10.10.04

Von Peking zum Yangtze

Kulinarisches
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In diesem Teil von Asien gibt es natuerlich auch McDonalds und
die anderen Fastfood-Ranzbuden. Typisch chinesisches Essen ist
das aber nicht gerade. Auch was in Deutschland beim Chinesen
um die Ecke als "Platte der sieben Koestlichkeiten" o.ae. feilgeboten
wird sucht man hier vergebens.

Problematisch ist das Bestellen von Essen, wenn es keine englische
Speisekarte gibt. Meistens zeige ich einfach aus das Essen. Sehr
hilfreich ist auch das kleine "Point It" Taschenbuch (Danke, Niels!):
Ein kleines Taschenbuch in welchem die wichtigsten Objekte des
taeglichen Lebens abgebildet sind. Ich zeige auf Reis und bekomme
tatsaechlich Reis. Es funktioniert.

Haeufig weiss ich nicht, was ich esse. Die Speiseauswahl geschieht
ausschliesslisch nach optischen und olfaktorischen Kriterien.
Manchmal macht man dabei aber auch einen Fehler verspeisst
ploetzlich rohe Huehnereier in Aspik, zwischen wie Mozarella
aussehendem Tofu angerichtet. Hunde oder andere Wiederlichkeiten
habe ich bisher noch nirgendswo gesehen. Leckeres Pferdefleisch und
gebratene Froschfotzen am Spiess gibt es an jeder Ecke.

Beliebt unter den Backpackern ist folgende "Urban Legend": Obwohl
verboten gibt es in Hong Kong noch heute Hinterzimmer, in denen
Affen zum Verzehr angeboten werden. Dabei wird der lebende
Affe an den Tisch gebracht und muss seinen Kopf durch ein Loch in
der Mitte des Tischs stecken. Er ahnt, was kommt, schaut aengstlich
und beginnt zu weinen als ihm seine Schaedeldecke aufgeschnitten
wird. Bei lebendigem Leib und zur Freude der Gaeste wird sein
Gehirn mit heissem Fett direkt am Tisch fritiert und gegessen. Vielleicht
hat sich Thomas Harris von dieser Raeuberpistolen inspirieren lassen
als er "Hannibal" schrieb. Oder umgekehrt.

Oeffentliche Toiletten
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In Peking werden nicht nur Sterne fuer die Qualitaeten eines Hotels,
sondern auch auch fuer oeffentliche Toiletten in den Parks vergeben.
Auf einer 2 Sterne Toilette befindet sich neben den ueblichen Hockklos
mindestens eines zum Sitzen. Von einer 3 Sterne Toilette kann man
zusaetzlich erwarten, dass Klopapier am Platz vorhanden und nicht
selbst mitgebracht werden muss. Die S-Klasse ist jedoch
ein oeffentliche Toilette der 4 Sterne Kategorie: Ganze 4 Sitztoiletten,
sauber gekachelter Boden und holzgetaefelte Waende machen den
Gang zur Toilette zu einem unvergleichlichen Erlebnis.

In China gibt es uebrigens nicht den Brauch, der Schittmamsell ein
paar Muenzen klimpernd in eine Untertasse aus Porzellan zu werfen.
Die Benutzung der meisten oeffentlichen Toiletten ist umsonst.
Findige Chinese stellen in Strassenunterfuehrungen mobile Sitzklos
auf und verlangen 2 Cent fuer die Benutzung. Vorher.

Zuhause in Deutschland werde ich demnaechst an der
Volkshochschule Seminare zum Thema Sitzscheissen anbieten.
Die perfekte Vorbereitung, die bei keinem Asienurlaub fehlen darf.
Eine weitere wichtige Erkenntnis, die ich einbringen kann: Dort wo
auf dem Boden Spucke ist, ist vorne.

Lustige Japaner: Takara aus Osaka
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In unserer Pekinger Unterkunft treffen wir auf einen 55 Jahre
alten Japaner aus Osaka. Er arbeitet als Ingenieur bei Hitachi und ist
jede Woche in Peking, um hier an der Vollendung der U-Bahn
mitzuarbeiten. Als er hoert, das wir Deutsche sind, kriegen seine
Augen einen feuchten Glanz. Er kann nicht viele deutsche Worte ausser
Mercedes und Hitler. An diesem Abend bringen wir im die 10
wichtigsten deutschen Worte bei.

Er selbst ist stolzer Besitzer eines S-Klasse Mercedes und betont,
das seine Tochter im "Benz Business" arbeitet, also irgendwo in
Japan "fuern Daimler schafft". Er mag Deutschland sehr gerne
und ist in jungen Jahren nach eigenem Bekunden die Eiger Nordwand
heraufgeklettert. Wieso wir ploetzlich auf Hitler kommen weiss ich
nicht mehr so genau. Bart, ein Hollaender, und Paul aus England,
die auch mit am Tisch sitzen sind daran jedenfalls nicht Schuld.
Irgendwie ist Takara der Ansicht, dass alle Deutschen Bart tragen.
In unserer Gesellschaft (bei Markus und mir) stimmt das auch,
verallgemeinern laesst sich das jedoch nicht.

Ploetzlich deutet er mit zwei Fingern unterhalb seiner Nase einen
erstklassigen Hitler-Schnaeuzer an, springt auf und maschiert mit
wackeligen zackigem Stechschritt durch den Innenhof des Hutongs.
Wobei er die eine Hand als Bart an seine Lippen haelt. Dabei ruft
er "Hitler, Hitler", lacht sich kaputt, und maschiert seine Runden.
Das Schauspiel laesst sich am ehesten mit Charlie Chaplin in
"Der grosse Diktator" vergleichen. Takara ist aber der eindeutig
bessere Hitler-Imitator.

Bisher bin ich meine ganzen alten sd&m Visitenkarten losgeworden!
Die alten ohne, die Zwischenloesung mit Stele im Logo und dann doch
wieder nicht, mit und ohne "Member of Capgemini Claim" - hier
kann ich den ganzen in Deutschland veralteten Ranz loswerden. Ein
Angebot an meine Kollegen: Schickt eure alten Visitienkarten einfach
an mich, postlagernd nach Hongkong und ich kann sie hier problemlos
verkappen und ein paar Asiaten damit gluecklich machen. Auf den
Namen auf den Visitenkarten kommt es sowieso nicht an, die kann hier
eh meistens keine Sau lesen.

Pekinger Nachtleben: "Half & Half" und "Destination"
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Abgefuellt durch die vielen Freibiere von Takara verschieben wir
schon fasst die Plaene, mal ein paar Clubs in Peking aufzusuchen.
Christian, der schwule Schwede den wir zuerst in Ulan Bator
getroffen haben, will noch eine im Reisefuehrer erwaehnte
Schwulenbar aufsuchen.

Kurz entschlossen begleiten wir in einfach. Der Erkenntnis, das
Christian schwul ist kann man sich spaetestens wenn man
gesehen hat, wie tuntig und mit spitzen Fingern er in der
Mongolei beim Reiten sein Pferd mit der Reitpeitsche antreibt,
nicht mehr verschliessen. Der Laden "Half & Half" ist jedoch eine
glatte Enttaeuschung. 10 Gaeste stehen gelangweilt an der Bar,
wir setzen uns an einen Tisch und werden schnell von den anderen
Gaesten begruesst, die sich zu uns setzen. Die Musik ist schlecht und
niemand tanzt in diesem Schuppen, eine ganz traurige Veranstaltung.
Am spannendsten ist noch der Fernseher, auf welchem ein
Schwarzweissfilm ueber die Ardennenoffensive lauft. Muss eine
spezielle Fassung dieses Themas sein, den im Vordergrund der
Handlung stehen immer wieder Soldaten in schneidigen
Uniformen.

Die anwesenden Ortskundigen kennen sich jedoch gut in Perking und in
der Szene aus und fuehren uns in eine Schwulenbar mit dem Namen
"Destination", in der nach eigenem Bekunden die Post abgehen soll.
Das ist gelinde gesagt eine Untertreibung. Dieser Laden wuerde sicher
auch deutschen Schwulenmetropolen wie Koeln gut zu Gesicht stehen
und der dortigen Szene alle Ehre machen.

Auf der Toilette ist das Urinal in Doppelreihe besetzt. Als ich daher
zum Harn abschlagen eine nicht abgeschlossene Toillettentuer oeffne
geht der Mond gleich zweimal auf, denn von Hinten sehe ich zwei
blanke Hintern in eindeutiger Aktion. Auch die naechste Tuer ist
nicht verschlossen, die Nasszelle jedoch wirklich leer. Aus Gruenden
der Sicherheit schliesse ich sie vorsichtshalber hinter mir ab.

Den anwesenden Gaesten in der Bar und auf der Tanzflaeche scheine
ich gut zu gefallen. Ein Mongole fragt mich, ob ich ihn der Rest der
Nacht hart und ausdauernd durchficken moechte. Ich verneine.
Ein anderer streichelt mir ploetzlich durch den Bart, findet mich
seitdem er mich im "Half & Half" gesehen hat, "handsome". In
meinem ganzen Leben habe ich noch nicht soviele eindeutige
Angebote bekommen wie an diesem Abend, leider jedoch
unbrauchbare da aus meiner Perpektive vom anderen Ufer
kommend.

Rockkonzert
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Endlich schaffen wir es, mal keine Bohlen/Farian Musik zu hoeren.
Im Rahmen eines "Festivals for modern music" ist in einem Pekinger
Park eine Buehne aufgebaut. Feinste Rockmusik, vier Tage am Stueck.
Von Jazz, Blues bis hin zu Punk und hartem Rock wird hier alles geboten,
was man gerne hoert. Auch wenn wir die Texte nicht verstehen.

Ein Pekinger hat ein Werder Bremen Trikot an, kann aber kein Deutsch.
Vermutlich hat er es einfach wegen der gruenen Farbe gekauft. Die
meisten Besucher tragen Bundeswehrklamotten: Parkas, grosse und
kleine Kampfhemden, jeweils mit Deutschlandfahne auf der Schulter
und manchmal mit politischen Statements wie "Fuck USA! Long live
great chairman Mao!" versehen.

Wie schon beim Fussball sind auch wieder Origamiflieger zu bewundern.
Manche schaffen es bis auf die Buehne. Warum drei deutsche
Nazi-Skindheads mit Londsale Sweatshirts hier herumlungern will ich
gar nicht wissen. Lange halten sie es hier scheinbar nicht aus.

Bisher auf Festivals noch nicht gesehen ist der Kreiselpogo: 2-3
Chinesen halten sich an den Haenden, drehen sich immer schneller
im Kreis und rempeln dabei so lange rum, bis die umstehenden freiwillig
Platz machen (Pogo eben). Immer mehr Umstehenden machen mit und
schnell bildet sich ein grosser Kreis der sich rotierend eine grosse
freie Flaeche erkaempft. Irgendwann implodiert der Kreisel und die
Zuschauer tanzen nun freien Flaeche wild herum.

Verkehr
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Hupen hat hier im Strassenverkehr eine total andere Semantik als in
good old Europe. Hier heisst Hupen einfach nur soviel wie "Achtung!
Ich bin auch noch da" und dient dazu, andere Verkehrsteilnehmer
AUF SICH SELBST aufmerksam zu machen. Hupt man in Deutschland,
so will man meistens einen anderen AUF DESSEN FEHLVERHALTEN
hinweisen: "Ich glaub es hackt, Verpiss dich aus meiner Spur" oder
"Du faehrst wie eine besoffener Vollidiot!"

Zugfahren in China
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Der Luxus der Transsib, 1. Klasse in der wir uns ein grosses Abteil zu Zweit
teilen konnten, ist in China vorbei. Zuege muessen hier viele Menschen
transportieren, beim Schlafwagen gibt es nur 4er oder 6er Abteils. Der Verkauf
der Tickets startet 4 Tage vor der Abfahrt des Zuges, und schnell sind die
besten Plaetze belegt bzw. der Zug ausverkauft.

Die Waggons sind generell moderner als die der in der Transsib (dort zumeist
Baujahr 1988, VEB Vereinigte Waggonfabrik Leipzig). Die Qualitaet der Zuege ist unterschiedlich. Von Peking nach Chongqing hatten wir einen mit Teppichboden
ausgestatteten Luxuszug mit Waenden zum Gang erwischt, von Wuhan nach
Shanghai befoerderte uns eine etwas aeltere spartanische Variante mit zum
Gang offenen Abteilen - entfernt erinnert es an einen Gefangenentransport.
Allgemein gilt, dass die Waggons mit durchdachten Details ausgestattet sind:

- Hockklos mit einer Stange zum Festhalten waehrend der Fahrt. Damit ist die
Navigation und das Treffen der Scheissrinne ein Kinderspiel. Auch faellt man
beim Hocken nicht in seine eigene Scheisse.

- Koerbe an den Waenden der Toilette zum Ablegen von Handys, diese koennen beim Hocken sonst
leicht aus der Hosentasche und dann sonstwohin fallen. Wer einmal, den Boden eines Hockklos gesehen
hat, nachdem es 3 Stunden lang von circa 100 Menschen benutzt worden ist, moechte sich ein dort
gelandetes Handy auch nach einer gruendlichen Waesche nur noch sehr ungern ans Ohr halten

- Markierungen an der Wand zum Festlegen des Fahrpreises: Unter 1.10 m und unter 1.40 m grosse Chinesen
zahlen weniger

Trotz Einsatz moderner Technik wird zur Reinigung auf bewaehrte manuelle Hilfsmittel wie Reisigbesen und
Wischmops zurueckgegriffen. Im Unterschied zur Transsib, in welcher bei der taeglichen Reinigung zunaechst
immer ein grosses Stromkabel quer durch den Zug gelegt werden musste.

Immer wieder trifft man auf Uebersetzungen in schlechtem Englisch. Paul, der Englaender den wir in Peking getroffen
haben, hat eine beeindruckende Sammlung an Photos der besten Stilblueten (Bsp.: “You feel like writing everytime
you use this pencil”, Text eines Aufklebers auf einem Kugelschreiber). Nach der Zugfahrt kann ich seine Sammlung um die Inschrift “Do not use while stabilizing” auf der Toilettentuer erweitern – gemeint ist das Untersagen der Benutzung der Toilette waehrend der Zug steht.

In einem Waggon sind durch die effizientere 6er Belegung 200 % mehr Insassen als zu Transsibzeiten. Der Zug gleicht damit einem asiatischen Mikrokosmos: Ueberall wuseln Chinesen hin und her wie in einer Einkaufsstrasse. Schoen zu beobachten waherend wir auf Klappstuehlen im Gang sitzen. Verkauefer schieben ihre Wagen unter Gklingel und Anpreisung der Waren durch den Zug. Lebendig wie auf einem orientalischen Basar. Neben Toilettenpapier und Spielzeug wird hauptsaechlich fertiges Essen, Nudelsuppen oder Getraenke feilgeboten.

Die Chinesen im Zug sind sehr aufgeschlossen und man kommt leicht ins Gespraech. Immer findet man jemanden, der ein paar Brocken Englisch spricht. Bzw. man wird von diesen gefunden und dann in ein Gespraech verwicklet. Hilfreich hier ist wieder das oben erwaehnte "Point It"-Buch, in dem man leicht zeigen kann, wo Hamburg liegt, woher man bisher gereist ist und wohin die Reise noch gehen soll.

In userem Abteil ist ein junges Pekinger Polizistenpaerchen, welches zum Heimaturlaub nach Wuhan faehrt. Das Alter der Chinesen schaetzt man am besten wie in Europa und addiert dann 10 Jahre auf den Schaetzwert. Tatsaechlich sind beide 27 Jahre alt, sehen jedoch wie 17 oder 18 Jahre aus. Analoge Schaetzprobleme gibt es, wenn Chinesen das Alter eines Europaers schaetzen. Die junge Polizistin kann sogar etwas Deutsch. Nach nur 9 Monaten ist sie in der Lage, den “Spiegel” zu lesen und zu verstehen. Ich bin beeindruckt.

Schlecht schaetzen koennen die Chinesen auch die Nationalitaet (analog: einen Koreaner koennte ich auch nicht vom blossen Ansehen von einem Japaner oder Vietnamesen unterscheiden). Bisher wurde ich fuer einen Russen oder einen Australier, nie jedoch als ein Deutsher eingeschaetzt. So haelt mich ein aelterer Chinese fuer einen Russen und fragt auf Russisch, wie ich heisse. Ich antworte auf Russisch, sage woher ich komme und frage, wie es ihm geht. Nach 5 Minuten kann ih ihn dann auf Englisch davon ueberzeugen, dass mein aktiver maximal 30 Worte umfassender russischer Wortschatz bereits im ersten Satz unserer Konversation aufgebraucht ist und das es daher sinnvoll ist, im Weiteren Englisch zu sprechen.

Bisher konnten wir immer nur Tickets fuer die oben unter der Decke angebrachten Betten kaufen. Vielleicht werden diese auch bevorzugt an Auslaender verkauft. Nach etwas Uebung kann man in wenigen Handgriffen in diese Kojen klettern und ohne sich den Hals zu brechen wieder heraussteigen. Der zur Verfuegung stehende Schlafplatz hat exakt die Groesse eines YPS Abenteuerzeltes – das waren diese an beiden Seiten aufgeschnittenen Altkleidersaecke welche hochtrabend als Zelt gehandelt wurden. Fuer europaeische Massstaebe etwas klein geraten, aber wenn man erst mal liegt fuehlt man sich sicher und geborgen wie in einem Mutterbauch. Personen mit der Statur eines Hendrik Meiers wuerde ich jedoch von der Benutzung dieser Kojen entschieden abraten.

Im Zug selber herrscht ein hartes Regime: Einschluss ist um 10:30 Uhr Abends. Die Chinesen verschwinden in ihre Kojen, der Gang ist ploetzlich ungewohnt menschenleer. Wir machen es ihnen nach und keine 5 Minuten spaeter wird das Licht ausgeknippst.

Preise
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Bus: 1 Cent
Metro: 3-4 Cent
Taxi: 3-4 Euro pro Stunde, kleine Touren 1 Euro
Transrapid: 5 Euro
Eintritt Rockkonzert: 1 Euro
Zugfahrt ueber Nacht, 20 Stunden im 6er Abteil: 30 Euro

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