23.10.04

Markus Altekruegers Bericht aus China: Federvieh- und Krebsleiden

Ni hao,

da ich mich lange nicht mehr gemeldet habe, hier eine
geraffte Zusammenfassung aus China, dem Land,
welches sich nicht mehr lange damit abgeben wird,
uns die Turnschuhe zusammen zu kleben.

GRENZE MONGOLEI-CHINA (23.09.04)

Die Chinesen begrueszen uns bei Einfahrt in den
Grenzbahnhof herzlich. Dutzende Soldaten stehen
am Bahnsteig Spalier und empfangen uns mit
unserer Nationalhymne. Allerdings haben sie sich
im Regal vergriffen und so laeuft statt der deutschen
die chinesische, gefolgt von “Let it be” von den
Beatles, ein charmanter musikalischer Hinweis der
Zollbehoerden rechtzeitig VOR den Personen- und
Gepaeckkontrollen.

Als erstes fallen die laengs der Bahnstrecke
angebrachten Losungen der Staatsfuehrung auf,
wie man sie noch aus der DDR kennt.
Informatik-Genie Joerg bastelt behende aus
Taschenrechner und ausgelutschtem
Schwarzteebeutel einen 1A-Uebersetzungscomputer,
der die chinesischen Schriftzeichen in sinnhaftes
Deutsch transferiert. Es offenbart sich das uebliche
Gewaesch von gestern (“Unser Bruderbund mit
Nord-Korea – die Quelle unserer Kraft”). Da die
Parteifuehrung weisz, dasz zu Zeiten des
gesellschaftlichen Wandels der Bevoelkerung
diese Sprueche zum Hals raushaengen, muss
nach 16 km Wandspruechen die Ernsthaftigkeit
mit der Losung “Trampel nicht auf den Losungen
der Partei herum wie auf Federvieh” noch einmal
unterstrichen werden.

MAO

Mao wird hier nach wie vor wie ein Heiliger verehrt;
wir muessen uns zwangslaeufig mit seiner Person
befassen - allein schon, weil Maos Visage jeden
Geldschein und in Peking jede Straszenecke ziert
– und stellen fest, was fuer ein weitsichtiger
Pragmatiker er war. Bezueglich eines Atomkrieges
stellte der Lausbub die verblueffend einfache These
auf, dasz zwar die Haelfte der Menschheit enden
wird wie zertrampeltes Federvieh, man aus dem
ueberlebenden Rest aber prima neue Menschen
im kommunistischen Geiste machen kann!

Die Rolle der Frau umreiszt der Schlingel gekonnt
mit dem Hinweis darauf, dasz sich der Mann drei
Gewalten zu unterstellen hat (Partei, Luft, Erde),
die Frau jedoch deren vier, wobei die vierte der
Mann ist. Sind einfache Rezepte nicht auch wieder
in Deutschland gefragt?

PEKING (24.09.-03.10.)

Wer von Euch sich als Mittelpunkt der Welt sieht,
liegt falsch; auch ich musste meine Meinung
revidieren. Tatsaechlich ist Peking der Mittelpunkt
der Welt, und hier insbesondere die Verbotene Stadt
am Tian-an-men-Platz (unter seinem Pseudonym
"Platz des Himmlischen Friedens" seit 1989 aus Funk
und Fernsehen bekannt). Der Sage nach hat dieser
Tempel nicht weniger als 9.999 Zimmer + Kueche,
Bad! Da sich die praktizierenden Moenche permanent
mittels Raeucherstaebchen in ein Paralleluniversum
katapultieren, sind es gar gefuehlte 20.000 Raeume.

Auf den Pekinger Straszen und insbesondere am Platz
des Himmlischen Friedens regiert das Militaer, welches
stets in ausreichender Menge vorhanden ist; wird's
personell eng, werden kurzfristig 500 Quadratmeter
dazu gestellt. Dabei agieren die Soldaten als besorgte
Dienstleister der Touristen, denen die chinesichen
Schriftzeichen uebersetzt werden. So werde ich
innerhalb von Sekunden darauf aufmerksam gemacht,
dasz man in einer Fuszgaengerunterfuehrung nicht
stehen bleiben darf, auch dann nicht, wenn man einen
Stadtplan in der Hand haltend offensichtlich den
richtigen Ausgang sucht. Einwaende werden mit
dem Satz “Ja sprech ich denn chinesisch?!”
hinfortgewischt wie zertrampeltes Federvieh.

Ein Erlebnis der besonderen Art versprechen wir uns
vom Besuch des unterirdischen Wegenetzes, welches
Mao zum Schutz der Bevoelkerung vor einem
atomaren Angriff hat errichten lassen. Mehr als
6.000 km Laenge soll dieses Tunnelsystem haben,
dessen Waende mit abschreckenden Fotografien
geschmueckt sind; so zieren Bilder von Panzern,
Kreuzern, Atomraketen und Otto Schily mit Helm
und Knueppel die Betonwaende.

Hoehepunkt des Rundgangs ist die Besichtigung einer
riesigen unterirdischen Seidenbettuchfabrik. Nachdem
wir ganze fuenf Minuten durch das Tunnelgewirr
gehetzt wurden (6.000 Kilometer!), nehmen wir auf
einmal live an der 20 minuetigen commercial
presentation teil, die immer mitternachts auf Eurosport
laeuft. Zunaechst erhalten wir tiefen Einblick in den
Produktionsprozess, erfahren alles ueber die
waermenden Eigenschaften der Seidendecken und
duerfen letztlich mit vereinten Kraeften versuchen,
den Stoff zu zerreissen. Keine Chance. Wir sind
beeindruckt und lassen uns jeweils 38 Quadratmeter
Seidendecken mit Fuellung aufschwatzen.

Nach taeglich 8-10 Fotoshootings mit Einzel-, Gruppen-,
Familien- Jung- und Altchinesen sind wir abends immer
ziemlich im Arsch. Mein Kinn, dessen Bart mehrmals
taeglich auf Echtheit geprueft wird, bade ich dann in
einer Kamillenteeloesung. In Anbetracht der Tatsache,
dass 650 ml Bier in unserem Hostel 18 ct kosten, faellt
die Regeneration denkbar leicht. Und zum ersten Mal
seit langer langer Zeit spueren wir wieder feste Musik
unter unseren Fueszen: Auf einem Musikfestival
(4 Tage, Eintritt pro Tag ca. 1 EUR) tritt u.a. die
China-Ausfuehrung von Rage against the machine auf.
Nach all dem Bohlen- und Frank-Farian-Geplaerre bis
Ulan Bator schafft unsere Reise nun endlich ihre
musikalische Wende.

Wer einen VW Jetta mit Klarglasscheinwerfern sehen
moechte, sollte die Reise nach Peking nicht scheuen.

JANGTZE-FLUSSFAHRT (04.-07.10.)

Da wir uns bei den zu zahlenden Schmiergeldern voellig
verkalkuliert und zu viel Kohle in der Tasche haben,
buchen wir eine Flusskreuzfahrt auf dem Jangtze.
Wir merken schnell, dasz wir in Chongqing den
lausigsten Kahn des Kontinents erwischt haben,
werden wir doch von allen anderen Fahrzeugen
ueberholt und wie zertrampeltes Federvieh links
liegen gelassen. Und waehrend die Gaeste der
anderen Kreuzfahrtschiffe abends die Moeglichkeit
haben, in bester Fritz-Wepper-Manier an den
Gestaden des Jangtze die Puffpreise kaputt zu
machen, muessen wir nachts durchfahren und
Zeit aufholen. Dafuer werden wir und die 4
anderen erwartungsfrohen Gaeste in der
schwitzigen Schiffsdisko Abend fuer Abend von
den Mitarbeitern des Schiffes mit einem einmaligen
Entertainment-Programm entschaedigt: Da es den
Offizieren und Mannschaften offenbar an Kabinen
mangelt, schlafen die einen auf den Sofas der Disko,
waehrend die anderen gelangweilt ihre
Karaoke-Kuenste darbieten und darauf warten,
dasz wir Gaeste ein weiteres Fauteuille zum
Schlafen frei machen. Wir scheren uns darum wie
um zertrampeltes Federvieh und bleiben sitzen.

Tagsueber faellt uns als einzigen Nicht-Chinesen
auf dem Deck automatisch die Aufgabe zu, uns um
die zahlreichen kleinen Chinesenkinder zu kuemmern.
Klare Sache, dasz wir uns deren Namen nicht merken
koennen und ihnen daher einfachere, wohlklingende
Teutonennamen ueberstuelpen. Den dicken Jungen
nennen wir Otto, andere heiszen Heinz, Karl und Erna,
was einige auch schnell kapieren. Die Eltern sind froh,
mal Ruhe zu haben und wir werden im Gegenzug mit
Fruechten, Keksen und Chips eingedeckt.

Die Tour auf dem Flusz ist ziemlich beeindruckend.
Beidseitig ragen mehrere hundert Meter hohe Felsen
empor, mal ist der Flusz kilometerbreit, dann zwaegt
sich die rotbraune Bruehe durch 50 Meter breite
Schluchten. Wenn die letzte Ausbaustufe des
3-Schluchten-Dammes fertig gestellt ist, wird sich der
Wasserspiegel um weitere 40 Meter heben. An den
Ufern sind alle Nase lang Schilder aufgestellt,
die den endgueltigen Wasserstand markieren und
es ist gespenstisch, bei Landgang durch verfallende
und bereits verlassene Stadtteile zu gehen.

Hinter dem 3-Schluchten-Damm (5 Schleusenkammern,
80 Meter Hoehenunterschied) war dann Feierabend;
die gesamte Tour ueber 3 Tage/3 Naechte hat
uebrigens 27 EUR gekostet.

WUHAN... (07.-08.10.)

... ist eine dieser vielen chinesischen Millionenstaedte,
die bei uns niemand kennt. Gerade das Viertel, in
dem sich unser Hotel befindet, ist ein bisschen
rattenverseucht, aber mit dem richtigen Schuhwerk
macht das nix. Die Buergersteige, ausgezehrt vom
endlosen Droehnen der Presslufthaemmer, machen
einen sehr verschuechterten Eindruck und werden
wohl bald ihr Glueck in einer der Kuestenstaedte
suchen, wie z.B. ...

... SHANGHAI!!!!! (09.-15.10.)

Zurecht mit !!!!!! Was hier abgeht ist der totale
Wahnsinn. Die Skyline veraendert sich taeglich,
an allen Ecken entstehen gigantische Hochhaeuser,
7 U-Bahnlinien sind mal eben im Bau und zwei
vorgelagerte Inseln werden gerade zum
groeszten Containerhafen der Welt umgestaltet
und mit einer 40 Kilometer langen Bruecke mit
dem Festland verbunden. In drei Jahren sind die
beiden hoechsten Buerogebaeude der Welt fertig,
und ob es dann noch das alte, zentrale Viertel mit
den weniger Betuchten geben wird, in dem ich mich
abends mit den Bauarbeitern zum Essen treffe,
ist fraglich.

Aber in dieser Stadt kann es jeder schaffen. Bestes
Beispiel ist der abgehalfterte Pornostar, der unter
seinem Kuenstlernamen “King Long” eine Busfabrik
eroeffnet hat und Marktfuehrer geworden ist.

Militaer, wie wir es aus Peking kennen, ist nicht
anzutreffen. Der Unterschied wird wohl am
deutlichsten, vergleicht man die Ikonen der
beiden Staedte und ihre Aussagen, die in
groszen Lettern an zentralen Orten prangen:

- Mao tritt fuer Peking an:
“Arbeite, arbeite, arbeite, und die Partei wird es dir danken.”

- Bo Derek (sic!) tritt fuer Shanghai an:
“Whoever said money can't buy happiness simply didn't know
where to go shopping.”

Was soll man da noch sagen?

Fuer 5 EUR kann man eine Fahrt auf der einzigen und
unsinnigsten Magnetschwebebahntrasse der Welt
machen: Auf der gerade mal 30 Kilometer langen
Strecke zum Flughafen faehrt der Transrapid ganze
40 Sekunden mit Hoechstgeschwindigkeit 431 Sachen
und hat nach 8 Minuten bereits das Ziel erreicht.
Macht Spasz, aber auf dieser Referenzstrecke haette
es auch eine S-Bahn getan, in die man danach sowieso
umsteigen muss, um ins Zentrum zu gelangen. Und
damit auf dem Papier die Auslastung stimmt, wird jede
chinesische Schulklasse 3 mal taeglich durchgeschleust.

Handgrosze Krebse sind in China eine Delikatesse und
ganze Familien fahren an die Kueste, um fuer daheim
einzukaufen. So passiert es, dasz wir auf der
24-stuendigen Bahnfahrt von Shanghai nach Hong Kong
anfangs das Abteil mit 4 Mitreisenden und ca. 80 in
einem Beutel eingenetzten Krebsen teilen. Die Tiere
sollen der Frische wegen lebend ankommen, weshalb
die Frau permanent den Gesundheitszustand im
2-Stufen-System ueberwacht. Schlecht ist's, wenn die
Tierchen beim Klopfen auf den Rueckenpanzer
keine Reaktion zeigen. Hoffnungslos, wenn sich auch
beim Ausdruecken den Augen keine Regung zeigt.
Ruehrend!

HONG KONG (16.-21.10.)

Wer wissen will, was Hong Kong ist ohne es sich vor Ort
anzusehen, sollte die folgende wissenschaftliche Simulation
starten.

Versuchsaufbau

1. sich selbst in einen LSD-Rausch versetzen

2. sich mit 5.000 anderen in die Vegas World Reeperbahn
zwaengen

3. dort psychedelische Mucke bis zum Anschlag aufdrehen

4. sich selbst den Auftrag erteilen, in der Vegas World
Margarine zu kaufen

- das ist Hong Kong.

Da wir stets die Gefahr suchen, haben wir uns eine
Unterkunft im Guesthouse im 12. Stock der Miramar
Manison in Kowloon genommen. Selbst der
hartgesottene Reisefuehrer, der auch sonst nicht vor
einer Empfehlung der dreckigsten Loecher
zurueckschreckt, raet davon ab (Verfall, Brandschutz
unbekannt, keine Fluchtwege etc.). Wir wischen
unsere Bedenken hinfort wie zertrampeltes Federvieh,
denn immerhin leuchtet an der Fassade der Schriftzug
"de Luxe Hotel", der Trabant trug diesen Beinamen
ja auch.

So falsch kann unsere Entscheidung aber nicht sein,
zieht das Guesthouse neben Geldadel (uns) auch
internationales Blaublut an: Der Sohn des Kaisers
von Swaziland, von Kopf bis Fusz in praechtiges
Krokoleder gekleidet, wohnt im Nebenraum und
hat seine liebe Mueh' mit der Regenbogenpresse.
Als wir im Erdgeschoss aus dem Aufzug steigen,
faellt ein Blitzlichtgewitter ueber uns herein und
ich bin wohl in einer der naechsten Afrika-Ausgaben
der Gala zu bestaunen.

Einsam wird es im Hotel auch sonst nicht, denn
allerlei Kleingetier tummelt sich auf dem Kachelboden.
Am lustigsten sind die Kakerlaken anzuschauen,
wenn sie mit den Hello-Kitty-Profilaufklebern, die
wir bei jedem Einkauf bei 7 eleven gratis
erhalten und ihnen auf die Rueckenpanzer
schnallen, durch's Zimmer flitzen. Danach trampeln
wir auf ihnen rum wie auf - naja, ihr wisst schon.

Wir sind zur richtigen Zeit in Hong Kong:
Das "Marco Polo German Bierfest 2004" laeuft!
Loewenbraeu, Lufthansa und TUEV Sued Hong Kong
haben sich nicht lumpen lassen und fuer viel Geld
"Die Notenhoblers" aus dem deutschsprachigen Raum
eingeflogen. Bei Preisen von 10 EUR je Masz bieten
sie einen repraesentativen Querschnitt durch unser
deutsches Liedgut: Fadder Abraham (Holland) mit
den Schluempfen auf englisch, urdeutsches
Alpenhorngedudel ("Tina blaest das Horn in China")
und unverzichtbares bayrisches Hofbraeuhausgeschunkel.
Den Alphornblaswettbewerb der Damen reichern die
Notenhoblers hochprofessionell mit schluepfrigen
Spruechen an ("Here I have a pretty lady to blow
my horn and she doesn't know how") und peitschen
140 unschuldige Chinesen wie zertrampeltes
Federvieh in einer Polonnaise durch Bierzelt.

Deutsche Kultur wird auch beim Deutschen Filmfestival
in Hong Kong zelebriert. Endlich haben wir uns den
Streifen "Gegen die Wand" angesehen mit schoenen
Bildern aus der Thadenstrasze, der Fabrik und
St. Pauli Nord. Bei uns entfachen sich
Begeisterungsstuerme, als wir in einer Szene einen
Kasten Astra vor dem Schild "Blumenkohl 1,99"
entdecken. So was wird der Chinese nicht in
1.000 Jahren hinbekommen.

Der Besuch in Hong Kong hat sich gelohnt. Bei einem
der vielen orientalischen Schneider habe ich mir zu
einem Spottpreis ein Fellcashmeresakko in
bordeauxrot, ein Eiweiszhemd sowie passende
Krawatte maszschneidern lassen. Ich habe zwar
keine Ahnung, wo und wann ich das perverse
Zeug tragen soll; da mir in China aber staendig
gelobhudelt wird, welch moderne Kleidung ich
trage (St.-Pauli-T-Shirt, Shorts und Springerstiefel)
vertraue ich auf meinen guten Geschmack.

GUILIN (seit heute)

Nach den Gigantomanien a la Peking, Shanghai und
Hong Kong der letzten Wochen fluechten wir zum
Abschlusz unserer China-Rundreise in das
verschlafene Nest Guilin (1.3 Mio Einwohner). Auch
hier strahlt die Sonne hinter dem smogverhangenen
Himmel mit der Kraft einer abkuehlenden Bratpfanne.
Mal sehen, was sonst geht.

FUER DIE CPM-STATISTIK

markante Marktanteile ausgewaehlter Orte

Moskau: 30% Lada, 30% MB, 10% BMW

Ekaterinburg: 60% Lada

Irkutsk: 75% Toyota

Ulan Bator: 85% Hyundai

Peking: 30% VW Santana

20% VW Santana 2000

10% VW Santana 3000

10% Audi 100

5% Audi A6

Wuhan: 95% Citroen CX !!!
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