17.10.04

Shanghai

Chinesen spucken gerne und haeufig in der Oeffentlichkeit. Vorher
macht sich das akustisch durch lautes hochwuergen von Rotze
bemerkbar, welche dann umgehend mit Spucke verduennt auf
den Asphalt gespuckt wird. Vielleicht ist dieses Verhalten
ein Ausdruck von Potenz? Laut Reisefuehrer ist diese Vorliebe fuers
Spucken nicht in Taiwan zu beobachten. Die Taiwanesen spotten,
die Chinesen wuerden nur den schlechten Geschmack von 40 Jahre
Kommunismus loswerden wollen. Spaetstens seit SARS-Zeiten ist
Spucken in der Oeffentlichkeit verboten und in Shanghai muss
man eine Strafe von 20 Euro zahlen - wenn man erwischt wird.
Besonders hartnaeckig wird dieses Vergehen aber nicht verfolgt.

Lustig sind die chinesischen Zigaretten. Sie hoeren auf so
schoene Namen wie "Staatsgast", "Double Happiness" oder "Pride"
(mit einem Panda-Hologramm versehen). In der EU jetzt
vorgeschriebene Warnhinweise a la "Rauchen kann unter Umstaenden
das ungeborene Kind gefaehrden" sind hier noch keine Pflicht.
Diese werden erst in Hongkong auf die Packungen gedruckt.
Allerdings auf chinesisch, eine disziplinarische Wirkung ist daher
nur bei Kennern der chinesischen Sprache zu erwarten.

In Shanghai sind wir im Puijang-Hotel abgestiegen. Dieses liegt
sehr zentral am Beginn der Prachtmeile ("The Bund") entlang des
Huangpu-Flusses. Zu Ende des 18. Jahrhunderts erbaut, protzt es
mit seiner Geschichte und alten viktorianischen Architektur.
Es war eines der ersten Grand Hotels in der Stadt, Prominente
wie Charlie Chaplin, US Praesident Grand, der englische Philosoph
Russell oder Einstein haben hier bereits genaechtigt. Von 1990
bis 1998 war im Hotel provisorisch die Boerse von Shanghai
untergebracht.

Die Holzdielen aechzen und quietschen. Kolonnen von Angestellten
sind taeglich damit beschaeftigt, den Boden neu zu wachsen und die
mit dunklem Holz getaefelten Waende mit Moebelpolitur einzureiben.
Der Geruch nach diese Pflegemitteln ist so ein staendiger Begleiter,
wenn man durch die Flure laeuft. Fuer Rucksacktouristen ist das oberste
Stockwerk vorgesehen, 6-8 Betten sind in diesem weniger gut in Schuss
gehaltenen Teil des Hotels in einem Raum, Kosten pro Nase und Nacht
7 Euro. Unbezahlbar ist der Blick ueber Shanghai vom mit Tuermen
geschmueckten Dach - besonders bei Nacht. Zur Zeiten der japanischen
Besatzung im zweitenWeltkrieg verlief die Grenze an der Bruecke vor
diesem Hotel, die Szene fluechtender Chinesen aus Spielbergs "The Last
Emperor" ist von unserem Zimmer aus aufgenommen worden.

Spuren aus europaeischer "Besetzung" waehrend der Kolionalzeit
finden sich auch heute noch ueberall in der Stadt. Besonders offensichtlich
zum Beispiel in der Architektur am Bund - Art Deco, eine Mini-Big Ben auf
dem Gebauede in dem heute eine Bank residiert. Oder in einer kleinen
englischen Parkanlage zu Beginn des Bund - das Schild "Hunden und
Chinesen ist der Eintritt verboten" wurde jedoch entfernt und kann nur
noch im Museum besichtigt werden. Noch heute tragen Taxifahrer
weisse Handschuhe. In der lokalen Taxiflotte ist Volkswagen mit dem
Santana 2000 am haeufigsten vertreten. Inzwischen wurde nach einem
weiteren Facelifting der Santana 3000 auf den Markt geschmissen.
Lange wird VW diesen alten Schrott hier nicht mehr verticken koennen,
denn mit wachsendem Reichtum werden die Chinesen auch anspruchsvoller.

Im Xulu Park enstpanne ich vom Stress der Stadt. In dem Park sitzen
hauptsaechlich aeltere Chinesen und vertreiben sich die Zeit mit
Gluecksspielen, Sport, Drachen steigen oder beim musizieren und
singen. In einem Pavillion an einem See spielt ein Paerchen auf einer
Geige und einem Akkordeon abwechselnd chinesische und europaeische
klassische Musik - hoert sich irgendwie nach Chopin an, aber sicher bin
ich mir da nicht.

Ein Chinese bemalt Papierfaecher und spricht mich an. Er moechte wissen,
woher ich komme (er tippt spontan auf Russland) und wir quatschen ein
wenig. Dann singt er mir ein paar chinesische Lieder vor, er hat eine
gute Stimme, auch wenn ich dem Text des Lieds nicht folgen kann. Neben
mir lauscht eine Menge von stehen gebliebenen Passanten seiner Sangeskunst.
Seiner Aufforderung, ihm im Gegenzug ein deutsches Lied vorzusingen,
komme ich gerne nach. Ich improvisiere ein Medley von Hans Albers Hits -
von "Komm auf die Schaukel,Luise" ueber "In meinem Herzen Schatz" bis
zum unvermeidlichen "Auf der Reeperbahn um halb Eins". Zwischendurch
verliere ich kurz den Faden, kann den Haenger aber durch zwei drei
eingestreute Zeilen aus "Die Partei hat immer Recht" ueberbruecken.
Ist zwar nicht von Hans Albers, aber da niemand aus dem Publikum
Deutsch spricht, faellts nicht weiter auf.

Unvermeidlich in Shanghai ist eine Fahrt mit der Magnetschwebebahn.
Der Transrapid verbindet den neuen Flughafen mit der Stadt und
benoetigt 8 Minuten fuer die 30km lange Strecke. Er beschleunigt auf
431 km/h und haelt diese Spitzengeschwindigkeit fuer eine halbe
Minute, muss dann wegen der kurzen Strecke aber schon wieder
abbremsen. Schade, gerade dann wenn man sich daran gewoehnt
hat und es am meisten Spass macht.... Auch wenn er schnell wie
ein Flugzeug ist, so bietet er angenehm viel Platz wie ein Zug.
Der Zug und der Transrapidbahnhof ist verwaist, nur eine handvoll
Touristen verirrt sich hierher. Ankommende Fluggaeste setzen
auch weiter auf traditionelle Fortbewegungsmittel um von der Stadt
zum Flughafen oder zurueck zu kommen. Der Preis fuer Hin und
Rueckfahrt liegt bei 8 Euro. Auch wenn ich darauf hinweise,
dass schon betraechtliche Summen meines Steuergeldes in diese
Technologie und diese Strecke geflossen sind und mit meinem Pass
wedele bekomme ich keine Ermaessigung. Nicht an allen Orten in
China kann man erfolgreich feilschen.

Trotz der vielen Shopping Malls schaffe ich es nicht, mir passende
Schuhe zu kaufen. Der Jahreszeit angemessen halte ich nach ein
paar einfachen Sandalen Ausschau. In der ganzen Stadt ist ab
Schuhgroesse 43 Schluss, meistens wird man nur kopfschuettelnd
angelaechelt, wenn man auf seine eigenen Fuesse zur Demonstration
der gewuenschten Schuhgroesse verweist. In Hongkong gelingt es
mir dann endlich, die gewuenschten Schuhe sehr preisguenstig
zu erstehen.

Bemerkenswert ist der Insekten und Tiermarkt in Shanghai.
Grillen, Raupen, Muecken, Schildkroeten zu Wasser und zu Land,
niedliche Kaetzchen, gelbe tschilpende Kueken, Hundewelpen und
alle Arten von Voegeln werden hier zum Verkauf angeboten. Neben
Futter bekommt man ansonsten alles, was zur Beheimatung und
Pflege der kleinen Freunde benoetigt wird: Pipetten und Pinzetten
zum Fuettern. Holzspiesse, Bolzenschussgerate und kleine Haemmer
zum Toeten und zubereiten wenn man Hunger verspuert und den
kleinen Freund erfolgreich auf Schnitzelgroesse hochgezuechtet hat.
Ab sofort nehme ich Bestellungen fuer gegrillte Huehnerkrallen
oder Seepferdchen am Spiess auf.

Shanghai waechst in einem atemberaubenden Tempo. Noch 1990
war gegenueber dem Bund Ackerland zur Versorgung der Stadt.
Kann man sich heute nicht mehr vorstellen, in nur 10 Jahren ist
dort eine imposante Skyline riesiger Buerokomplexe (hauptsaechlich
in Hochhausform) gewachsen. Der Fernsehturm ("Pearl Tower") ist
von ausgesuchter Kitschigkeit. Dicke Kugeln und Baelle die irgendwie
miteinander verbunden sind. Drei Hauptroehren tragen eine grosse
Kugel auf 260m Hoehe. Fuer 5 Euro kann diese besichtigt werden,
ueber Shaghai hat man von dort einen prima Blick. In welche Richtung
man auch schaut, die Stadt reicht bis zum Horizont. Kaum ein Tourist
laesst eine Besichtung aus, geschultes Perosnal dirigiert die
Menschenmassen wie Federvieh durch das Labyrinth an Roehren und
Fahrstuehlen.

Besonderes Vergnuegen macht es, von hier oben die Staus zu beobachten.
Da es dunkel ist erkennt man an den Scheinwerfern der Autos die
Stauschlange, auf denen sie sich durch die Stadt schieben, besonders gut.
Meistens stehen diese Schlangen, setzen sich nur langsam fuer ein paar
Meter in Bewegung und stoppen dann wieder. Kein Fahrzeug bleibt laenger
als 400 Meter in einer Spur. China mag ja ein begehrter Wachstumsmarkt
sein, der Verkehr ist bereits heute auf allen Strassen kollabiert.
Selbst wenn sich jeder Chinese ein Auto kauft, wird er keinen Platz finden,
um es zu fahren. Schon jetzt gibt es keinen Platz mehr, um die bisweilen
vierspurigen Strassen zu erweitern. Die Gefahr besteht, dass China sich an
seiner Groesse, an der Groesse seiner Bevoelkerung verschluckt.

Als ich den Turm verlasse ist eine 4spurige Strasse leer. Kein Auto
weit und breit. Eigentlich sollte mir das zu Denken geben, tut es aber nicht.
Auf Mitte der Strasse hoere ich einen Polizisten, der aufgeregt in seine
Trillerpfeife blaest. Ich bleibe stehen und sehe, das dieser Pfiff mir galt,
da von vorne und hinten, von links und rechts Polizisten auf mich zugerannt
kommen. Anscheinend soll ich die Strasse verlassen, was ich umgehend mache
- denn von links heizt mit einem Affenzahn eine Kolonne, bestehend aus einer
dicken Staatskarosse, eskortiert von Polizei auf Motorraedern, heran. Ich
schaffe noch rechtzeitig, die Strasse zu verlassen und ungebremst donnert
die Kolonne hinter mir ueber die nun wieder leere Strasse.

Am naechsten Tag lese ich in de Zeitung, das Chirac in der Stadt ist
und Abends zu einem Essen mit franzoesischen Geschaeftsleuten
gefahren wurde. Wie man eine Strasse RICHTIG absperrt, sollten sich
die Chinesen mal in Moskau bei den Russen abschauen.

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