19.9.04

Transsib: Irkutsk, Baikalsee und Farkasch S. Lumumba

Schon in Yekaterinenburg fielen mir Plakate auf, die fuer ein Konzert von Deep Purple warben. Auch in Irkutsk wird diese Band demnaechst auftreten. Vermutlich tingeln sie auf ihren alten Tage einfach mal durch Sibirien und taugen inzwischen nicht einmal mehr dazu, OBI-Baumaerkte in Wanne-Eikel zu eroeffnen. Sogar im Radio wird fuer das Konzert geworben, was auffaellig ist, da hier ansonsten keine Rockmusik gespielt wird. Die Jugend wird diese Band dadurch aber auch nicht naeher gebracht, ich wuerde auf ein aelteres Publikum spekulieren.

Insgesamt ist scheint hier in Russland der ganze Schrott zu landen, der bei uns nicht mehr taugt. Der Bus, der uns heute vom Baikalse ins 70 km entfernte Irkutsk zurueckbrachte, bekommt in Deutschland niemals mehr eine Zulassung. Davon, dass er auf deutschen Strassen unterwegs war, kuenden Aufkleber wie “Wuppertal gruesst aus dem Bergischen Land" oder einfach “Bonn” (bei dem Thema: Sehr schoen auch ein Aufkleber "Wir in NRW” mit dem Nordheinwestfalen-Wappen). Im Gorki Park in Moskau sind ein paar Fahrgeschaefte aufgestellt, die ausserdem ihren Ursprung in Deutschland haben – die Schiffsschaukel “Traumschiff” gleicht verdaechtig einer namensgleichen Attraktion im Safaripark Stukenbrock. Auch der Name der daneben aufgstellten Mini-Achterbahn “Silbermine” sprich Baende.

Der schlimmste und penetranteste Westimport besteht auf dem Musiksektor. Schon laengst in Vergessenheit und Ungnade gefallen Popbands wie C.C.Catch, Scorpions, Modern Talking oder Dschinigs Khan werden hier immer noch gerne gespielt bzw. ihre Platten stehen zum Verkauf in den Laeden. Von diesen Klaengen inspiriert hat sich eine eigene Popmusikrichtung etabliert, welche nach dem bekannten Prinzip des Bohleschen Fleischwolfs funktioniert: Fragmente von Text oder Melodie werden durch einen Fleischwolf gedreht und so lange zu einem neuen Stueck zusammenmontiert, bis am Ende etwas bohlenmaessiges dabei herauskommt. Originell ist eine Mischung aus “Daylight” (No Angles) und dem Lied “Your in the Army now” , unterlegt mit schnelleren Rythmen. Beim Hoeren stoesst man so immer wieder auf Bekanntes. Inzwischen sind Markus und ich Vollprofis auf dem Sektor Russische Popmusik. Schon nach drei Takten wissen wir, welches Lied gespielt wird und wie der Refrain lautet - auch wenn wir ihn nicht verstehen. Mir gefaellt das Lied mit dem Refrain “OI OI OI” sehr gut.

Zigaretten ausmachen auf Russisch: Die brennende Zigarette wird einfach in einen Muelleimer geschnippst – fertig. Meistens werden brennende Muelltonnen ignoriert, einmal habe ich einen wenn auch halbherzigen, Loeschversuch beobachten koennen: Zwar war das Feuer nicht ganz geloescht, aber es qualmte weniger als zuvor.

Bei einem Spaziergang durch Irkutsk werde ich von einem Kamerateam angehalten. Die Frage, die mir von der Reporterin gestellt wird, verstehe ich nicht. Sie scheint aber auf meinen St.Pauli-Totenkopf auf meiner Muetze zu schauen und laechelt dabei wissend. Natuerlich – die Siegesserie des FCs hat sich auch hier in Sibirien laengst herumgesprochen. Also laechel ich in die Kamera und erklaere mich mit der aktuellen Situation des FCs sehr zufrieden – trete jedoch gleichzeitig mahnend auf die Euphoriebremse, denn nach zwei Siegen in Folge ist es wohl doch noch etwas verfrueht, das wort Aufstieg in dem Mund zu nehmen. Die Reporterin bedankt sich und ich ueberlege, ob dieses Interview wohl wirklich gesendet werden wird.

Zum Essen: Doener kann der Russe nicht. Fleisch in homoeophatischen Dosen wird mit diversen bunten Saucen zugekleistert. Aber gut sind die rusischen Schaschlicks, an die sich inzwischen auch mein Magen gewoehnt hat. Nach drei Tagen Schaschlick in Folge ziehe ich jedoch die Notbremse, werfe ein paar Vitamintabletten ein und beschliesse, meine Ernaehrung etwas weniger einseitig zu gestalten.

Dazu bietet der Baikalsee eine hervoragende Moeglichkeit. Spezialitaet ist der Omul, ein etwa heringsgrosser Fisch, welcher nur hier im Baikalsee lebt und gefangen wird. Dieser wird auf der Strasse zum Verkauf feil geboten. Er schmeckt herrlich und kann in den folgenden drei Formen gegessen werden: gerauechert, gerauechert als stockfisch (etwa zaeher, schmeckt ungefaehr wie ein Fischkaugummi) oder tiefgeforern als Eis im Hotel Baikal. Was demnaechst die Omul-Monokultur auf meiner Speisekarte abloesen wird, weiss ich jetzt noch nicht.

Omul als Stockfisch und Brot ist immer im Rucksack, wenn Markus und ich auf Wanderschaft gehen. Wir haben das Kaiserwetter und vor allem die richtige Jahreszeit erwischt: Keine Muecken und die Waelder strahlen in den buntestens und frischesten Herbstfarben. Am Suedufer sind schneebedeckte Berge zu erkennen. Markus tippt auf die Alpen, ich bin mir da nicht so sicher – vielleicht doch eher der Himalaya? Muss ich bei naechster Gelegenheit mal im Weltatlas nachschlagen.

Wieder einmal kein Glueck habe ich mit Goldgraeber Staedten. Schon vor drei Jahren im Desert Valley gings schief, als ich auf der Suche nach einer verlassenen Goldmine nach dreistuendiger Wanderung umkehren musste. Dieses Mal wollten wir in ein 15 Kilometer entferntes Goldgraeber Staedtchen an der Westkueste des Baikalsee wandern. 15 Kilometer musste Luftlinie sein, denn nach vier Stunden waren wir noch immer nicht am Ziel. Die mitgebrachten Getraenke waren schnell aufgebraucht, und wir mussten 4 Stunden muehselig zuruecklaufen. Markus rationierte die staubig schmeckenden "Dextro Energen" Traubenzucker und so schafften wir es erschoepft aber gluecklich wieder zurueck.

Einen solche Wanderung habe ich bisher nicht gemacht: Meistens bestand der Weg aus 30 cm schmalen Pfaden, auf der einen Seite ein Hang und auf der anderen tief unten der Baikalsee. Manche Passagen hatten keine Wege und mussten Schritt fuer Schritt erklettert werrden. Der Ausblick entschaedigte jedoch fuer alle Muehen. Mit einem Schiff benoetigt man nur 30 Minuten bis zu der Stelle, an welcher Markus und ich nach vier Stunden ergebnislos umgekehrt sind. Die Kliffs sind aus dieser Perspektive beeindruckend und Respekt einfloessend, kaum zu glauben, das man selber dort einmal ohne abzurutschen durchgelaufen ist.

Das Wasser des Baikalsees ist ein Gedicht. So klar, dass man bis auf den Grund schauen kann. Etwas kalt - im Sommer maximale 15 Grad. Alle Krankheiten und Gebrechen (z.B. Zecken von der Wanderung) fallen von mir ab, als ich im Baikal ein Bad nehme. Erst nach mehreren Versuchen schaffe ich es, 30 Sekunden am Stueck im Wasser zu bleiben. Das Wasser ist kalt wie ein Kneippbecken, und genauso erfrischt fuehlt man sich auch nach dem Bad. Besser noch: Ich hatte eine Erleuchtung und der Herr sprach zu mir waehrend des Bades und befahl mir, meinen Namen zu aendern und eine Sekte zu gruenden. Ab sofort heisse ich also Farkasch S. Lumumba. Grundlage meines Glaubens ist nebem dem Paradigma der Vielweiberei der Text der Bibel. Natuerlich behalte ich mir vor, zukuenftig spezielle Passagen zu aendern oder anzupassen (z.B. die 10 Gebote, oder ein paar neue Psalme die mich preisen).

Zukuenftigen Juengern moechte ich an dieser Stelle eine erste Vision und Prophezeiung mit auf den Weg geben: Der erleuchtete Farkasch S. Lumumba sieht, dass St. Pauli auch die naechsten 3 Spiele (Arminia Bielefeld, …) ungeschlagen bleiben wird. Zur Haelfte der Hinserie wird der FC maximal 5 Punkte Abstand zu einem Aufstiegsplatz haben.

Warum der Baikalsee immer als schwermuetig gilt, will mir nicht aufgehen. Fuer mich ist er ein sehr lustiger Geselle, der sich waehrend unseres Besuches von der Besten Seite praesentiert. Moskau und der Baikal, der Anfang und das Ende unseres Trips durch Russland, waren die groessten Highlights bisher. Weiter rein nach Asien, nach China ueber die Mongolei, geht es in den naechsten Tagen



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