, fuer uns ist sie nur als Startpunkt fuer eine Yangtze Flussfahrt interessant.

Kreuzfahrt auf dem Yangtze von Chongqin nach Wuhan
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Quartier beziehen wir in einer Kajuete der zweiten Klasse Kategorie. Der Mokel vom Reisebeuero versucht standhaft, uns zusaetzliche Tickets fuer Sehenswuerdigkeiten entlang der Schiffsroute zu verticken. 50 Euro will er fuer das komplette Besichtigungspaket haben. Wir verzichten und kaufen uns die Tickets vor Ort selbst und zahlen dafuer 30 Euro. In unserer Kabine, in welcher normalerweise 4 Leute untergebracht werden, sind wir alleine untergebracht. Fuer 30 Euro Aufpreis, die er sich vermutlich selber in die Tasche steckt, bietet er uns an, dafuer zu sorgen, dass keine weiteren zugestiegenen Fahrgaeste in unserer Kabine untergebracht werden. Mit dem Hinweis, dass wir nichts gegen chinesische Gesellschaft einzuwenden haben, uns im Gegenteil sogar darueber freuen wuerden, lehnen wir ab. Auch ohne diesen Aufpreis bekommen wird in den naechsten Tagen niemand neues mehr in unserer Kajuete einquartiert.

Das Schiff ist der reinste Seelenverkauefer. Staendig werden wir von anderen Booten ueberholt. Trotzdem mangelt es uns an nichts. Mit den Hochglanzbildern im Reisebuero hat die Kabine nicht entferntesten etwas zu tun.. Die Frontpaneele eines Bettes bricht ab, als wir uns zum Essen nebeneinander auf ein Bett setzen. Zukuenftig speisen wir daher ausserhalb der Kajuete mit Blick ueber das Yangtzeufer. Ihren Namen zu Recht traegt die Nasszelle: Rohre sparend fliesst saemtliches Altwasser aus der Dusche oder dem Waschbecken durch eine offene, im Fussboden eingelassene, Rinne (wahrscheinlich ungefiltert und direkt in den Yangtze) ab.

Neben zwei Hollaendern, einem Kanadier und einer Norwegerin sind wir die einzigen nicht-Asiaten an Bord. Abenteuerlustig haben diese in einer 8 Mann-Kabine Unterschlupf gefunden. Diese Ranzkajueten befinden sich direkt ueber der Wasserlinie, eingekeilt zwischen dem Maschinenraum und der fettigen Schiffskombuese . Immerhin ist es ihnen gestattet, die Decks der hoeheren Klassen zu betreten.

Viele Chinesen sind mit der kompletten Familie angerueckt und stopfen sich drei Generationn hoch in die schmalen Kammern. Fuer ihre Kinder sind Markus und ich die Hauptattraktion. Damit die erschoepften Eltern auch einmal etwas vom Urlaub haben uebernehmen wir die Freizeitgestaltung fuer ihre Kinder. Die Chinesenkinder haben so komplizierte Namen. Wir nennen sie daher Otto (etwa 7 Jahre alt), Heinz (11 Jahre, kann sogar ein paar Brocken Englisch und heisst sonst irgendetwas mit Chang, wobei unklar bleibt, ob dieses sein Vor- oder Nachname ist) und Lisa (etwa 7 Jahre). Neben diversen Phototerminen mit ihnen auf dem Vordeck spielen wir Schnipp-Schnapp-Schnurr und ein uns unbekanntes chinesisches Huepfspiel mit ihnen. Die Regeln verstehen wir nicht, irgendwie scheint Heinz sich am Ende immer wieder als Gewinner durchzusetzen. Der Verdacht, dass er die Regeln immer wieder zu seinen Gunsten modifiziert und dieses gegenueber Otto und Lisa aufgrund seines Alters und seiner beachtlichen Koerperstatur durchsetzt, laesst sich nicht gaenzlich ausraeumen.

Sehr beliebt ist auch Markuss Zugpolonaise, bei dem sich die Kinder unter Zuggerauschen einmal ums Schiff bewegen. Mit Otto, Lisa und Heinz rennt er los, nach einer Runde ums Schiff hat sich die Anzahl der Kinder verdreifacht, so dass uns bald die Namen fuer die Neuankoemmlinge (Ernst, Dieter, Susi, Karl-Heinz) ausgehen und wir etwas den Ueberblick verlieren. Essen brauchen wir diesen Tag nicht mehr zu kaufen, denn die Kleinen pluendern fuer uns immer wieder die Speisekammern ihrer Familien und fuettern uns mit Keksen, Chips, Mandarinen und undefinierten Speisen, die ich lieber direkt heimlich in den Yangtze verkappe statt sie zu Essen.

Wie die Russen ihre unberuehrte Natur verwenden die Chinesen den Yangtze als eine Muellhalde. Wenn es im Wasser platscht ist nicht etwa ein Yangtze Flussdelphin zum Luftholen aus den braunen Fluten aufgetaucht (sollte es hier tatsaechlich welche geben, so koennte man sie in der braunen lehmigen Bruehe nicht sehen), sondern ein Passagier der 1. oder 2. Klasse hat einfach eine benutzte Damenbinde, Toilettenpapier oder manchmal gleich eine komplette Plastiktuete mit Muell ueber die Reling ins Wasser geworfen. Neben den an der Oberflaeche treibenden alten Schuhen, leeren Plastiknudeltoepfen und Plastiktueten faellt der Neumuell auch nicht weiter auf und komplettiert so perfekt das Flussstillleben an Treibgut. Den Drang, im Yangtze ein Bad zu nehmen, verspuere ich nicht.

Die Tempel am Flussufer werden, wenn der Yangtze in ca. einem Jahr komplett aufgestaut und der Wasserspiegel sich um weitere 170 aufgestaute Meter angehoben hat, nur noch Inseln im dann groessten Stausee der Welt (Laenge 200 KM) sein. Saenftentrager, welche einen in einem an langen Bambusstangen befestigten Stuhl die steile Boeschung an Land tragen, werden dann arbeitslos sein. Aber ausser ein paar Amerikanern (immerhin "I vote for Kerry"-Button) nimmt heute schon kein Tourist diese Dienstleistung in Anspruch. Komplett im Fluss verschwinden wird eine "Ghost City" genannte Ortschaft. Frueh morgends gehe ich an Land, es ist noch dunkel und stinkt verfault. Als die Sonne aufgeht sieht man, dass niemand mehr in dieser Stadt wohnt. Die Haeuser sind verlassen, manche sind verfallen und halb abgerissen. Bizarr wie nach einem Bombenangriff liegt die tote Stadt am Ufer und wartet darauf, endlich Ruhe zu finden und in die Fluten eintauchen zu duerfen. Nur noch Horden von Touristen und Haendler bevoelkern die Strassen. Die zwei Polizisten an der Kreuzung wirken deplaziert, da es keinen nennenswerten Verkehr mehr zu regeln gibt. Der Strom fuer die Ampel wurde bereits abgeschaltet.

Stimmung kommt in der schiffseigenen Karaoke Bar nicht auf. Gelangweilt luemmeln sich die Mitarbeiter nach getaner Arbeit in den Sesseln, kein anderer Gast verirrt sich hierher. Gegenseitig singen sie sich chinesiche Schnulzen vor, deren Texte wir nicht verstehen, auch wenn wir sie von den Monitoren (in chinesisch) ablesen koennen. Auch aus den Begleitvideos erschliesst sich der Inhalt nicht, hauptsaechlich werden chinesische Naturparks, die grosse Mauer und Tempel, marschierende Soldaten und Frauen in Badeanzugen in Pools oder unter Wasserfaellen in einer Neun-Live Softporno Aestethik gezeigt. Eigentlich der richtige Ort, um selbst erste Erfahrungen im Umgang mit der Karaoke-Anlage zu sammeln. Erfahrungen die uns sicherlich auf der weiteren Reise, spaetestens in Thailand, von Nutzen seien koennten. Schliesslich kann man in dieser Abgeschiedenheit nichts kaputtmachen. Leider sind nur zwei westliche Lieder verfuegbar "Final Countdown" von Europe und "Life is Life" von Opus - immerhin nix vom Bohlen oder Farian und daher nehmen wir diese einmalige Chance nicht war.

Das ein Hoehepunkt der Schiffsfahrt erreicht ist erkennen wir daran, dass alle Passagiere mit einer Kamera bewaffnet aufs Vorderdeck stuermen. Wir passieren "die drei Taeler", hier hat der Yangtze sich tief in die umliegende Berglandschaft eingegraben. Teilweise ist der Fluss hier nur noch 100 Meter breit, steil steigen die Berge in den Himmel. Vergleichbar mit den norwegischen Fjorden, wober bei diesen die Bergspitzen durch Gletscher (die es hier am Yangtze wohl nicht gegeben hat, aber ich bin kein Geologe) abgerundet sind. Wuerde der Grand Canyon einmal wieder geflutet haette man einen ahnlichen Effekt. Auch nach der Aufstauung wird dieser berauschende Effekt bleiben, denn ob man nun 500 m oder 340 Meter nach oben schaut tut dem Zauber des Anblicks keinen Abbruch.

Highlight am Ende der Kreuzfahrt ist die Baustelle des Yangtze Staudamms. 2 km ist die Baustelle, die wir aber, da es bereits dunkel ist, nicht besichtigen. Stattdessen bleiben wir auf dem Schiff und lassen uns in 4 gewaltigen Staukammern 80 meter tiefer schleusen. In Yichan endet die Fahrt. Von dort reisen wir ueber Wuhan mit dem Zug nach Shanghai. Wuhan ist das Bielefeld unter den chinesischen Staedten: Es ist so langweilig, dass es einfach nichts zu berichten gibt.

Preise
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Flussfahrt mit drei Uebernachtungen von Chongqin nach Wuhan: 27 Euro

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