6.9.04

Markus Altekrueger: Reisebericht aus Moskau

Diesen Bericht hat Markus per Mail an Freunde geschickt. Der ein oder andere wurde jedoch nicht erreicht, da Markus bei der Abschiedsparty wohl teilweise zu betrunken war, um die Adressen zu notieren. Weshalb er an dieser Stelle zusaetzlich veroeffentlicht wird:

Hallo zusammen,

wir sind in Moskau angekommen. Bereits der Anflug auf die Stadt war ueberwaeltigend: wie aneinander gelegte funkelnde Edelsteine r! eiht sich hier bis zum Horizont Plattenbausiedlung an Plattenbausiedlung, in denen die 9-12 Millionen Einwohner ihr Dasein fristen.

Die Menschen hier sind - zumindest solange sie keinem beruflichen Auftrag nachgehen - sehr freundlich und zuvorkommend: Da wird einem schwitzenden Rucksacktourist gern mal ungefragt ein Paeckchen Taschentuecher zugesteckt, oder der Weg erklaert. Allerdings machen die Russen permanent den selben Fehler: Fragen wir nach beispielsweise einem Museum, werden wir stets zu einem Supermarkt geschickt.

Aber wehe man ist auf die Dienstleistung eines Moskowiters angewiesen. Ein Anliegen zu haben, stellt offenbar eine persoenliche Beleidigung des Angestellten dar, ganz zu schweigen von Mitarbeitern staatlicher Stellen: Die lassen einen erstmal einen Stapel Formulare in 2- bis 3-facher Ausfertigung ausfuellen, um dann bei Vorlage beim Zoll erbost den Weg in die gruene Schlange ! zu weisen, in der diese Formulare nicht noetig sind. Und bei der Ausre ise wird genau nach diesen Formularen gefragt werden. Hast du keinen Stempel, musst du latzen. Wir lernen: Je mehr Stempel desto Russland.

Nachdem wir aus finanziellen Gruenden die ersten beiden Naechte im Plattenbaubunker Izmailiovo Delta (es handelt sich mit 8.000 Zimmern um den groeszten Hotelkomplex Europas)am Rande der Stadt verbracht haben, wechselten wir heute ins Rossija nahe des Kreml. Hier heiszt es, ausreichend finanzielles Polster in der Hinterhand zu haben, kostet doch eine Kopie sowie das Versenden eines Faxes im hoteleigenen Business-Center schlappe EUR 7,50. Das hat natuerlich auch seine Vorteile: Ist der Bargeldbestand auf ein Minimum reduziert, hat man weniger Gepaeck bei der Weiterreise zu schleppen.

Immerhin arbeitet das Rossija an seiner Reputation: Waehrend Gaeste bislang von ruedem Personal berichteten, ist es uns gegenueber lediglich genervt bis gelangweilt. Russische ! Dienstleister eben ... Zu allem Ueberfluss hatte die Schluesseltante auf Flur 5 zunaechst unsere Nachweise fuer die Abgabe und Registrierung unserer Reisepaesse bei den russischen Behoerden einbehalten, und hat diese Stunden spaeter auf unsere Anfrage hin aus dem Muelleimer pulen muessen!

Das Gebaeude sowie die Zimmereinrichtung im Rossija entsprechen meiner Vorstellung von einem sowjetischen Top-Hotel: Gebaut aus Beton nach russichem Rezept (1 Schaufel Zement, 3 Schaufeln Sand und 10 Abhoerwanzen), aeuszerlich mit eloxierten Aluminium-Fensterrahmen, schaebigen krummen Holzvertaefelungen und tuerkisfarbenen Plastik-Klodeckeln im Innern versprueht es den Charme des untergegangenen Sowjetreichs. Nein, versprueht ist nicht der richtige Ausdruck, genau genommen spuckt es einen geradezu an, aber wir hatten ja bewusst ein Zimmer im unrenovierten Block gebucht.

Die Stadt selbst hat einiges zu! bieten und ueberrascht im Alltag mit unkonventionellen Verhaltensrege ln, gerade im Straszenverkehr. Wer hier etwas auf sich haelt, klebt ein Blaulicht auf seinen BMW/Benz und knallt mit 90-100 Sachen durch die Innenstadt. Dabei unterstreicht man seine Wichtigkeit insbesondere bei der Anfahrt auf Fuszgaengerampeln mit einer Signalfanfare, die wie Achselfurzen klingt. Da fiel mir beim ersten Mal das Broetchen mit Aufschnitt in Salami-Optik aus der Hand.

Reichtum und Armut leben hier direkt nebeneinander: Die Oligarchenbraeute decken sich im GUM ungezuegelt mit Produkten der Marken Gerry Weber und Salamander ein, waehrend zu ihren Fueszen Rentner und Obdachlose ein Nickerchen halten.

Der Reisefuehrer machte uns auf das Cheka-/KBG-Museum aufmerksam; nachdem wir von den Einheimischen zunaechst zu drei verschiedenen Supermaerkten geschickt wurden, fanden wir - trotz aufwendiger Tarnung - die Lubyanka. Die Geheimdienstzentrale ist ein riesiges, ockerfarbenes Gebauede, wel! ches stuemperhaft hinter einer Armada von knallbunten, zu Gestecken zusammengebundenen meterlangen Plastiktroeten versteckt ist. Ein befremdlicher Anblick.
Naiv wie wir sind, waren wir der Ansicht, man koenne sich das KGB-Museum auch anschauen; weit gefehlt, sind die Exponate doch dermaszen geheim, dasz ein Besuch des Museums nicht gestattet ist. Liegt doch auf der Hand, oder?

Nach den juengsten Vorfaellen ist die Stadt von Sicherheitskraeften durchzogen wie ein billiges Kotelett: sie stehen an Kreuzungen, vor Aufzuegen, in den Metrostationen und vermitteln ausnahmsweise, dass es ihnen ernst ist mit ihrem Auftrag, auch wenn sie mit Regenschirm in der Hand erschreckend albern aussehen.
Thema Regenschirme: Touristen wie uns erkennt man daran, dasz sie keinen bei sich tragen. Alle anderen eint ein offenbar landestypisches Ritual:
1. Regenschrim aufspannen,
2. sich unter ein schuetzendes Dach stellen,!
3. das Ende des Schauers abwarten und dabei den Schirm weiter halte n,
4. am Ende des Schauers den trockenen Schirm wieder schlieszen.

Viele neue, unbekannte Eindruecke hauen einen also regelrecht um, wobei das Erschreckendste auf dieser Reise bisher - und da ich muss mich wiederholen - die Polsterbezuege in der Berliner U-Bahn waren.

Bis demnaechst, vielleicht kann ich dann von dem ersehnten ersten Kontakt mit der beruechtigten Reisepasspolizei berichten, die einem gerne bei der Reduzierung des Reisegepaeckgewichts hilft.

Markus
P.S.: Moskau feiert derzeit ueberschwenglich seinen 857. Geburtstag; man darf sich schon auf das naechste Jahr freuen, denn dann wird der 858. gefeiert und es wird wohl ein richtiges Fass aufgemacht werden.

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